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Museum für ein Berliner Kultgetränk

»Mampe Halb und Halb« ist zurück in Neukölln

Neukölln ist um ein zauberhaftes kleines Museum reicher: Das Mampemuseum, das sich bisher mit einer kleinen Ecke einer Kreuzberger Wohnung begnügen musste, hat in einem Raum in der der »Ahoj! Souvenirmanufaktur« eine neue Heimat gefunden. Eröffnet wurde es am 28. Mai.
Mampe, das war der legendäre Berliner Spirituosenhersteller, der bis in die Siebziger-Jahre des letzten Jahrhunderts die Stadt mit Hochprozentigem versorgte. Mampe wurde auf Zeppelin-Flügen serviert und später auch bei der Lufhansa. In einer von »Mampe‘s gute Stuben« am Kudamm schrieb Joseph Roth an seinem »Radetzky-Marsch«. Mehr als 70 verschiedene Sorten gehörten zum Sortiment. Besonders bekannt war der »Mampe Halb und Halb«, ein Bitterlikör.
Diesen Likör trank eines Tages die Pädagogin Karin Erb und war sofort begeistert. Sie fing an, über die Firma zu recherchieren und Devotionalien zu sammeln. Flaschen, Gläser, Kneipenaufsteller in Form von Elefanten, dem Logo der Firma, Plakate, eine Anleitung zum Mixen und Getränkekarten trug sie so zusammen. Das alles ist sorgfältig in Regalen und Vitrinen arrangiert. Ein besonderes Prunkstück der Ausstellung ist ein »Rückbuffet« mit dem Relief eines Elefanten, eines der letzten noch existierenden Requisiten einer Mampe-Stube. Es wurde gerettet, als der Wirt vom »Schmalen Handtuch« am Platz der Luftbrücke seine Kneipe dichtmachte.

 

MampeDas Mampe-Buffet.                                                            Foto: mr

Unterstützung erhält Karin Erb von Tom Inden-Lohmar, Chef einer Werbeagentur, die sich auf Spirituosen spezialisiert hat. Er will »Mampe Halb und Halb« wieder in Berliner Eckkneipen, aber auch in den mondänen Hotelbars und der Kreuzberger und Neuköllner Szenegastronomie heimisch machen.

mr

Mampemuseum, Hertzbergstraße 1. Öffnungszeiten wie die Ahoj! Souvenirmanufaktur nebenan: Do. bis Sa. 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung (dann auch mit Führung). E-Mails an info@mampemuseum.de

Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr 107 – Freitag
8. Mai 1914
Durch einen Schlafstellendieb erheblich geschädigt wurde der Arbeiter Franz Riepert, Warthestraße 14. Die Wirtin des R. hatte noch einen zweiten Schlafgänger aufgenommen, einen etwa 25 Jahre alten Mann, der am nächsten Morgen in aller Frühe aufstand. Er ließ sich auch nicht wieder sehen, denn er hatte, wie man später entdeckte, seinem Zimmergenossen R. einen neuen Jackettanzug und 1 Paar Schnürschuhe entwendet. Bisher konnte man des Schlafstellendiebes nicht habhaft werden.

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Das Ende einer kurzen Verbindung

kiehlstegDas war mal der Kiehlsteg.                                                           Foto:fh

Senat ignoriert Bürgerprotest gegen Kiehlstegabriss

Proteste, Demonstrationen und Unterschriftensammlungen haben nichts genützt, der Kiehlsteg ist Geschichte. In der letzten Märzwoche wurde die kleine Brücke über den Neuköllner Schifffahrtskanal, die den Weichselplatz mit dem Kiehlufer verband, abgerissen.
Die Brücke wurde 1962 gebaut, weil die Lohmühlenbrücke mit dem Bau der Mauer  unpassierbar geworden war. Sie sollte den nördlich des Ufers gelegenen Teil Westberlins anbinden und zumindest den Fußgängern den Umweg über die Wildenbruchbrücke ersparen. Der Steg hatte damit eine eng mit der Teilung Berlins verbundene historische Bedeutung.
Besonders für Kinder auf dem Weg zum Spielplatz bot er außerdem eine sichere Alternative zur vielbefahrenen Lohmühlenbrücke.
Inzwischen war der Kiehl­steg aber sanierungsbedürftig, die Kosten einer Instandsetzung sollten sich auf 260.000 Euro belaufen. Das war der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zu teuer, daher entschied sie sich für den Abriss.
Doch damit waren die Anwohner nicht einverstanden. Was sie besonders erbost, ist die Tatsache, dass sie nicht informiert wurden. Erst als die beauftragte Firma mit Vermessungsarbeiten begann, wurden die Abrisspläne publik.
Umgehend gründete sich eine Bürgerinitiative, die zu Demonstrationen aufrief, Unterschriften sammelte und ein alternatives Sanierungskonzept vorlegte. Ein Gutachten wurde in Auftrag gegeben, weil die BI die Kostenkalkulation des Senats anzweifelt. Das kommt zu dem Ergebnis, dass 25.000 bis 30.000 Euro ausreichend seien, denn die Konstruktion sei längst nicht so marode wie vom Senat behauptet. Der Abriss soll 42.000 Euro kosten.
Doch bei der Senatsverwaltung stießen die Anwohner mit ihren Vorschlägen auf taube Ohren. Auf die Frage der »Berliner Zeitung«, ob versucht worden sei, mit den Anwohnern ins Gespräch zu kommen, lautete die Antwort der Senatssprecherin Petra Rohland: »Wir können den Kollegen nicht zumuten, sich mit den Bürgern auseinanderzusetzen«. 

mr

Parteien positionieren sich zum Tempelhofer. Feld Kiez und Kneipe Neukölln hat hier den Parteien die Möglichkeit eingeräumt, ihre Positionen zu dem bevorstehenden Volksentscheid darzustellen. Es handelt sich hier nicht um die Meinung der Redaktion.

Die Linke

JA zum Tempelhofer Feld für alle. NEIN zur Privatisierung

Am 25. Mai findet der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld parallel zu den Europawahlen statt. In den Wahlbüros können alle Wahlberechtigten über zwei Gesetzentwürfe entscheiden. Einen hat die  Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« verfasst, den anderen der Berliner Senat. Bei beiden kann jeweils mit Ja und mit Nein abgestimmt werden. Damit ein Gesetz gewinnt, braucht es mehr als 625.000 JA-Stimmen und mehr JA als NEIN-Stimmen.
Die Bürgerinitiative will das Tempelhofer Feld als öffentliches Naherholungsgebiet erhalten. Das Feld ist als kostenloses Freizeitgebiet wichtig für die vielen Tausend Anwohner, die wenig Geld haben. Es soll weiter als grüne Lunge für das Stadtklima dienen, und es wird ein Gedenkort nationalsozialistischer Verbrechen entstehen. Entgegen der Behauptung des Senats soll im äußeren Wiesenbereich Raum sein für weitere Bäume, Bänke, Toiletten, Gartenprojekte und Sport- und Spielflächen.
Das Gesetz des Senats erlaubt es, mindestens ein Drittel des Feldes zu verkaufen und bebauen zu lassen. Geplant sind Gewerbe, eine überaus teure Zentralbibliothek und Luxuswohnungen. Dabei gibt es ausreichend erschlossene Bauflächen, die zusammen zehnmal so groß sind wie das Feld. Behutsame Bebauung wird versprochen, obwohl Zehngeschosser im Gespräch sind.
Der Senat verspricht auch preiswerte Wohnungen, aber macht den Investoren gesetzlich keinerlei Vorgaben, sie haben freie Hand für noch mehr Stadtvillen, Lofts und Luxuswohnungen. Nur ein Fünftel der Wohnungen sollen für 6 bis 8 Euro pro Quadratmeter kalt vermietet werden. Das sind keine Sozialwohnungen.
Von der Bebauung profitieren vor allem Immobilienspekulanten. Dem nicht genug: Die hohen Erschließungskosten sollen alle Berlinerinnen und Berliner zahlen. Nach Medienberichten belaufen sich diese Kosten und die vorgesehene Bebauung auf mehr als 600 Millionen Euro. Allein die mit 270 Millionen Euro geplante Landesbibliothek soll um 100 Millionen teurer werden.
Die Senatspläne werden die Mieten weiter hochtreiben statt senken. Die Mieter in Berlin brauchen eine gesetzliche Mietenbremse und bezahlbaren Wohnraum statt weitere Privatisierung öffentlicher Flächen und Wohnungen. DIE LINKE ruft auf, mit JA für die Bürgerinitiative zu stimmen und das Gesetz des Senats mit NEIN abzulehnen.

Lucia Schnell, Sprecherin DIE LINKE.Neukölln

thf

SPD

Wer bezahlbare Mieten will, kann nicht gegen Wohnungsbau sein

KuK ist bisher ausschließlich Sprachrohr der 100%-Tempelhof-Kampagne gewesen. Schön, dass die aktuelle Ausgabe nun auch eine Möglichkeit bietet, Argumente für die Randbebauung des Tempelhofer Feldes zur Diskussion zu stellen.
Das wichtigste: Es geht um Wohnungsbau. Bezahlbare Mieten wird es in Neukölln ohne Wohnungsbau auf Dauer nicht geben. Wir erwarten – konservativ geschätzt – 250.000 mehr Menschen in Berlin bis 2030, davon 20.000 in Neukölln. Mir ist wichtig, dass die Zuziehenden und alle, die schon da sind, menschenwürdig unterkommen und dass die Mieten dabei nicht durch die Decke gehen. Das geht nur mit Wohnungsbau. Mietbremse und Milieuschutz bekämpfen Symptome knappen Wohnraums. Wohnungsbau setzt an der Wurzel an.
In Neukölln brauchen wir bis 2030 ca. 8.000 Wohnungen durch Neubau. Für knapp ein Viertel davon ist der Platz am Rand des Tempelhofer Feldes vorgesehen. Die Hälfte der Wohnungen dort soll von öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften zu Quadratmeterpreisen zwischen 6 und 8,50 Euro vermietet werden. Das schafft ein zusätzliches Angebot auch für Haushalte mit niedrigem Einkommen.
Wer auch in Zukunft in Nord-Neukölln bezahlbaren Wohnraum finden will, darf diesen Wohnungsbau nicht verhindern. Die viel beschworenen Alternativen (Dachgeschoss-Ausbau, Nutzung anderer Freiflächen) reichen bei weitem nicht aus. Außerdem dürfen wir uns nichts vormachen: Wenn das Nimby-Prinzip (»Nicht vor meiner Haustür!«) sich auf dem Tempelhofer Feld durchsetzt, wird es auch andernorts siegen. Wohnungsbau ist eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit, die nicht am Egoismus der Kieze scheitern darf.
Die Tempelhof-Initiative argumentiert inzwischen (ziemlich defensiv), auch ihr Gesetz könne später noch vom Abgeordnetenhaus geändert werden. Das stimmt aber nur formal. Ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz wird die Politik jahrelang nicht anfassen. 100 % Tempelhofer Feld bedeutet deshalb für Berlin 100 % Stillstand. Dazu sollten wir es nicht kommen lassen.

Fritz Felgentreu MdB
fritz.felgentreu@bundestag.de

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Die Grünen

Abstimmen für »100% Tempelhof« gegen die Arroganz des Senats

Sozialer Wohnungsbau sollte im Masterplan nicht verbindlich festgeschrieben werden, eine Quote für erschwingliche Wohnungen sollte es nicht geben, Bürgerbeteiligung nur so weit, dass am Masterplan nichts zu ändern wäre – also nur ein bisschen für die Gestaltung des Parkes. So sahen die Vorgaben der Koalition aus, mit denen sie in die Gespräche über den von den Grünen vorgeschlagenen »Dritten Weg« ging. Wir wollten eine Festlegung auf zwei Drittel Wohnungen für Transferleistungsbeziehende und Geringverdienende, wir wollten außerdem eine Beteiligung, die an den Plänen wirklich etwas ändern könnte, sowie mindestens 250 Hektar öffentliche Freifläche und eine teilweise Unterschutzstellung des Feldes nach dem Naturschutzgesetz. Nach fünf Sitzungen war dann leider klar, dass sich die Koalition aus SPD und CDU in keinem Punkt auch nur minimal bewegen würde.
Und so sieht jetzt der Gesetzestext der Koalition aus, der am 25. Mai gegen das Gesetz der Bürgerinitiative steht: »Das Volksbegehren 100% Tempelhofer Feld geht den falschen Weg« heißt es dort. Und: »Die konkrete Ausgestaltung der geplanten Quartiere an den Außenrändern des Feldes bleibt den gesetzlichen Planungsverfahren vorbehalten«. Damit wird eine echte Bürgerbeteiligung, abgelehnt, in der auch über Alternativen diskutiert würde. Auf die vorgelegten Pläne kann damit kein Einfluss genommen werden. Für das Flughafengebäude gibt es kein Nachnutzungskonzept. Ob und wie viel sozialer Wohnungsbau tatsächlich kommt, ist offen.
Wer sich damit nicht zufrieden geben möchte, sollte das Volksbegehren unterstützen. Die überdimensionierte Wowereit-Gedenk-Bibliothek und die sieben Geschosse hohen Wohnburgen am Tempelhofer Damm können nur mit einem Ja zu »100% Tempelhof« verhindert werden. Die Koalition hat keine Idee, wie sie den Verkehrsinfarkt am Tempelhofer Damm abwenden kann, wenn dort so viele Menschen wohnen werden. Und für uns hier von zentraler Bedeutung: Die drei Reihen Häuser an der Oderstraße müssen verhindert werden.
Der dritte Weg für eine sozialverträgliche und ökologische Entwicklungsperspektive mit offener Bürgerbeteiligung ist an der Koalition gescheitert. Jetzt müssen wir verhindern, dass dieser Senat das nächste Großprojekt startet, bei dem die Kostenexplosion schon abzusehen ist und das den Schillerkiez durch drei Reihen Blocks vom Tempelhofer Feld abriegeln wird.

Susanna Kahlefeld, MdA

»Der Bezirk ist nicht zuständig!«

Aktive Demokraten irritieren die BVV

Immer mal wieder kommt es zu Turbulenzen in der Bezirksverordnetenversammlung, wenn sich das Volk auf den Rängen zu Wort meldet. So auch am 26. März. Ein Besucher wurde mit den Worten: »Wenn Sie ein Mitspracherecht haben wollen, dann gehen Sie doch zurück nach Kreuzberg« vom Vorsitzenden der BVV des Saales verwiesen, die Sitzung wurde unterbrochen.
Vorausgegangen war eine hoch emotionale Debatte um eine große Anfrage der Piraten, die wissen wollten, wie die Anwohner über den Abriss des Kiehlstegs informiert wurden.
Der Bezirk sei nicht zuständig, das sei Sache der Senatsverwaltung, erklärte Baustadtrat Blesing. Im übrigen habe er bei einer Veranstaltung in der Rütlischule im letzten August auf den Abriss hingewiesen. Auch dem Ausschuss für Grünflächen seien die Pläne bekannt gewesen. Dessen Mitglieder hätten die Anwohner ja informieren können, aber »wer zu spät kommt, den bestraft das Leben«, erklärte er süffisant.
Ein weiteres Thema war die Zukunft des Tempelhofer Feldes. Um das Konzept für den sozialen Wohnungsbau ging es in einer großen Anfrage der Grünen. Im Antrag »Gleiche Bedingungen beim Volksentscheid THF« fordern die Fraktionen der Linken und der Grünen, dass die Bürgerinitative »100% Tempelhofer Feld« ebenso wie der Senat auf dem Feld mit Ständen und temporären Bauten für ihren Volksentscheid werben kann.
Auch hierfür, sagte Blesing, sei der Bezirk nicht zuständig. Der Linken warf er vor, mit der Anfrage lediglich Stimmungsmache gegen die Bebauung betreiben zu wollen. In die Werbekampagne der »Tempelhof Projekt GmbH« auf dem Feld solle sich der Bezirk nicht einmischen, erklärte Michael Morsbach (SPD). Der Eigentümer könne mit der Fläche verfahren, wie er es für richtig halte. Der Antrag wurde mit den Stimmen von CDU und SPD abgelehnt.

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Demo vor dem Rathaus.               Foto: ro

Sachlich und ernst ging es bei der Beantwortung einer großen Anfrage der CDU zu, die Auskunft über die Kosten der Demonstration gegen Nazis vor dem Rathaus am 26. Februar verlangte. Die CDU bezweifelte die Sinnhaftigkeit einer solchen Demonstration, da auf diese Weise erst recht die Aufmerksamkeit auf die Rechtsextremen gerichtet würde. Diese Einschätzung fand beim Rest der BVV allerdings keine Resonanz. »Ab wie viel Nazis darf man denn demonstrieren gehen?«, fragte Steffen Burger (Piraten) und antwortete gleich selbst: »Schon wenn ein Nazi da steht, ist es Grund genug hinzugehen.« Wegschauen sei keine Lösung, darin waren sich die meisten Redner einig. Und eine Aufrechnung der finanziellen Aufwendungen gegen die Grundrechte in einer Demokratie  sei ohnehin hoch problematisch.
Es sind 8.000 Euro, die für den Einsatz von Sicherheitskräften und einige zertrampelte Blumen aufgebracht werden müssen.

mr

Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 80 – Sonnabend
04. April 1914
das ende der langen Hutnadeln. Die großen Hüte, die mit der »Lustigen Witwe« ins Land kamen, haben bekanntlich die langen Hutnadeln in Mode gebracht, und obgleich die Hüte seither immer kleiner wurden, haben sich die langen Nadeln doch als recht langlebig erwiesen. Indessen scheint heute doch auch für sie die Todesstunde geschlagen zu haben, denn es gilt bei der eleganten Gesellschaft bereits als ganz unmodern, die kleinen Hüte noch mit solch langen Spießen zu befestigen. In dem langen Krieg, der gegen die Hutnadeln geführt wurde, ist diese zu einer ganzen Geschichte gekommen. Sie war die Ursache einer Reihe polizeilicher Verfügungen, die bemüht waren, ihnen den Garaus zu machen. Zu ihren erbitterten Feinden gehörten auch die Aerzte, die nicht müde wurden, den Verlust des Augenlichtes und entstellende Verletzungen, die auf das Konto der Hutnadeln zu setzen waren, als schreckliche Teufel an die Wand zu malen. Daß diese Beschuldigungen nicht so ganz aus der Luft gegriffen waren, beweist unter anderem die Sammlung langer Hutnadeln, die der frühere Pariser Polizeipräsident Lepine zusammengetragen hat und von denen sich an eine jede eine Schauergeschichte von Mord und Selbstmord und Gewalttaten, die das tückische Objekt verschuldet, knüpft.

Nr. 84 – Donnerstag
09. April 1914
Einen Menschenschädel fand ein Schüler aus der Lichtenraderstraße auf dem Tempelhofer Felde und übergab ihn der Polizei. Bekanntlich läßt die Stadt Neukölln z. Zt. am Rande des Tempelhofer Feldes einen Gehölzstreifen anlegen, aus welchem Grunde der Boden durch einen Dampfpflug in einer Tiefe von 60 Zentimeter umragolt worden ist. Bei dieser Arbeit ist der Schädel anscheinend an die Oberfläche befördert wordend. Woher der Schädel stammt, dürfte kaum aufzuklären sein.

Nr. 93 – Mittwoch
22. April 1914
Waschvorrichtungen auf Bahnhöfen. Es ist mehrfach Klage darüber erhoben worden, daß auf den Bahnhöfen nicht ausreichend für Waschgelegenheit gesorgt ist. Der Eisenbahnminister hat daher die königlichen Eisenbahndirektionen  veranlaßt, zu prüfen, ob die Bahnhöfe mit großem Verkehr, namentlich Übergangsbahnhöfe und solche, bei denen sich ein besonderes Bedürfnis herausgestellt hat, entsprechend mit Waschvorrichtungen ausgerüstet sind; erforderlichenfalls ist für weitere Befriedigung dieses Bedürfnisses im Rahmen der verfügbaren Mittel Sorge zu tragen. Die Ausrüstung kleinerer Bahnhöfe mit besonderen Waschgelegenheiten wird im allgemeinen nicht nötig sein. Sollte hier vereinzelt ein Bedürfnis zum Händewaschen vorliegen, so wird es nach Ansicht der Zentralverwaltung genügen, diesem Bedürfnis durch Vorhaltung von Waschwasser, Handtuch und Seife seitens der Bahnhofswirte oder in anderer geeigneter Weise zu entsprechen. Dabei soll vor allem darauf hingewirkt werden, daß die Gebühren für Händewaschen möglichst niedrig bemessen werden.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Gefährliches Modeac­ces­soire

Ungewöhnliche Verwendungsmöglichkeiten für Hutnadeln

Um die Jahrhundertwende wurden die  Frauenkleider schmaler und enger, die Drapierungen fielen weg. Zum optischen Ausgleich kamen die wagenradgroßen Prachthüte auf, die meist reich mit Straußen- oder Reiherfedern, Blumen und Schleifen geschmückt wurden.  Sie wurden in den wohldurchdachten Frisuren durch bis zu 30 Zentimeter lange Hutnadeln einigermaßen sicher verankert.
Die Nadeln wurden aus Stahl, Leder, Email und geschnitztem Elfenbein gefertigt und die Nadelköpfe aus Gold, Perlen oder großen, farbigen Edelsteinen wie Amethyst oder Topas.

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Ende einer Hutnadel.      Foto: Wikipedia

Hutnadeln fanden gelegentlich aber auch eine andere Verwendung. Bertha Benz benutzte auf der ersten Fernfahrt 1888 nach Pforzheim eine Hutnadel, um eine verstopfte Benzinleitung durchgängig zu machen.
Auch bei der Selbstverteidigung leisteten die Nadeln vorzügliche Dienste. Als 1912 im Generalstreik in Brisbane im australischen Queensland während einer Demonstration eine Gruppe von Frauen und Mädchen von der Polizei bedroht wurde, die mit Bajonetten bewaffnet war, nahm Emma Miller, eine engagierte 73-jährige Gewerkschafterin und Suffragette, ihre Hutnadel und stach damit auf ein Polizeipferd ein. Dieses ging durch und dessen Reiter, ausgerechnet der ranghöchste Offizier, wurde abgeworfen.
In den öffentlichen Verkehrsmitteln stellten ungeschützte Hutnadeln eine ernste Gefahr für die Mitfahrenden dar. In einer Verordnung der preußischen Eisenbahnbehörden heißt es daher: »Das Tragen ungeschützter Hutnadeln innerhalb des Bahngebietes, auf den Stationen und in den Zügen ist verboten und wird bestraft. Nichtachtung dieser Anordnung kann mit Geldstrafe bis zu 100 Mark belegt werden. Auch können derartige Personen von der Mitfahrt ausgeschlossen werden.

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Sensationeller Fund!

Naslinge  – eine bereits verschollen geglaubten Tierart aus der Gruppe der Rhinogradentia

Francoise Didier, eine junge Biologin, die sich auf Kleintierpopulationen städtischer Freiflächen und Brachen spezialisiert hat, macht zur Zeit vergleichende Untersuchungen in Berlin, Madrid, Paris und Rom. Die teilweise erstaunlichen Ergebnisse führen ab und zu nicht nur zum Auffinden bereits als verschollen geltender Arten sondern lassen auch Schlüsse auf die fortschreitenden Veränderungen im Rahmen der Klimaerwärmung zu.

Die von ihr hier aufgefundene, als verschollene geglaubte Art Nasobema lyricum (Naslinge), ursprünglich heimisch auf einem tropischem Archipel, wird nach ihren Aussagen nur noch der Vollständigkeit halber in den zoologischen Grundwerken als taxonomische Gruppe beschrieben.

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Diese wohl nachtaktiven, sehr verborgenen Naslinge weisen eine Größe wie Spitzmäuse auf, ernähren sich von kleinen Insekten und sind nur unter schwierigsten Umständen zu beobachten. Auch Francoise Didier ist es nicht gelungen, ein brauchbares Foto zu schießen. Naslinge treten genauso schnell  in Erscheinung, wie sie wieder weg sind. Francoise Didier geht zur Zeit von drei Exemplaren direkt im Übergang zur S-Bahn aus, die sich durch Größe unterscheiden ließen. Es könnte sein, dass sich entlang der hier gut etablierten Biotopverbindungen eventuell doch eine überlebensfähige Population ansiedeln konnte. Dies wäre eine sensationelle heimischwerdende Art im Rahmen der Klimaerwärmung in Mitteleuropa. Mittels einer Wärmebildkamera gilt es den endgültigen Nachweis zu führen. Francoise Didier bittet um Mithilfe und Unterstützung, welche den sensationellen Fund belegen.

Rolf Siewing (Hrsg.): Lehrbuch der Zoologie. Systematik, Kapitel: Rhinogradentia. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Band 2, G. Fischer, Stuttgart 1985, ISBN 3-437-20299-5
 

Das Nasobēm

Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobēm,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.

Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.

Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobēm.

(Christian Morgenstern)

 

 

 

Statt Rücktrittsforderung Anti-Nazi-Protest

BVV solidarisiert sich mit Anne Helm

Nazidemo_Björn_Smerskand!Protest.                     Foto: Björn Smerskand

Lautstark ging es auf dem Rathausvorplatz zu, als zur Bezirksverordnetenversammlung am 27. Februar einige hundert Demonstranten auf ein Häuflein NPD-Anhänger trafen. Die wollten gegen die Bezirksverordnete Anne Helm von den Piraten demonstrieren, die sich an Protesten gegen den Aufmarsch der Nazis in Dresden anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung der Stadt beteiligt hatte. Im Femenstil hatte sie »Thanks Bomber Harris« auf ihren nackten Oberkörper geschrieben. Gemeint war Arthur Harris, der als Oberbefehlshaber der britischen Bomberstaffeln mitverantwortlich war für die Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Massive Angriffe seitens einiger Presseorgane folgten, sie erhielt Morddrohungen.
Die Nazis, die durch ein großes Polizeiaufgebot geschützt wurden, kamen mit ihren Tiraden nicht gegen den lautstarken Protest der Gegendemonstranten an und verließen den Platz nach einer guten halben Stunde wieder.
Anne Helm, der wegen ihrer Aktion die Verhöhnung der Bombenopfer vorgeworfen wurde, verlas zu Beginn der BVV eine Erklärung. »Ich bedauere meine Aktion und wünsche, ich könnte sie ungeschehen machen. Es war nie meine Intention, die Gefühle von Menschen zu verletzen, schon gar nicht die von Kriegsopfern«, sagte sie. Sie werde ihr politisches Engagement aber trotz der Anfeindungen fortsetzen.
Anschließend wurde Bürgermeister Heinz Buschkowsky sehr deutlich. »Es kann nicht sein, dass ein Mitglied der BVV an einer Demonstration teilnimmt und anschließend mit dem Tod bedroht wird«, sagte er. »Allen, die hier sitzen, gehört der Schutz des Hauses«.Und an die Adresse der Demonstranten auf dem Rathausplatz: »Das letzte Mal haben die Nazis in dem Maß dieses Haus bedroht als Bürgermeister Scholz aus dem Amt gejagt wurde«.

Zwischen Demo und Volksbegehren

Grüne Kritik an den Äußerungen des Baustadtrats Blesing

Die CDU hatte im Vorfeld noch den Rücktritt Anne Helms als Bezirksverordnete gefordert. In der BVV brachten CDU und SPD dann aber eine deutlich entschärfte Entschließung ein, in der Anne Helms Aktion ausdrücklich missbilligt, die gegen sie gerichteten Drohungen aber ebenfalls ausdrücklich verurteilt wurden. Der Antrag wurde ohne weitere Diskussion angenommen, lediglich die Grünen enthielten sich der Stimme. Sie waren der Ansicht, da Anne Helm als Privatperson an dieser Demonstration teilgenommen habe, habe diese Diskussion in der BVV überhaupt nichts zu suchen.

Umso mehr Diskussionsbedarf gab es bei der großen Anfrage der Grünen zum Vorwurf der Unterschriftenfälschung beim Volksbegehren für das Tempelhofer Feld, den Baustadtrat Thomas Blesing kurz vor Schluss des Volksbegehrens erhoben hatte. Jochen Biedermann von den Grünen erklärte die Vorwürfe zu einer Geisterdebatte ohne konkrete Anhaltspunkte oder Belege, die auf  Fälschungen hindeuten würden und forderte von Blesing eine Entschuldigung. Er habe, erklärte Blesing dazu, aus der Senatskanzlei Informationen erhalten, die ihn veranlassten, sofort an die Öffentlichkeit zu gehen.
Besonders kritisierte er die Landeswahlleiterin: »Dass man seitens der Senatsverwaltung auf vorgesehene Eingaben verzichtet, halte ich für unzulässig«, sagte er. »Ich wünsche, dass wir nicht irgendwann ein Volksbegehren haben, das dem Ergebnis des letzten Begehrens in der Schweiz entspricht«, erklärte er in seinem Schlusswort.

mr

 

Mitbestimmen, was vor der eigenen Haustür passiert

Felix Herzog will Bürger und Politiker aufrütteln

Felix_HerzogHerzog bei der politischen Arbeit.    Foto: mr

Als Querulant und Wutbürger wurde er mittlerweile betitelt. Felix Herzog, ein Neu-Neuköllner, der sich den Rummel um seine Person vor einigen Wochen sicherlich selbst noch nicht erträumt hat. Seit er das Volksbegehren zur Abwahl des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit vorbereitet, geht er durch die Presse und eckt auch bei vielen an, die ihn nur für einen Menschen halten, der einfach mal gegen alles ist.
Den Gründer des Internetportals »PlusWG – Vermittlungsbüro von Wohngemeinschaften für Leute ab 50 Jahren» zog es vor drei Jahren aus Weilheim in Oberbayern nach Berlin. Neukölln hatte er sich dabei nicht ausgesucht, weil es hier gerade so »hip« ist, sondern eher zufällig, weil viele seiner Freunde bereits hier lebten und er hier eine passende Wohngemeinschaft fand. »Mit einem gewissen Stolz«, sagt er, sei er Neuköllner.
Politik ist für ihn eine Ausdrucksform, so wie für andere die Kunst. Er möchte etwas bewirken, politische Missstände aufdecken und zu Veränderungen beitragen.
In Berlin habe er mit vielen resignierten Menschen gesprochen, die sich nicht trauen sich einzumischen und den Glauben daran verloren haben, dass sich jeder an der Politik beteiligen könne. »Ich möchte den Leuten durch relativ einfache Wege zeigen, dass man doch etwas bewegen kann«, sagt Herzog.
Sich einmischen, Gesicht zeigen, für politische Veränderungen kämpfen, das macht Herzog bereits seit seiner Schulzeit. Er möchte beweisen, dass es keines politischen Mandats bedarf, um Veränderungen herbeizuführen.
Parteipolitisch ist er nicht gebunden. »Bei dem, was ich machen will, würde mich eine Partei nur einschränken«, ist seine Begründung. Seine Initiative nennt er »Außerparlamentarische Ergänzung« (APE). Damit will er ausdrücken, dass er sich nicht in Fundamentalopposition zur Regierung und zum Parlament befindet. Deren Arbeit akzeptiert und respektiert er durchaus, aber daneben möchte er »ein drittes Standbein« aufbauen, um den Bürgern mehr direkte Einflussmöglichkeit auf Entscheidungen der Politik zu geben. »Die Leute sollen mitbestimmen können, was vor der eigenen Haustür passiert.«
Die Politiker andererseits sollen dazu veranlasst werden, sich mehr mit den Problemen der Bürger zu beschäftigen. »Wir wollen mit den Abgeordneten ins Gespräch kommen.« Die halten sich bisher allerdings noch eher zurück.
Mehr Bürgerbeteiligung bedeutet für Felix Herzog dann aber auch, dass sich der Kreis derer erweitert, die mitentscheiden können. Daher setzt er sich dafür ein, dass hier lebende Ausländer das Wahlrecht bekommen. Er ist davon überzeugt, dass die Möglichkeit, an politischen Entscheidungen mitzuwirken, zu einer größeren Integrationsbereitschaft der hier lebenden Ausländer führen würde. Andererseits erwartet er dadurch auch ein größeres Interesse der Politik an den Problemen der Ausländer, wenn sie zu Wählern werden.
Bei der Unterschriftensammlung für das Volksbegehren Tempelhofer Feld war er beeindruckt über das Erstaunen vieler ausländischer Mitbürger, die nicht unterschreiben durften. »Ich hörte Sätze wie: ‘Ja, aber ich lebe doch schon seit zwei Jahren hier, dies ist meine Heimat, wieso darf ich nicht mitentscheiden?‘ Das war schon krass.« Berlin könnte ein interessantes Versuchsfeld für neue politische Ideen werden, davon ist er überzeugt, und daran möchte er mitwirken.
Er höre viele Stimmen, die sagen, dass zu viel falsch laufe in dieser Stadt und mit dieser Regierung. Denen will er mit seinem Volksbegehren zur Abwahl des Regierenden Bürgermeis­ters Gehör verschaffen. 

km/mr

Kein Wasserbecken auf dem Tempelhofer Feld

Verwaltungsgericht gibt Eilantrag des BUND gegen Parkplanung statt

WasserbeckenNoch kein Badetümpel für Ente & Co. Foto: mr

Das Berliner Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage des Berliner Landesverbandes des »Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland« (BUND) gegen die umstrittene Baugenehmigung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt für den Bau des Wasserbeckens, der geplanten Aufschüttung einer »Landform« zwischen den beiden Landebahnen und den Bau eines Rundweges auf dem Tempelhofer Feld angeordnet. Der »BUND Berlin« hatte im November Klage gegen die Bauvorhaben eingereicht, da die im Umwelt- und Planungsrecht vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung und Prüfung von Alternativen missachtet worden sei und insbesondere Landform und Rundweg zu gravierenden Eingriffen in wertvolle und gesetzlich geschützte Biotope führen würden.
Tilmann Heuser, Landesgeschäftsführer des »BUND Berlin e.V.«: »Mit dem heutigen Beschluss bestätigt das Gericht unsere grundlegende Kritik an der Parkplanung für das Tempelhofer Feld. Die für Umwelt und Naturschutz zuständige Oberste Landesbehörde missachtete mit ihrer Baugenehmigung die Vorgaben aus dem Umwelt-, Planungs- und Naturschutzrecht, um den umstrittenen landschaftsarchitektonischen Entwurf für die Parkplanung zu realisieren.«
Der »BUND« fordert den Berliner Senat dazu auf, die Baugenehmigung für Wasserbecken, Landform und Rundweg zurückzuziehen und endlich ein offenes und transparentes Verfahren für die Weiterentwicklung der einzigartigen Freifläche zu starten. Tilmann Heuser: »Bürgerbeteiligung im 21. Jahrhundert bedeutet nicht nur, dass Bürgerinnen und Bürger in zahlreichen Veranstaltungen Planungen kommentieren dürfen. Es müssen auch ernsthafte Alternativen hinsichtlich des Ob und Wie offen und transparent diskutiert, gesetzliche Regelungen zum Erhalt des wertvollen Natur- und Erholungsraumes konsequent beachtet werden.«
Insofern erwartet der »BUND Berlin« auch, dass in einem alternativen Gesetzentwurf des Berliner Abgeordnetenhauses zum Volksentscheid am 25. Mai nicht nur ein Teil der einzigartigen Freifläche geschützt, sondern auch für die geplanten Baufelder ein ergebnisoffenes Beteiligungsverfahren festgesetzt werde. Dabei müsse auch das »Ob« einer Bebauung insbesondere auf der Neuköllner Seite und entlang der Autobahn hinterfragt werden. 

pr

Ein dritter Weg für die Randbebauung gesucht

Viele Gruppen präsentieren ihre Ideen zum Feld

Bauen wollen sie alle auf dem Tempelhofer Feld, die einen mehr, die anderen weniger, aber mit dem Masterplan von Bausenator Müller ist trotzdem keiner so recht zufrieden.
Die Grünen hatten am 27. Februar zu einer Expertenrunde ins Abgeordnetenhaus geladen, um über die Möglichkeit eines dritten Weges zwischen den Forderungen der Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« und den Vorstellungen des Senats zu diskutieren. Ihr Plan ist es, beim Volksentscheid am 25. Mai einen parteiübergreifenden Gegenentwurf zur Wahl zu stellen.

thf_weiteWeite – noch ist sie unverbaut.                                        Foto: fh

»Gut läuft es für »Tempelhof 100«, schlecht für den Masterplan«, erklärte Aljoscha Hofman von »Think Berlin«. Es sei bisher vollkommen versäumt worden, über die Vernetzung der neu geplanten Stadtteile mit den an sie anschließenden Kiezen nachzudenken. Außerdem fehle ein Konzept für das alte Flughafengebäude.
Mario Hilgenfeld vom »Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen eV« (BBU) erklärte in schöner Offenheit, eine aufgelockerte Bebauung werde es nicht geben, das sei überhaupt nicht finanzierbar.
Staatssekretär Ephraim Gothe versicherte, dass im Gesetzentwurf, den die Koalition vorbereitet, der große Innenbereich als Freifläche festgeschrieben werde, an den Rändern aber gebaut werden solle. Er verstieg sich zu der Metapher des Feldes als Baum und der Randbebauung als lebensspendende Borke.
Christine Edmaier, die Präsidentin der Architektenkammer Berlin, ging noch einen Schritt weiter. Sie forderte, das Tempelhofer Feld zu einem Experimentierfeld für innovative Entwicklung zu machen. Dabei solle aber der Grünanteil nicht festgeschrieben werden, denn »dann kann man ja nichts mehr machen«. Jochen Brückmann von der IHK wiederholte die Behauptungen des Senats, ein Sieg der Bürgerinitiative bedeute 100 Prozent Stillstand, weil dann nichts mehr auf dem Feld verändert werden dürfe.
Lediglich Tilman Heuser vom »BUND« plädierte dafür, das Feld auch in Zukunft als Freifläche zu erhalten. Es sei ein einmaliges Gelände, um das Berlin von vielen Metropolen der Welt beneidet würde. Der Gesetzentwurf von »100% Tempelhofer Feld« bedeute im übrigen keineswegs Stillstand. Außerhalb der geschützten Wiesenflächen sei Platz für vielerlei Aktivitäten, ebenso für Sportplätze, Sanitäranlagen und dergleichen. Lediglich auf die Bebauung solle verzichtet werden.
Einig waren sich allerdings alle in der Einschätzung, dass es dem Einsatz der Bürgerinitiative zu verdanken sei, dass jetzt stadtweit über das Feld diskutiert werde. Viel wäre schon gewonnen, wenn noch einmal völlig neu geplant würde, dann aber auch mit echter Bürgerbeteiligung. 

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Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 59 – Mittwoch
11. März 1914
Frühjahrsmüdigkeit nennt man im Volke jenen schlaffen, körperlichen Zustand, der sich gewöhnlich noch vor dem kalendermäßigen Frühlingsbeginn einstellt und oft wochenlang anhält. Selbst kräftige Menschen, die sonst selten über Müdigkeit klagen, empfinden zu dieser Zeit, daß ihnen »Blei in den Gliedern liegt«, wenn sich dazu nicht gar rheumatische Schmerzen und Kopfschmerzen bemerkbar machen. Die Ursachen dieses körperlichen Mißbehagens, das auch noch in großem Schlafbedürfnis bei den einen, in Schlaflosigkeit bei den anderen seinen Ausdruck findet, liegen in der Veränderung der körperlichen Gewebe und Organe, welche sich auf die sommerliche Zeit vorbereiten. Sie dehnen sich zunächst aus. Die gleichzeitige Ausdehnung von tausend und abertausend kleinsten Einzelteilchen des Körpers ruft jedoch eine förmliche Revolution im Körper hervor, die die fühlbare Erschlaffung sehr begreiflich macht. Auch ist die Möglichkeit vorhanden, daß das Blut eine entsprechende Veränderung in der Zusammensetzung wie im Umlauf erfährt. Schwächliche Menschen sollten sich jetzt vor allem Ueberhasten besonders hüten und ab und zu ein paar Minuten zwischen der Arbeit ausruhen.

Nr. 72 – Donnerstag
26. März 1914
Neue Rohrpostverbindungen in Groß-
berlin. Den Klagen über ungenügende Rohrpostverbindungen zwischen Berlin und den Vororten will die Reichspostverwaltung jetzt Rechnung tragen. Nachdem vor einigen Monaten Steglitz an das Rohrpostnetz Berlins Anschluß erhalten hat, sollen jetzt auch Grunewald, Lichtenberg und Weißensee angeschlossen werden. Pankow wird voraussichtlich im nächsten Jahre Rohrpostverkehr mit Berlin erhalten.

Nr. 74 – Sonnabend
28. März 1914
Das Besteigen einer höheren Wagenklasse bei Platzmangel auf der Stadtbahn betrifft eine Verfügung der Eisenbahndirektion, die sich gegen den vielverbreiteten Irrtum richtet, man dürfe bei Platzmangel auf eine Fahrkarte dritter Klasse in zweiter Klasse fahren. Man hört in solchen Fällen oft die Entschuldigung, ein Stationsbeamter habe jene Fahrgäste wegen Platzmangels in die zweite Klasse verwiesen, wie dies im Fernverkehr ausnahmsweise zugelassen ist. Im Berliner Stadt= und Vorortverkehr ist dies völlig ausgeschlossen, denn hier ist es den Beamten direkt verboten, Reisenden bei Platzmangel die Fahrt in höherer Klasse mit Fahrkarten niedrigerer Klassen ohne vorherige Lösung der entsprechenden Zusatzkarten zu gestatten.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Die Post im Untergrund

Die Berliner Rohrpost

Die erste Berliner Rohrpoststrecke zwischen dem Haupttelegrafenamt in der Französischen Straße und dem Börsengebäude in der Burgstraße wurde am 17. November 1865 eröffnet. Etwa 60 Zentimeter unter der Straßenoberfläche verliefen die Rohrleitungen, durch die mittels Luftdrucks Briefe, Telegramme, Postkarten oder kleine Pakete von einer Sendestation zu einer Empfangsstation befördert wurden.
1881 wurden Charlottenburg, Schöneberg und Kreuzberg angeschlossen, Neukölln folgte 1908. Bis 1935 war das Netz auf 400 Kilometer angewachsen und verband Postämter, Ministerien, Zeitungsredaktionen, Banken und wichtige Büros.

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Foto: Berliner Unterwelten

Die Rohrpostbüchsen wurden meist zu Zügen zusammengestellt und verkehrten nach einem genau festgelegten Fahrplan. Ein Rohrpostbrief kostete 30 Reichspfennige, ein normaler Brief nur fünf. Trotz der höheren Tarife erfreute sich die Stadtrohrpost höchster Beliebtheit, denn sie war unschlagbar schnell und sie war,  im Gegensatz zu Telegrafie und Telefonie, abhörsicher. Ungehindert vom oberirdischen Verkehrschaos sausten die  Sendungen mit bis zu 30 Stundenkilometern ihrem Bestimmungsort entgegen. Ein Rohrpostbeamter verlud, leitete und entlud die »Bömbchen« und sorgte für das pünktliche Eintreffen der Sendungen.  Vom Postamt zum Empfänger übernahm dann der Eilbote. Innerhalb von nur einer Stunde konnten so Informationen sicher ihren Besitzer wechseln.
Zu Beginn der dreißiger Jahre wurde die Anlage komplett modernisiert. Dank elektrischer Weichensteuerung konnten die Büchsen jetzt ohne Zwischenstopp ihr Ziel selbständig ansteuern. Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit wurde verdoppelt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Niedergang der Rohrpost. Die Entwicklung des Fernschreibers und die Ausbreitung des Telefons ließen den Betrieb immer unwirtschaftlicher  erscheinen.  Die Teilung der Stadt tat ein Übriges. 1961 ließen die DDR-Behörden alle Rohre in den Westteil kappen. 

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Das Volksbegehren ist erfolgreich

Senat zeigt sich als schlechter Verlierer.

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Sie haben es geschafft! Bis zum letzten Moment standen die Unterschriftensammler für das Volksbegehren zum Erhalt des Tempelhofer Feldes auf den Straßen oder waren in U- und S-Bahnen unterwegs. Am Ende konnten sie mehr als 233.000 Unterschriften bei der Landeswahlleitung abgeben.  Gültig waren davon 185.328. Damit ist das Quorum für ein Referendum geschafft, der Weg für den Volksentscheid ist frei.
Zu verdanken ist dieser Erfolg nicht nur den Aktiven der Bürgerinitiative »100 % Tempelhofer Feld«. Viele Berliner Bürger haben sich mit Unterschriftenlisten eingedeckt und sammelten im Freundes- oder Kollegenkreis. Die höchste Unterstützung mit 18,6 Prozent der Stimmberechtigten gab es in Friedrichshain-Kreuzberg, dicht gefolgt von Tempelhof-Schöneberg mit 15,9 und Neukölln mit 15,8 Prozent. Mit 1,5 Prozent war das Interesse in Marzahn am geringsten.
Bausenator Michael Müller hatte noch in der Woche vor dem Abgabetermin das Scheitern des Volksbegehrens verkündet, aber wie bei den vorangegangenen Volksbegehren vom Wassertisch oder vom Energietisch hatten viele Sammler bis zum Schluss gewartet, um ihre Listen im Kampagnenbüro abzuliefern.
Das reichte offensichtlich aus, die Politik das Fürchten zu lehren. Neuköllns Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) verstieg sich sogar dazu, der Initiative kriminelle Machenschaften vorzuwerfen. In einem Interview mit dem RBB unterstellte er den Sammlern, sie hätten massenhaft Unterschriften gefälscht. Der Hinweis darauf sei bereits am Montag nach Abgabetermin aus der Senatskanzlei gekommen. Beweisen konnte er das aber nicht. Die Landeswahlleiterin wies diese Vorwürfe auch umgehend zurück. Unterschriften seien nicht allein deshalb ungültig, weil das Geburtsdatum fehle. Wenn die Daten zweifelsfrei zugeordnet werden können, sei die Unterschrift zu werten, dazu gebe es ein entsprechendes Gerichtsurteil. Im übrigen sei bei keinem der bisherigen Volksbegehren diese Praxis beanstandet worden. Außerdem sei es nur ein ganz kleiner Prozentsatz, bei dem das Geburtsdatum fehle.

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Unterschriftensammler.  Foto: mr

Trotzdem gab es viele ungültige Stimmen. Viele Feldliebhaber haben unterschrieben, die entweder keinen ersten Wohnsitz in Berlin haben oder nicht im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind. Damit bleibt ihre Stimme ungehört. In der nächs­ten Stufe können jetzt die Berliner Bürger an der Wahlurne über die Zukunft des Tempelhofer Feldes entscheiden. Die Bürgerinitiative setzt sich mit ihrem Gesetz dafür ein, das Feld komplett als Ort für Erholung und Freizeitgestaltung und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu erhalten. Das heißt aber keineswegs, dass hier keine Entwicklung mehr möglich ist, wie Senator  Müller nicht müde wird zu behaupten. Lediglich der Verkauf von Flächen und die großräumige Bebauung wird abgelehnt.
Der Senat dagegen will das Feld mit einer »behutsamen Randbebauung« entwickeln. Dazu soll entlang der S-Bahn und des Tempelhofer Damms auf etwa 70 Prozent der geplanten Baufläche ein breiter Riegel von Gewerbeimmobilien entstehen. Die restlichen 30 Prozent sollen landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden, gerade die Hälfte für eine Kaltmiete von 6,50 bis 8,50 Euro. Der Rest wird deutlich teurer werden. Auch auf Neuköllner Seite sollen rund 1.700 Wohnungen entstehen. Welche Bauherren zum Zuge kommen sollen, darüber ist bisher noch nichts bekannt. Daneben soll auf der Tempelhofer Seite für geplante 270 Millionen Euro die neue Zentral- und Landesbibliothek entstehen. Die inneren Wiesenbereiche von etwa 230 Hektar sollen laut Senator Müller »noch lange unbebaut bleiben«.Wie lange, sagt er nicht.

mr

 

EU-Sozialkommissar besucht Neukölln

Große Anstrengungen bei der Förderung von Zuwandererkindern

Einen Massenauflauf von Journalisten verursachte der Besuch des EU-Sozialkommissars László Andor in der Hans-Fallada-Grundschule in der Harzer Straße. Er wollte sich über die Situation der Zuwanderer aus Südosteuropa in Neukölln informieren.
Begleitet wurde er von der Neuköllner Bildungsstadträtin Franziska Giffey,  der Staatssekretärin für Arbeit, Integration und Frauen in Berlin Barbara Loth und dem parlamentarischen Staatssekretär im Umweltministerium Florian Pronold.
In dieser Schule lernen überdurchschnittlich viele Kinder nichtdeutscher Herkunft. Von 420 Schulkindern haben 280 einen Migrationshintergrund. Dabei, so betonte Giffey im Gespräch, seien an dieser Stelle nur die Kinder, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, gemeint. In der Gesamtsumme der Schüler gäbe es jedoch etliche Kinder, die zwar im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft, aber der deutschen Sprache nicht mächtig seien.
Der Schulleiter Carsten Paeprer beschrieb die Entwicklung der letzten Jahre. So sei es ihm gelungen, mehrere rumänisch-muttersprachliche Sozialarbeiterinnen und Lehrerinnen einzustellen. Es gibt Kinder, die ohne Deutschkenntnisse im Bezirk ankommen und in ihrem Heimatland keine Schule besucht haben. Diese Schüler werden speziell gefördert, sprechen inzwischen gut deutsch und fühlen sich heute sehr wohl. Problematisch sind jedoch die Kinder, die gar keine Schule besuchen. Keiner weiß, wie hoch diese Zahl ist.gruppenbild_mit _dame

Prominenz in Neukölln. Foto: ro

László Andor, der sich für das EU-Recht auf Freizügigkeit ausspricht, wies auf den demografischen Wandel in Deutschland hin, erkennt aber auch die Probleme, die Zuwanderung mit sich bringen kann. »So können Zuwanderer beispielsweise eine große Belastung in den Bereichen Bildung, Wohnraum und Infrastruktur auslösen.« Pronold sicherte zur Freude Giffeys zusätzliche Mittel für Projekte mit Zuwanderern aus dem EU-Ausland zu.

romahausgemälde»Arnold-Fortuin-Haus« – Gemälde an der Rückseite.Foto: fh

Gelungene Integration kann nicht nur in der Schule stattfinden. Die Neuköllner Bildungsstadträtin wies auf die Wohnverhältnisse hin. Nur in guten Wohnverhältnissen können Kinder lernen. Im Anschluss an die Veranstaltung in der Hans-Fallada-Grundschule besichtigte die Gruppe das benachbarte »Arnold-Fortuin-Haus«. Hier leben vorzugsweise Roma. Bis 2011 war der Wohnblock eine Schrottimmobilie, in der Menschen auf Matratzen nahezu stapelweise wohnten. Die »Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft« setzte den Gebäudekomplex wieder instand, tauschte Müll gegen Blumen und richtete einen Treffpunkt für die Roma-Familien ein.
Benjamin Marx von der Wohnungsbaugesellschaft zeigte den Gästen die Kunst der Roma. Ein Raum wird ausgefüllt mit einem überdimensionalen Herz. Roma von hinten nach vorne gelesen heißt Amor und steht für die Zuwendung, die jeder Mensch braucht. Bemerkenswert sind die Hausmalereien, die von den Roma angefertigt wurden. Aus der einstigen ­Schrottimmobile ist so ein schicker Wohnkomplex mit 137 Wohnungen für etwa 600 Menschen entstanden, mit dem die Bewohner sorgfältig umgehen.

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Mieten- und Wohnungspolitik in Neukölln

Mittel und Wege, um gegen Mietsteigerungen und Wohnraumverknappung vorzugehen

Die Mieten im Bezirk steigen, Wohnraum wird immer knapper. Das ist ein Thema, das vielen Menschen unter den Nägeln brennt.
Der DGB-Kreisverband Neukölln hatte daher am 21. Januar ins »Haus der Familie« in der Glasower Straße geladen, um über die Mieten- und Wohnungspolitik Neukölln zu diskutieren.
Die Situation auf dem Neuköllner Wohnungsmarkt sei äußerst angespannt, erläuterte Hermann Werle von der »Berliner Mietergemeinschaft«. Inzwischen seien nur noch 1,4 Prozent der Wohnungen nicht vermietet, das gleiche bereits einem Notstand. Ein Grund dafür sei der fehlende Wohnungsbau. Peter Kreibel von der »IG-BAU« meinte dazu, noch vor zweieinhalb Jahren habe der Senat verboten, über Neubau überhaupt nachzudenken. Stattdessen wurden tausende Häuser abgerissen.
Verschärft wird die Entwicklung aber auch durch den Verkauf landeseigener Wohnungsbaugesellschaften sowie durch die verstärkte Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen.mieten

Das Podium informiert die Zuhörer .              Foto: mr

Neubau könne nur ein Teil eines umfassenden Handlungskonzepts sein, erklärte Willi Laumann vom »Bündnis Bezahlbare Mieten Neukölln/Berliner Mieterverein«. Auch die Steuerungsinstrumente, die das Bundesbaugesetz enthalte, könnten, richtig angewendet, hilfreich sein. Renditeorientierten Fonds könnte der Bezirk beispielsweise durch den Einsatz der Milieuschutzverordnung das Leben wenigstens etwas ungemütlicher machen.
Allerdings schützt die Milieuschutzverordnung zwar vor Luxusmodernisierung und Umwandlung in Eigentum. Gegen die normalen Mieterhöhungen, die viele Mieter bereits in Schwierigkeiten bringen, hilft sie nicht. »Besonders Geringverdiener müssen bereits bis zu 50 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Kosten der Wohnung aufwenden«, sagte Werle, »und die können sich ihren Kiez dann nicht mehr leisten.« Außerdem ignoriere die Durchmischung, die von der Politik gerne gefordert werde, die bestehenden Strukturen eines Kiezes und verdränge vorhandene Netzwerke.
Jochen  Biedermann, Vorsitzender im Ausschuss für Stadtentwicklung und Bezirksverordneter der Grünen, kritisierte das vom Senat geplante Programm zur Förderung von 1.000 Wohnungen pro Jahr als Tropfen auf den heißen Stein. Das seien gerade einmal 83 Wohnungen pro Bezirk.
Grundsätzlich müsse bei Neubauvorhaben aber gründlich darüber nachgedacht werden, ob tatsächlich jede freie Fläche ausgenutzt werden müsse, oder ob nicht auch  Grünanlagen oder Kleingärten wichtige Voraussetzungen seien für die Qualität des Wohnumfelds.
Aber – und da waren sich alle Diskutanten einig – die Bürgerbeteiligung müsse dringend verbessert werden. Mit einer Anzeige in der Presse, dass der Bebauungsplan irgendwo ausliege, sei es nicht getan.

mr

Auf gute Zusammenarbeit

Das Quartiersmanagement Donaustraße-Nord verbessert den Zusammenhalt im Kiez

Gegenwärtig wird heiß diskutiert, welche politischen Instrumente und Maßnahmen am besten  geeignet sind, der zunehmenden Verschlechterung der sozialen Situation und der Lebensbedingungen in Neukölln entgegenzuwirken. Der Bezirk setzt dabei schon seit langem auf das Instrument des Quartiersmanagements (QM). Seit 1999 wurden insgesamt elf Quartiersmanagementbezirke in Neukölln eingerichtet. Diese Gebiete zeichnen sich durch einen besonderen Entwicklungsbedarf aus. Die Indikatoren dafür sind unter anderem hohe Arbeitslosigkeit, ein hoher Anteil an Familien, die von Transferleistungen abhängig sind, Kinderarmut, Bildungsferne sowie ein hoher Migrantenanteil. Ziel des Quartiersmanagements ist eine nachhaltige Verbesserung des Wohn- und Lebensumfelds in den jeweiligen Gebieten.

team280114Das Team des QM Donau-Nord.   Foto: rb

Das QM Donaustraße-Nord startete im Jahr 2009 und ist damit eines der jüngeren in Neukölln. Sein Gebiet wird im Westen durch die Karl-Marx-Straße, im Norden durch den Hermannplatz, im Osten durch die Sonnenallee und im Süden durch die Erkstraße begrenzt. Das QM unterstützt eine Vielzahl größerer und kleinerer Projekte im Kiez mit Fördermitteln aus dem Programm »Soziale Stadt«. Für kleinere Aktionen wie Hoffeste, Tanzveranstaltungen oder ähnliches kann auch kurzfristig Geld zur Verfügung gestellt werden. Für größere Projekte, die meist über mehrere Jahre angelegt sind, steht ein Projektfonds zur Verfügung. Zwei Drittel der Mittel fließen in Bildungsprojekte. Geförderte Projekte sind zum Beispiel der Jugendstadtteilladen Hobrechtstraße oder die Nachmittagsbetreuung an der Ernst-Abbe-Schule. Besonders stolz ist Juliane Willerbach, Mitarbeiterin im Team des QM Donaustraße-Nord auf das Elterncafé an der Rixdorfer Schule. Die ehemalige Hausmeis­terwohnung der Schule wurde zu einem vielfältig nutzbaren Treffpunkt umgestaltet und ist für verschiedene Kurse und Treffen für Bewohnergruppen aus der Nachbarschaft offen, unter anderem findet dort jeden letzten Freitag im Monat ab 9 Uhr ein Frauenfrühstück statt.
Juliane Willerbach will noch mehr Bewohner des Quartiers miteinander ins Gespräch bringen. Wichtigstes Gremium hierfür  ist der Quartiersrat. Er besteht mehrheitlich aus Bewohnern, die übrigen Mitglieder sind Vertreter aus Schulen, Vereinen, Kulturinstitutionen und Gewerbetreibende. Die Mitglieder des Quartiersrats nehmen Einfluss darauf, was schwerpunktmäßig im Gebiet verbessert werden soll. Die regelmäßigen Quartiersratssitzungen sind öffentlich. Juliane Willerbach ruft ausdrücklich zur Teilnahme auf: »Jeder ist herzlich eingeladen, an der Gestaltung des Quartiers mitzuwirken«. Die nächste Sitzung findet am 20. März um 19 Uhr im Quartiersbüro statt.

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QM Donaustraße-Nord, Donaustraße 7, 12043 Berlin, Tel.: 346200-69/-70, e-mail: info@qm-donaustrasse.de, Sprechzeiten: Di 16:00-18:00 und Do 10:00-12:00

Weihnachtstiere in Not

Die etwas andere Partnervermittlung

Alle Jahre wieder meldet das Tierheim am zweiten Weihnachtstag, wie viele Tiere über die Feiertage abgegeben wurden. Letztes Jahr waren es elf. Würde das Tierheim erst im neuen Jahr eine Pressemitteilung herausgeben, hätte sich die Zahl potenziert, denn die Silvesterknallerei animiert so manches Haustier, das Weite zu suchen. Wenn Katzen Glück haben, werden sie gefunden und im Kiez abgegeben, wo sich jemand um sie kümmert.
Da wäre zum Einen:
»Katzen in Not e.V.« mit einer Katzenwohnung in der Emser Straße. Seit 18 Jahren  kümmert sich Ingrid Claus-Noto um ausgesetzte, weggelaufene, herrenlose Stubentiger von klein bis groß und von sehr unterschiedlichen Rassen. Die Katzen und Kater werden dort erst einmal tierärztlich versorgt und kastriert. Wer ein Tier zu sich nehmen will, wird überprüft, um sicher zu gehen, dass das Tier in ein artgerechtes Zuhause kommt. Wer sich erst einmal ausprobieren möchte, ob er eine jahrelange Partnerschaft eingehen will, kann ehrenamtlich mitarbeiten oder eine Partnerschaft für ein Tier übernehmen.

Straßenkatze (6)Ein Plüschotherapeut wartet aus seinen Einsatz.Foto: mr

Claus-Noto steht auch für Beratungen bereit, wie mit Katzen umgegangen werden soll.
Zum Anderen gibt es »Samtpfoten e.V.«, der sich als Tierschutz- und Tierrechtsorganisation versteht. Der Laden in der Schudomastraße 9/10 ist ein Paradies für Katzen. Sie leben in verschiedenen Räumen, in der Eingewöhnungsphase in großen Volieren. »Samtpfoten e.V.« hat eine eigene Ernährungsphilosophie, nach der sie die Katzen umstellen. Ihnen ist es wichtig, dass Katzen möglichst nicht einzeln weggegeben werden, sondern ihren gesellschaftlichen Zusammenhalt behalten. Auch hier wird erst einmal dafür gesorgt, dass Neuankömmlinge tierärztlich behandelt und kastriert werden. Auch hier können Patenschaften übernommen werden.
In Neukölln gibt es auch Tierarztpraxen, die sich um Streuner, zurückgelassene oder ausgesetzte Tiere kümmern.
Wer sich erst einmal körperlich mit dem Gedanken anfreunden will, einen Plüschotherapeuten zu sich zu nehmen, kann bei einem Besuch des Katzencafés in der Thomasstraße 53 die Erfahrung machen, wie es ist, wenn das Kaffeetrinken und Zeitung­lesen von Vierbeinern begleitet wird, die darum buhlen, Streicheleinheiten zu bekommen. 

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Samtpfoten e.V.:
www.samtpfoten-neukoelln.com
Tel.: 684 08 270
Katzen in Not:
www.katzen-in-not-berlin.de

Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 31 – Freitag
6. Februar 1914
Durch die mutvolle Tat eines Schutzmanns wurde drohendes Unheil verhütet. Der Bäcker Gustav Stenzel aus Waßmanndorf hatte seinen mit zwei Pferden bespannten Brotwagen kurze Zeit in der Friedelstraße ohne Aufsicht stehen lassen, um Brot auszutragen. Plötzlich wurden die Pferde scheu, gingen durch und rasten in wildem Galopp die Friedelstraße in der Richtung nach der Kaiser Friedrichstraße entlang. An der Ecke der Lenaustraße warf sich der Schutzmann Guse den Durchgänger entgegen, fiel ihnen in die Zügel und brachte sie, nachdem er etwa 20 Meter mit fortgeschleift worden war, auch glücklich zum Stehen. Erfreulicherweise ist der mutvolle Beamte ohne ernste Verletzungen davongekommen.

Nr. 33 – Sonntag
8. Februar 1914
Die städtischen Eiswerke haben bei der letzten Frostperiode etwa 100.000 Zentner Natureis eingeerntet. Das Eis ist von guter Beschaffenheit und eignet sich vorzüglich für Kühlzwecke. Außer dem Natureis können täglich 1000 Ztr. Kristalleis aus destilliertem Wasser hergestellt werden. Die Eisernte setzt die städtischen Eiswerke in die Lage, ganz Neukölln auch bei dem wärmsten Sommer mit Eis zu versorgen. Im Interesse der Bürgerschaft liegt es daher, ihren Eisbedarf nur von solchen Eishändlern zu beziehen, welche das Eis aus den städtischen Eiswerken entnehmen, da ihr die Einnahmen des Werkes mittelbar wieder zugute kommen. Die Wirtschaftsdeputation für die städtischen Eiswerke hat unter der Voraussetzung, daß Jahresabschlüsse getätigt werden, die Preise für Natureis ab Werk auf 50 Pfg. pro Zentner und für Kunsteis ab Werk für die Zeit bis zum 30. Mai auf 60 Pfg., vom 1. Juni bis zum 30. August auf 65 Pfg. und vom 1. September bis zum Schlusse des Jahres wiederum auf 60 Pfg. pro Zentner festgesetzt. Die Detailpreise für die Lieferung frei Haus bewegen sich zwischen 60 und 80 Pfennigen pro Zentner.

Nr. 36 – Donnerstag
12. Februar 1914
Für die Anlage des Körnerparks sind die hohen Stirnmauern, die sich längs der Neuen Jonasstraße und der Schierkestraße hinziehen, nunmehr größtenteils fertiggestellt; gegenwärtig sind die Steinmetze mit der Herstellung der die Mauern krönenden Balustraden beschäftigt. An der Ecke der Selke= und Neuen Jonasstraße in unmittelbarer Nähe der 11. und 12. Gemeindeschule ist die große Treppenanlage, die hier infolge der Niveauunterschiede erforderlich wird, im Entstehen begriffen; sie gelangt in ähnlicher Weise zur Ausführung wie die nur für den Fußgängerverkehr bestimmten Straßenanlagen in altdeutschen Gebirgsstädten. Auch die Hand des Gärtners ist mit der weiteren Herrichtung des Parkes beschäftigt. Die Schierkestraße erhält auf der Südseite zwischen dem Stubenrauchplatz und der Ilsestraße einen breiten Schmuckstreifen, der sich zwischen Fahrdamm und Bürgersteig hinzieht.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Eis ohne Kühlschrank

Natureisernte für die Lebensmittelkühlung auf Berliner Seen

Haushalte, Obsthandlungen, sie alle brauchten Eis für die Kühlung. Es gab ja keine Kühlschränke.
Die großen Eisfabriken mussten sich ihr Eis im Winter von den Seen rund um Berlin besorgen und in kalten Speichern lagern. Je sauberer das Wasser war, um so besser war auch die Qualität des Eises.

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Das Quadrieren mit dem Eispflug und das Flößen von Eisplatten. 
Bild aus der Zeitschrift »Gartenlaube«

Das Eis auf den Seen musste mindestens eine Stärke von zehn Zentimetern haben, bevor es geerntet werden konnte. Die großen Eisflächen wurden zersägt, denn Zerbrechen oder Zerschlagen der Eis­decke lieferte zu viel Abfall,  außerdem war für Transport und Lagerung die regelmäßige Viereckform des Eises am besten geeignet. Zuerst zog daher ein Eispflug tiefe rechtwinklig einander kreuzende Furchen von 60 Zentimetern  Breite und einem Meter Länge  über die blanke Fläche. Die so markierten Stücke wurden anschließend ausgesägt und an Land geschwemmt, wo sie in riesigen 12 bis 14 Meter hohen Speichern aufgeschichtet wurden.  Durch den ungeheuren Druck, dem besonders die unteren Schichten ausgesetzt waren, fror das Eis zu einem einzigen Block zusammen, der auch noch der Wärme des Sommers standhielt.

Von besonderer Bedeutung war aber die Konstruktion der Speicher. Die Wände bestanden aus zwei dicken Holzwänden mit einer dazwischen liegenden fußdicken Isolationsschicht aus Sägespänen, die vor Sonneneinstrahlung schützte.  Das Eis im Speicher wurde ebenfalls dick mit Sägespänen bedeckt.
Für den Gebrauch in den warmen Monaten  musste die kompakte Masse mit Brechstangen wieder zerkleinert werden. 

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Mit Absperrband gegen Senatspläne

Bürgerinitiative markiert die geplanten Baufelder auf dem Tempelhofer Feld

Rotweißes Absperrband, an dem die grünen Ballons mit dem Logo der Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« befestigt waren, zog sich quer über das Tempelhofer Feld im Bereich der Oderstraße – symbolisch für die geplante Wohnbebauung. Mitglieder des »Bundes für Umwelt und Naturschutz« (BUND), der Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« und Politiker der Grünen aus Neukölln, Tempelhof und Kreuzberg wollten mit dieser Aktion gegen die Pläne des Senats protestieren und zeigen, wie groß die Fläche auf der Neuköllner Seite tatsächlich ist, die der Senat zukünftig bebauen will.

thf_flatterbandProtest auf dem Feld.           Foto: mr

»So kann man sich eine Vorstellung machen, welche Ausmaße die Randbebauung in Wirklichkeit haben wird. Auf den Plänen, die vom Senat veröffentlicht werden, wird das leider nie so deutlich«, meinte einer der Aktivisten.
Bis weit in die geschützten Wiesenbereiche reicht das geplante Baufeld. Das entspricht in etwa der Größe des Schillerkiezes zwischen Weisestraße und Oderstraße. Etwa 1.700 Wohnungen sollen hier entstehen, dazu eine Schule und eine Kita.
In der gleichen Größenordnung bewegen sich auch die Planungen für den Bereich an der Autobahn und am Tempelhofer Damm. Dort sollen allerdings auf fast 70 Prozent der Fläche Gewerbeimmobilien gebaut werden, außerdem die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), für die Ende des letzten Jahres der Architektenwettbewerb entschieden wurde. Nur etwa 30 Prozent sind für den Wohnungsbau vorgesehen. Wenn der Senat die Bebauung in dieser Größenordnung durchsetzt, geht nahezu ein Drittel des Feldes verloren.
Die Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« setzt sich für den Erhalt des Feldes als Ort der Erholung, als kulturhistorisches Denkmal und als Schutzraum für Pflanzen und Tiere ein. Ihr Ziel ist es, das Areal dauerhaft vor jeglicher Bebauung und Privatisierung zu schützen.
Das Feld sei ein einmaliger Ort, wie es ihn in keiner anderen Metropole gebe, meinte Michael Schneidewind, einer der Sprecher der Bürgerinitiative.  Für den dringend benötigten Wohnungsbau ebenso wie für den Bau von Gewerbeimmobilien gebe es genügend andere, weitaus besser geeignete Flächen als die grüne Wiese, die erst für viel Geld baureif gemacht werden müsse.
Noch bis zum 13. Januar sammelt die Initiative Unterschriften für das Volksbegehren zum Erhalt des Tempelhofer Feldes. Damit es erfolgreich ist, müssen rund 174.000 gültige Unterschriften zusammenkommen. Dann können die Berliner an der Wahlurne über die Zukunft des Feldes entscheiden.
Am 11. Januar ab 15:00 ruft die Initiative zum »Trommeln für das Tempelhofer Feld« auf. Zwischen den Eingängen zum Feld am Columbiadamm oder wo immer sich in den Kiezen Trommelgruppen treffen wollen, soll mit dieser Aktion noch einmal für die Unterschriftensammlung geworben werden.                                                                     mr

Die Jury kann sich nicht entscheiden

Der Wettbewerb um den Bau der Zentral- und Landesbibliothek hat zwei Sieger

Der Architekturwettbewerb um den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) auf dem Tempelhofer Feld ist beendet. Allerdings konnte sich die Jury nicht entscheiden und vergab deshalb gleich zwei erste Preise.
Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ist aber von beiden Entwürfen begeistert: »Beide Entwürfe sind offene, einladende Häuser. Der eine ist im höchsten Maße ikonografisch und hat eine große Symbolkraft an diesem Ort, der andere bietet eine Art offene Werkstatt für die künftigen Nutzerinnen und Nutzer und wunderbare Ausblicke auf die Weite des unbebauten Tempelhofer Feldes.«
Das Züricher Büro »MOA – Miebach Oberholzer Architekten« stellt sich ein transparentes neungeschossiges Haus mit viel Glas vor. »Der überzeugende robuste und durchaus flexible Charakter der Bibliothek, der kräftige Ausdruck ähnelt einer Kulturmaschine«, urteilte die Jury.1_Preis_Arbeit_1034_Mo_SW_1

Das Stuttgarter Büro »Kohlmayer Oberst Architekten« plant ein 260 Meter langes, fünfgeschossiges Gebäude, das mit wenigen, im Mittelteil des Gebäudes gelegenen Stützen auskommt und Lüscher zufolge einem Schiff ähnelt. »Der Baukörper wird charakterisiert durch eine extrem weitgespannte Betonkonstruktion, in die Bibliothek in funktionalen Ebenen eingesetzt wird«, erklärten die Juroren.

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Bei den Veranstaltungen des letzten Jahres, in denen die Pläne für den Bau der Bibliothek der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, war allerdings immer die Rede davon, eine moderne Bibliothek müsse in die Höhe gebaut werden, um zu funktionieren. Das war der Grund, weshalb der Einbau der ZLB in das  alte Flughafengebäude von Senatsseite kategorisch abgelehnt wurde.
Beide Varianten sollen jetzt weiter überarbeitet werden. Im Frühjahr will die Jury dann entscheiden, welcher Entwurf den Zuschlag bekommt. 2015 soll der Bebauungsplan folgen, 2016 der Baubeginn. 2021 soll alles fertig sein, so die Planung.
Auf einer Fläche von 60.000 Quadratmetern sollen dort die Bestände der Berliner Stadtbibliothek, der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) und der Senatsbibliothek zusammengeführt werden.
Rund 270 Millionen Euro soll der Neubau kosten. Das ist jedenfalls die Vorstellung des Senats. Kritiker befürchten allerdings, dass, wie bei anderen Bauten der öffentlichen Hand auch, hier die Kosten explodieren, zumal der Entwurf der Stuttgarter bereits jetzt den Kostenrahmen sprengt. Auch zu den Kosten der Infrastruktur, die mittelbar durch den Neubau verursacht werden, wie Straßenbau, Versorgung mit Elektrizität und Wasser sowie die Entsorgung, macht der Senat keine Angaben. Ungeklärt ist auch die Zukunft der dringend renovierungsbedürftigen AGB, die dann ihre Funktion verliert.
Eine Ausstellung aller Arbeiten des Wettbewerbs wird am 4. Februar um 18:00 eröffnet und ist bis zum 28. Februar im Flughafengebäude Tempelhof, Columbi­a­damm 10, Gebäude A1, zu sehen.

mr

Mit Tasten und Trompeten

Das »Duo Cinema« begeisterte in der »Taste«

Filmmusik, da denken viele an ein großes Orchester mit opulentem Klang.
Dass es auch anders geht, beweist das »Duo Cinema« aus Neukölln mit Stefan Fischer am Klavier und Paul Schwingenschlögl an Trompete und Flügelhorn. Gekonnt setzen sie Filmmusik in Szene und schaffen mit wenigen Mitteln eine neue Musiktraumwelt für die Zuhörer, die sich gerne auf die Reise einlassen.
So auch am 7. Dezember, als das »Duo Cinema« im kleinen Salon der »Taste« an der Sonnenallee zu Gast war und durch die packende Welt der Filmmusik führte. Das Repertoire reicht von Klassikern wie »Der letzte Tango« oder »Der Pate« bis zu neueren Produktionen wie »Slumdog Millionaire«. An das träumerische Trompetensolo aus »La Strada« schließen sich unmittelbar die donnernden Klavierakkorde aus »Bladerunner« an, um dann wieder zu einem romantischen Thema aus demselben Film zu wechseln. Bei der Titelmusik aus dem Bond-Film »Diamantenfieber« übernimmt die Trompete die Rolle der Stimme.

 duoCinemaDas glorreiche Duo.                    Foto: mr

Ohne die Unterstützung eines großen Orchesters befreien sie diese Musik von allem Zierrat und reduzieren sie auf das Wesentliche. Bauhaus statt Barock. Dabei genügt es ihnen jedoch nicht, die Stücke einfach nachzuspielen. Durch ihre speziellen Arrangements und eigenwilligen Improvisation erhalten altbekannte und oft gehörte Filmthemen eine ganz neue Note.
Während die Finger von Stefan Fischer nur so über die Tasten des Klaviers zu fliegen scheinen, spielt Paul Schwingenschlögl auf der Trompete wie in Trance. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Ein Blick genügt und sie wissen, wie es weitergeht. Lange gefackelt wird nicht, es folgt Stück auf Stück, so dass der Traum kein jähes Ende nimmt.
Mit wohligen Klängen werden die Zuhörer schließlich vorsichtig zurück in die Realität geholt. Aber die nächste Möglichkeit, sich in die Welt der Filme zu träumen, kommt bestimmt. 

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»Hang Caravan« mit Hang zum Experiment

Sphärische Klänge im Gemeinschaftshaus der Gropiusstadt

Die Instrumente sehen nicht nur außergewöhnlich aus, sie geben auch bezaubernde Klänge von sich. Das Hang ist ein um die Jahrtausendwende erfundenes Perkussionsinstrument aus Stahl, das über eine außergewöhnliche Klangvielfalt verfügt, die von zart perlenden bis zu kräftigen perkussiven Tönen reicht.
Die Gruppe »Hang Caravan«, die am 6. Dezember zu Gast im Gemeinschaftshaus der Gropiusstadt war, führte die Zuhörer durch faszinierende Klangwelten zwischen Weltmusik und Jazz.
Den Rhythmus gaben die beiden Hangspieler Tivadar Nemesi und Adam Gallina vor. Die Melodiebögen darüber spannte Paul Schwingenschlögl mit seiner Trompete oder dem Flügelhorn. Da gab es temperamentvolle Balkanklänge, bei denen die Zuhörer kaum die Füße stillhalten konnten, aber auch immer wieder leise Stücke, die zum Träumen einluden.

Hang Caravan»Hang Caravan« mal laut, mal leise.   Foto: mr

Damit es nicht gar zu ernsthaft wurde, wartete Paul Schwingenschlögel mit ein paar amüsanten Experimenten auf. Passend zum Titel »Atlanticus« brachte er seine Trompete zum Blubbern und Glucksen, indem er in eine mit Wasser gefüllte Schüssel hineinblies. Außerdem bewies er, dass er in der Lage ist, Flügelhorn und Trompete gleichzeitig zu spielen, was ihm einen besonderen Applaus des Publikums einbrachte. Einen schönen Akzent setzte am Schluss als Gast noch Ellen Czaya mit ihrer Bassflöte.

doppelter PAulVirtuos wie immer.     Foto: mr

Der Jazzclub öffnet seine Pforten wieder am 14. Februar mit der neuseeländischen Sängerin Hattie St. John und ihrem Quartett. Auf dem Programm steht swingender Jazz aus dem Great American Songbook.

mr

Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 1 – Donnerstag
1. Januar 1914
Zeppelin in Neukölln.
Graf  Zeppelin, der seit etwa vierzehn Tagen in der Reichshauptstadt weilte und auch die Weihnachtszeit hier verbrachte, besuchte am Dienstag die Propellerfabrik von Lorenzen in der Münchenerstraße 46. Er besichtigte die Fabrikationsanlagen aufs eingehendste, und sprach den Leitern des Unternehmens, das wiederholt für die Militärverwaltungen wie auch für die privaten Luftschiffergesellschaften Luftschrauben lieferte, seine Anerkennung aus. Der Besuch währte ungefähr drei Viertelstunden. Vom Publikum wurde der Graf, als er die Fabrik betrat, sofort erkannt und stürmisch begrüßt. Am Abend hat Graf Zeppelin die Reichshauptstadt mit dem fahrplanmäßigen Schnellzug 8 Uhr 25 Minuten wieder verlassen und kehrte nach Friedrichshafen zurück.

Nr. 2 – Sonnabend
3. Januar 1914
Von der großen Berliner Straßenbahn wird uns geschrieben: Der starke Schneefall war nicht imstande, den Straßenbahnbetrieb empfindlich zu stören. Dadurch, daß auf sämtlichen Strecken während der Nachtzeit Motorwagen und Schneepflüge den Betrieb aufrecht erhielten, wurde die Anhäufung größerer Schneemassen auf dem Bahnkörper verhindert, so daß früh der fahrplanmäßige Verkehr im allgemeinen aufgenommen und durchgeführt werden konnte. Eine Einschränkung trat nur insofern ein, als Anhänge= und Einsetzwagen fortgelassen wurden. Die Erfahrungen der Schneefälle früherer Jahre haben gelernt, über Schwierigkeiten, die damals unüberwindlich schienen, hinwegzukommen. Der für solche Fälle bis ins Einzelne ausgearbeitete Mobilmachungsplan konnte reibungslos und wirksam ins Werk gesetzt werden. Gleich bei Beginn des Schneefalles wurden 61 Salzwagen und 300 Schneeräumewagen auf die Strecke geschickt, die seither fortdauernd tätig sind. 1500 Straßenbahnangestellte und 2500 aushilfsweise eingestellte Schneeschaufler arbeiten augenblicklich. Wir glauben, auf den unter denkbar schwierigsten Umständen erzielten Erfolg hinweisen zu dürfen.

Nr. 11 – Mittwoch
14. Januar 1914
Gefoppte Arbeitslose.
Eine wahre Völkerwanderung ergoß sich gestern morgen nach der Roseggerstraße. In einem Berliner Blatte war ein Inserat erschienen, daß der Druckereibesitzer Heinzelmann einen Hausdiener gegen 27 Mark Wochenlohn suche. Die Vorstellung sollte von 7–10 Uhr erfolgen. Hunderte von Arbeitslosen begaben sich infolgedessen gestern früh nach der H.‘schen Wohnung, doch wurde ihnen nicht geöffnet. Nachdem die Arbeitsuchenden erfahren hatten, daß das Geschäftslokal des H. sich Elbestraße 31 befinde, begaben sie sich in geschlossenem Zuge dorthin. Hier wurden sie aber nach der Wohnung in der Roseggerstraße verwiesen und abermals zog die Menge nach genannter Straße. Diesmal wurde ihnen geöffnet, doch erklärte H., von dem Inserat nichts zu wissen, es müsse sich jemand einen schlechten Scherz gemacht haben. So blieb den gefoppten Arbeitslosen nichts weiter übrig, als sich grollend zu entfernen. – Sollte es nicht möglich sein, den Urheber des gemeinen Streiches zu ermitteln und zur Bestrafung zu bringen?

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Faszination Zeppelin

Eine neue Ära des Reisens mit der »fliegenden Zigarre«

Auch wenn es sie längst nicht mehr gibt, haben die Luftschiffe des Grafen Zeppelin bis heute ihre Faszination bewahrt.
Ferdinand Graf Zeppelin (1838-1917) begann nach seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst 1891 mit der Entwicklung des Starrluftschiffes, das seinen Namen in kurzer Zeit weltberühmt machen sollte. Der eigentliche Durchbruch der Luftschiffe kam mit der ersten großen »Zeppelin-Katastrophe«. Am 5. August 1908 wurde »LZ 4«, das vierte Luftschiff, durch Sturm und eine Gasexplosion zerstört. Durch spontane Spenden kamen rund sechs Millionen Mark zusammen und ermög­lichten Zeppelin die Fortführung seines Werks.
1909 wurde die »Deutsche Luftschiffahrts AG« (DELAG) gegründet, die erste Luftschiff-Reederei der Welt. Sie beförderte bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit sieben Luftschiffen auf 1.588 Fahrten 34.028 Personen, von denen keine zu Schaden kam, obwohl vier der Luftschiffe bei Unfällen zerstört wurden.
»LZ 127«, der den Namen »Graf Zeppelin« erhielt, erlangte durch zahlreiche spektakuläre Fahrten Weltruhm, darunter 1929 die einzige Erdumrundung eines Luftschiffes und eine Arktisfahrt 1931. Das Luftschiff hatte gewaltige Ausmaße: 236 Meter Länge, 105.000 Kubikmeter Gasfüllung, fünf Motoren für eine Reisegeschwindigkeit von 110 Kilometern pro Stunde und eine Reichweite von 10.000 Kilometern.
Für wohlhabende Geschäftsleute boten die Zeppeline eine Alternative zum Schnelldampfer. Sie brauchten von Deutschland nach New York nur zweieinhalb bis drei Tage, das Schiff war ein bis zwei Wochen unterwegs. Und der Luxus, den die Luftschiffe boten, war mit dem der Ozeandampfer durchaus zu vergleichen. Der Langstreckenverkehr rentierte sich, die Fahrten waren ausgebucht.
Am 6. Mai 1937 ging die »Hindenburg«, das mit 245 Metern Länge größte Luftschiff aller Zeiten, bei der Landung in Lakehurst bei New York in Flammen auf, 36 Personen verloren dabei ihr Leben. Diese Katastrophe beendete die Ära  der Luftschiffe.                                                                                                                              mr

»Platz der Stadt Hof« wird »Alfred-Scholz-Platz«

Die neue Platzgestaltung erfordert eine neue Namensgebung

Dank langwieriger Diskussionen in den vergangenen Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mussten viele Themen in den letzten Monaten immer wieder vertagt werden. Deshalb wurde am 29. November eine außerordentliche Sitzung anberaumt.

Einer der Tagesordnungspunkte war die geplante Umbenennung des »Platzes der Stadt Hof«. Im Rahmen des Platzumbaus hatte die »[Aktion! Karl-Marx-Straße]« einen Ideenwettbewerb für die Namensgebung ausgelobt. Allerdings stießen die eingebrachten Vorschläge auf keine große Gegenliebe bei den BVV-Fraktionen. Stattdessen brachte die SPD-Fraktion den Vorschlag ein, den Platz nach dem SPD-Bürgermeister Alfred Scholz zu benennen, der 1933 von den Nationalsozialisten aus dem Amt entfernt wurde. Bertil Wewer von den Grünen plädierte aber dafür, den alten Namen beizubehalten.

Da der »Platz der Stadt Hof« seinen Namen auf Bitten der Stadt Hof trage, solle er deshalb auch nur auf Bitten der Stadt Hof umbenannt werden. Dort stößt diese Diskussion aber eher auf Unverständnis. Außerdem, erklärte Wewer, sei Hof der erste Ort nach dem Transit durch die DDR und somit die erste Stadt im Westen gewesen. Damit erinnere der »Platz der Stadt Hof« auch an die deutsche Teilung. Im Übrigen eigne sich der Rathausvorplatz viel besser für die Erinnerung an Alfred Scholz. Das sahen die Fraktionen der SPD und CDU ganz anders. Der Rathausvorplatz gehöre nicht zum öffentlichen Straßenland und außerdem sei der neue Platz viel repräsentativer. Mit 38 zu 14 Stimmen wurde der Vorschlag, den alten Namen beizubehalten, abgelehnt.

mr

Berliner Senat wirbt für Planierraupen

Die Stadtkonferenz sollte Lust auf die Bebauung des Tempelhofer Felds machen

Lust und Laune darauf machen, was sich in den nächsten Jahren auf dem Tempelhofer Feld entwickeln wird, das sollte die »Standortkonferenz Wohnen auf dem Tempelhofer Feld«. So jedenfalls kündigte die Moderatorin die Veranstaltung am 28. November in der Haupthalle des alten Flughafens an.
Staatssekretär Ephraim Gothe aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erklärte, dass Berlin bis zum Jahr 2030 bis zu 230.000 Zuwanderer erwarte. Aufgrund dieser hohen Zuwanderungsrate sei es unumgänglich, den Wohnungsneubau massiv voranzutreiben, und das Tempelhofer Feld sei die einzige öffentliche Fläche in der Innenstadt, über die der Senat nach eigenen Vorstellungen verfügen könne.
Michael Schneidewind von der Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« hat erhebliche Zweifel an dieser Prognose und stellte die Frage, wo die Leute herkommen sollen. Infolge des Geburtenknicks würden auch die wanderungsfreudigen Bewohner immer weniger. Im übrigen sei das Tempelhofer Feld für eine Bebauung völlig ungeeignet. Die grüne Wiese müsse erst für viel Geld, das die Steuerzahler aufbringen müssten, baureif gemacht werden. Den Vorwurf, die BI wolle die Bebauung aus egoistischen Gründen verhindern, wies Schneidewind energisch zurück. Die Bürgerinitiative setze sich im Gegenteil dafür ein, dass die Stadt auch in Zukunft noch lebenswert bleibe. Das ginge aber nur, wenn sie nicht komplett zugebaut werde.

stadtkonferenzIngo Malter, Geschäftsführer von »Stadt und Land«. Foto: mr

Die landeseigenen Wohnungsunternehmen »Stadt und Land« und »Degewo« sowie die »Baugenossenschaft Ideal« wollen in einem ersten Abschnitt ab 2016 am Tempelhofer Damm 1.700 Wohnungen errichten, 50 Prozent davon zu Nettokaltmieten von 6,50 bis 8,50 Euro. Da Neubauten aufgrund der hohen Baukosten für unter zehn Euro kaum noch zu errichten sind, können diese Mieten nur dadurch erzielt werden, dass die anderen 50 Prozent der Wohnungen weitaus teurer vermietet werden.
Während Gothe immer wieder die Attraktivität dieses neuen Stadtteils beschwor, wies Ingo Malter, Geschäftsführer von »Stadt und Land«, auch auf die ungelösten Probleme hin. So sei noch keineswegs klar, wie die Verkehrsanbindung zu regeln sei, ohne dass der Verkehr auf dem bereits jetzt chronisch verstopften Tempelhofer Damm vollends zusammenbreche. Ebenso wenig sei geklärt, wie die erwarteten Besuchermassen, die in die geplante Zentral- und Landesbibliothek strömen sollen, mit der Ruhebedürftigkeit der Anwohner in Einklang zu bringen seien.
Viel Beifall aus dem Publikum bekam Tilman Heuser vom BUND, der ebenfalls auf die vielen ungelösten Fragen hinwies. Er forderte, endlich mit dem »Gerede von der Alternativlosigkeit dieses Standortes« aufzuhören. Von der Senatsverwaltung verlangte er, dass sie offen und transparent über das Pro und Contra informiere. Erst das gäbe eine wirkliche Diskussionsgrundlage.

mr

Wärterwechsel im Leuchtturm

Die Bürgerstiftung Neukölln übernimmt die Regie im Creativ Centrum

Viele Jahre haben Karen-Kristina und Bernhard Bloch-Thieß mit ihrem Engagement für Leben im Neuköllner Leuchtturm gesorgt. Jetzt übertrugen sie die Regie an die Bürgerstiftung Neukölln. Aus diesem Anlass lud die Bürgerstiftung am 9. November zu einem unterhaltsamen Abend mit Musik und Buffet.
Auch in Zukunft soll der Leuchtturm ein Ort der Kunst und besonders der Fotografie bleiben. Davon zeugt die derzeit laufende Ausstellung von Halina und Ralph Hildebrand mit Fotografien von Menschen, die für das Engagement im Kiez stehen.

leuchtturmSammeln für den Leuchtturm.       Foto: mr

Die Patenprojekte zur Förderung von Kindern und Jugendlichen sollen ebenfalls weitergeführt werden. Darüber hinaus wird der Leuchtturm Raum bieten für Kiezinitiativen, für Begegnungen, Gespräche, Diskurse und Streitfragen. Kommunikation sei die Grundlage für das Gelingen eines funktionierenden Zusammenlebens zwischen Zuwanderern und Alteingesessenen, sagte Barbara John, ehemalige Ausländerbeauftragte des Senats. Neukölln sei ein Labor für das Leben im 21. Jahrhundert, und dazu gehörten Geschäftsleute ebenso wie Gangs. Ein Bürgermeister, der das nicht verstehe und das Leben ins 20. Jahrhundert zurückdrehen möchte, sei für die Entwicklung einer Stadt wie Neukölln nicht hilfreich.
»Wir müssen geben lernen, nicht nur Geld, sondern auch Zeit, ein Wort, ein Lächeln«, meinte Rayan Abdullah, Schöpfer des Logos der Bürgerstiftung »N+«. Die Menschen, die hierherkommen, kämen ja nicht nur mit Problemen, sondern auch mit Talenten. Insofern sei die Vielfalt der Mentalitäten und Nationalitäten auch eine Bereicherung für Neukölln.  Ganz ohne Geld geht es aber auch nicht. Charmant und temperamentvoll moderierte Bertil Wewer eine amerikanische Versteigerung. Der Erlös von etwa 1.000 Euro kommt den Projekten der Bürgerstiftung zugute. 

mr

Aus für die Parkgespräche

Wie schrecklich ist Neukölln?

Der »Talk im Körnerpark« war fünf Jahre lang ein Forum, in dem Bürger gemeinsam Themen diskutieren konnten, die den Bezirk Neukölln betreffen. Mit dem Parkgespräch am 29. November endete diese Veranstaltungsreihe jetzt.
»Wie schlimm oder schön ist Neukölln wirklich?« war das Thema der letzten Gesprächsrunde. Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU), Uli Lautenschläger vom Quartiersmanagement Körnerpark und Fritz Felgentreu, Mitglied des Bundestags (SPD), versuchten im Rückblick zu ergründen, wie stark sich Neukölln in den letzten fünf Jahren verändert hat.
Neukölln sei bunt und vielfältig, nur kümmere sich die Presse vorzugsweise um die schlechten Nachrichten, meinte Liecke. Es solle zwar nichts unter den Teppich gekehrt werden, aber es gebe doch viel Positives zu berichten. Die Kunst, die Kultur oder die Mode seien inzwischen zu Wirtschaftsfaktoren geworden. Wenn allerdings der Verwertungsdruck zu groß werde, drohe auch hier wieder Verdrängung. Der Ansicht war auch Uli Lautenschläger, der darauf hinwies, dass sich Neukölln gerade mit der Kunst einen Namen gemacht habe. Veranstaltungen wie die »48 Stunden Neukölln« oder Institutionen wie die »Neuköllner Oper« seien weit über den Bezirk hinaus bekannt. Fritz Felgentreu findet das Image des Bezirks eher schillernd. Da gebe es einmal den »Mythos Neukölln«, der die Kreativität beschwöre. Da gebe es aber auch die Parallelgesellschaften, in denen die Zuwanderer ihre Kultur und Riten eins zu eins übernehmen. Das schlage sich beispielsweise in einer Paralleljustiz nieder, bei der Imame die Beteiligten unter Druck setzen, um eine außergerichtliche Einigung zu erzielen und damit ein rechtsstaatliches Verfahren unmöglich zu machen. Solche Verhaltensweisen ließen sich nur über Bildung aufbrechen, aber dazu bedürfe es guter Schulen. Schulen vor allem, in denen es eine gesunde Mischung von Kindern deutscher und migrantischer Herkunft gebe.

parktalk

Abschied mit Blumen.         Foto: mr

Insgesamt waren sich die Diskutanten einig, dass Neukölln auf einem guten Weg ist, es aber noch viel zu tun gibt.
Ob das nun wirklich der letzte Talk war oder ob es in einem anderen Format vielleicht doch weitergeht, war nicht ganz klar. Moderator Martin Steffens jedenfalls meinte, es gäbe noch sehr viele Themen, über die in Neukölln gesprochen werden müsste.

mr

Franziska Giffey putzt Stolpersteine

Erinnern an Deportationen

Die kleinen Messingplatten auf dem Bürgersteig sind im Laufe der Jahre stumpf geworden, die Inschriften nur noch schwer zu lesen. Es sind Stolpersteine, die vor den  letzten Wohn­adressen jüdischer Nachbarn und anderer Verfolgter und Ermordeter des Naziregimes liegen. Sie beginnen alle mit »HIER WOHNTE«, dazu kommen Namen, Geburtsjahr, Deportationsdatum und der Hinweis auf Todesort und Todesdatum des Opfers.
Anlässlich des 75. Jahrestages der Pogromnacht am 9. November veranstalteten die Berliner Stolperstein-Initiativen eine stadtweite Aktion zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Volker Banasiak, der Koordinator der Neuköllner Stolperstein-Initiative, hatte dazu einen Kiezrundgang zusammengestellt, der zu Orten rund um die Karl-Marx-Straße führte, an denen Stolpersteine verlegt sind. Verbunden war dieser Rundgang mit einer Putzaktion, bei der auch Kulturstadträtin Franziska Giffey zu Putzmittel und Lappen griff, um die Messingplatten wieder zum Glänzen zu bringen. In Zukunft würde er diese Aktion gern zweimal im Jahr durchführen, erklärte Volker Banasiak.

stolpersteine Putzen

Stolpersteine putzen.              Foto: mr

Etwa 50 Leute begleiteten ihn auf seinem Rundgang. An den einzelnen Stationen informierte er die Teilnehmer über die Hintergründe der Stolpersteinaktion und über die Geschichte der Menschen, die in diesen Häusern wohnten. In den meisten Fällen sei über das Leben der Opfer allerdings kaum mehr bekannt als die Daten aus den Akten der verschiedenen Behörden, erklärte er. So wurden von den Finanzbehörden penibel die Habseligkeiten registriert, die die Menschen bei ihrem Abtransport in die Vernichtungslager zurücklassen mussten. In der Innstraße 24 hatte er mehr zu erzählen. Dort wird an die Kommunistin Olga Benario erinnert, deren Geschichte gut dokumentiert ist.

 mr

Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 292 – Sonnabend
13. Dezember 1913
Errichtung eines neuen Krankenhauses in Neukölln.
In der letzten geheimen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung wurde, wie wir bereits mitteilten, dem Antrage des Magistrats auf Abschluß eines Vertrages mit dem Mutterhaus der barmherzigen Schwestern vom heiligen Borromäus zu Trier zugestimmt, welcher die Errichtung eines Krankenhauses auf dem städtischen Gelände am Mariendorfer Wege zum Gegenstand hat. Durch die Ausführung dieses Vertrages wird der zukünftige Bedarf der Gemeinde an Krankenhausbetten im wesentlichen gedeckt werden können. Die Opfer der Stadtgemeinde für das Krankenhauswesen sind zurzeit bereits beträchtliche. Die in dem vor wenigen Jahren eröffneten städtischen Krankenhause in Buckow zur Verfügung stehenden 712 Betten erfordern einen jährlichen Zuschuß von etwa 830 000 Mark. Nach dem oben genannten Vertrage verpflichtet sich die Genossenschaft der Schwestern zur Errichtung eines modernen paritätischen Krankenhauses von 300 Betten, das später auf 600 Betten vergrößert werden soll. 60 Prozent der Bettenzahl 3. Klasse werden für den üblichen Verpflegungssatz Neuköllner Einwohnern zur Verfügung gestellt und diesen auch für die beiden übrigen Klassen Ermäßigungssätze eingeräumt. Die Gegenleistung der Stadtgemeinde besteht in der Überlassung des 11 Morgen großen Grundstücks zur Hälfte des Buchwerts unter Verzicht auf Straßenregulierungs= und Kanalisationsgebühren. Ferner trägt die Stadtgemeinde die Kosten für die Projektbearbeitung und die Bauleitung. Bei Enstehen eines Fehlbetrages im Betriebe hat sich ferner die Stadtgemeinde zu einer Zuschußleistung verpflichtet, die im Höchstfalle 100 000 Mark nicht überschreitet, nach den bei dem Betriebe der übrigen Krankenhäuser gemachten Erfahrungen aber voraussichtlich nicht in Anspruch genommen zu werden braucht. Auf die Führung der Verwaltungsgeschäfte ist der Stadt ein Einfluß dadurch eingeräumt, daß der jeweilige Oberbürgermeister den stimmberechtigten Vorsitz im Kuratorium der Anstalt führt. Die 42 Krankenhäuser der genannten Genossenschaft, zu denen auch das St. Hedwigs=Karnkenhaus in Berlin gehört, genießen sowohl hinsichtlich der Verpflegung wie der ärztlichen Behandlung einen ausgezeichneten Ruf in allen Teilen der Bevölkerung. Sie verdanken dies vor allem ihrer Schwesternschaft, die in völlig selbstloser Weise sich ihrem schweren Berufe widmet. Die Aufnahme in das Krankenhaus erfolgt  ohne Rücksicht auf politische oder religiöse Stellung der Kranken und schließt jede etwaige religiöse Beeinflussung aus.  Dies geht schon daraus hervor, daß in dem St. Hedwigs=Krankenhaus zu Berlin die Zahl der aufgenommenen evangelischen Kranken die der Katholiken um mehr als 1/3 übersteigt und daß auch zahlreiche jüdische Personen in ihm Aufnahme finden.Gegenüber dem Betriebe des städtischen Krankenhauses bedeutet für die Stadtgemeinde die getroffene Regelung eine ganz beträchtliche Ersparnis, welche schon bei dem ersten Bauteile von 300 Betten auf etwa eine Viertelmillion zu veranschlagen ist. Die Anstalt, welche in unmittelbarer Nähe der Provinzial=Hebam­menanstalt und gegenüber der königlichen Taubstummenanstalt und Lehrerseminar am Mariendorfer Wege errichtet werden soll, wird bei ihrer günstigen Lage in der Nähe des Ringbahnhofs Hermannstraße sicher auf einen bedeutenden Zuspruch rechnen können und die hygienischen Einrichtungen der Stadt wertvoll bereichern.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen. Nachzulesen in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Krankenhausplanungen

Der Krieg verhindert ein neues Krankenhaus

Das heutige Krankenhaus Neukölln wurde 1909 mit Abteilungen für Chirurgie, innere Medizin, Röntgen und Pathologie eröffnet. Der Bau war aufgrund der wachsenden Einwohnerzahl der Gemeinde Rixdorf notwendig geworden.
1912 standen dem Krankenhaus 450 Betten zur Verfügung. Trotzdem mussten 990 Patienten abgewiesen werden. 1913 kamen durch Fertigstellung neuer Pavillons 262 Betten dazu. Für Privatpatienten erster und zweiter Klasse gab es 16 Betten.  Die Zahl der Abweisungen verringerte sich auf 319.
Versorgt wurde das Krankenhaus unter anderem von den Stadtgütern. Vom Rittergut in Waßmannsdorf erhielt es Milch, Kartoffeln und Gemüse. Letzeres wurde aber auch im eigenen Garten angebaut. Fleisch wurde in Berlin in ganzen Stücken zum Marktpreis eingekauft und dann in der eigenen Schlachterei zerlegt. Zur Verwertung der Speiseabfälle gab es eine Schweinemästerei. Eine Bäckerei sorgte täglich für frisches Brot  und eine Wäscherei für die saubere Wäsche.
Da trotz Erweiterungsbauten die Bettenanzahl für Neukölln nicht ausreichte, wurde am Mariendorfer Weg ein zweites Krankenhaus unter Leitung des Ordens der Borromäerinnen geplant.
Vorgesehen war eine Kuppelkirche mit Kreuzgang, um die sich die Krankenhausgebäude für 600 Betten gruppierten. Geplant waren eine chirurgische, eine innere und eine Kinderabteilung, außerdem ein Bau für die Schwestern, Wirtschaftsgebäude und ein Ärztehaus.
Die durch den Krieg verursachten höheren Baukosten veranlassten den Orden aber, sich aus dem Projekt zurückzuziehen.  Nach dem Krieg entstand hier die Frauenklinik.

mr
Quelle: Verwaltungsberichte für die Stadt Neukölln 1912/13 u. 1914-18

 

Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 265 – Dienstag – 11. November 1913

Kinder als Erwerbsmittel. Gerichtsassessor Tormin hat im Bürgersaal des Berliner Rathauses in der Vereinigung der Berliner Gemeindewaisenräte einen Vortrag gehalten, dem wir u. a. entnehmen, daß allein im März d. J. in 75 deutschen Zeitungen 572 verschiedene Annoncen gefunden wurden über Weggabe von Kindern und ferner 688 Gesuche um Annahme von kleinen Kindern. Er bat, ihn mit Rat und Tat zu unterstützen und die Tageszeitungen auf diese Annoncen durchzulesen und zu untersuchen. Die Geldinteressen spielen bei der Annahme von Kindern die Hauptrolle. Oft kommt es den Pflegeeltern nur auf das Geld an. Das Interesse der Kinder wird meist in keiner Weise wahrgenommen, bei gewissenlosen Pflegeeltern oft sogar vernachlässigt und stark gefährdet. Vielfach werden die Kinder zu dauernden Erpressungen benutzt. Die oft besprochene Engelmacherei ist weniger von gewerbsmäßigen Pflegefrauen zu befürchten, als von Personen, die Kinder gegen eine einmalige Abfindungssumme in Pflege nehmen und nur Interesse haben, sich solcher Kinder bald wieder zu entledigen. Der Redner warnte besonders vor einer Frau Neukamm, welche die Vermittlung von Pflegeeltern übernimmt. Einige deutsche Zeitungen lehnten jetzt die Aufnahme von Inseraten, die den Verdacht einer Kindesausnutzung aufkommen lassen, grundsätzlich ab.

 Nr. 275 – Sonntag – 23. November 1913

Der verbotene Tango. Auch der Papst legt gegen den Tango sein Veto ein. Mehrere englische und mehrere französische Bischöfe haben sich an den Vatikan mit der Frage gewandt, wie weit die Priesterschaft solchen Katholiken, die bei der Beichte gestehen, Tango getanzt zu haben, Absolution erteilen darf. Der Vatikan hat nun kurz und bündig geantwortet, daß der Tango als ein unsittlicher Tanz betrachtet werden muß und infolgedessen den römischen Katholiken verboten sei. Von der Möglichkeit, für die Tango=Sünde Absolution zu erhalten, wird in dem päpstlichen Bescheid überhaupt nicht gesprochen. Armer Tango! Und doch geht es ihm nicht schlechter, als es vor hundert Jahren dem freundlichsten aller Tänze ergangen ist, dem Walzer. Als der am Berliner Hofe erschien – die reizenden mecklenburgischen Prinzessinnen, die spätere Königin Luise und ihre Schwester Friederike, hatten gewagt, ihn vorzuführen – wurde er ganz wie heute der um vieles leidenschaftlichere Tango verboten. Und die Gemahlin Friedrich Wilhelms II. fand der Walzer sei »indezent«, und tadelte die liebenswürdigen Prinzessinnen, die ihn huldigten.

Nr. 279 – Freitag – 28. November 1913

Eine brutale Tierquälerei führte gestern vormittag elf Uhr an der Ecke der Richard = und Ganghoferstraße zu einem erheblichen Auflauf. Der Faßhändler P. Zother aus Lichtenberg hatte einen Gaul vor seinem Geschäftswagen, der im wahrsten Sinne des Wortes nur aus Haut und Knochen bestand und außerdem hatte das arme Tier noch eine große schwärende Rückenwunde. Ein Schutzmann, welcher das Gespann bemerkte, ließ das Pferd ausspannen. Das Publikum war darüber sehr erfreut und gab seiner Empörung über die Benutzung des halbverhungerten Pferdes als Zugtier Ausdruck. Der Besitzer des Pferdes führte das Tier auch ab, hatte aber einen Andern heimlich beauftragt, ihm auf einem andern Wege mit dem Wagen zu folgen. In der Erkstraße trafen sie sich sodann und spannten das Pferd wieder ein. Z. hat daher eine Anklage wegen Tierquälerei zu gewärtigen.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen.

Ein »Rinnsteinkind« macht Furore

Der Weg des Tangos vom Bordell in die Salons

Leidenschaft, Zärtlichkeit, Melancholie, ein Spiel zwischen Mann und Frau, das ist der Tango. Geboren in den Bordellen und Varietés der Elendsviertel von Buenos Aires erzählt er von gescheiterter Liebe und schmerzlichen Gefühlen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Stadt von Einwanderern geradezu überschwemmt. Aber für so viele Immigranten gab es auch in Argentinien nicht genug Arbeit. Armut und soziale Verelendung waren die Folge. Mit dem Tango konnten die Machos auf Tuchfühlung mit den wenigen Frauen gehen und außerdem der Trauer und Wut über die gescheiterte Existenz Ausdruck  verleihen. »Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann«, sagte Enrique Santos Discépolo, einer der ganz Großen des Tango.

Gleichzeitig mit dem Tango entstand die Tonaufzeichnung. Auf Schellackplatten reisten die neuen Klänge in die Alte Welt und wurden von der High Society in London und Paris begeistert aufgenommen. Der Tango galt als chic, extravagant und exotisch, das Anrüchige gab ihm etwas prickelnd Reizvolles. Bei jeder Soirée, auf jedem Ball wurde Tango getanzt. So sinnlich wie der Tanz war auch seine Mode.Die Damen trugen hoch geschlitzte schmale Röcke aus Chiffon, aus denen das Bein hervorblitzte.

Das eng umschlungene Tanzen und die freizügige Mode bedeutete für viele den Untergang jeglichen Anstands. Ein »Rinnsteinkind« nannte Kaiser Wilhelm II. den Tango. Als die Gräfin von Schwerin-Löwitz einen Tango-Tee ausgerechnet im preußischen Landtag veranstaltete, war das Maß voll. Am 20. November 1913 erging ein Erlass, nach dem es Offizieren in Uniform verboten war, den Tango zu tanzen.

Der Papst dagegen revidierte bald sein Urteil. Casimiro Aín, einer der berühmten Tangotänzer dieser Zeit, schaffte es im Februar 1914, ihm vorzutanzen und ihn zur Rücknahme des Dekrets zu bewegen.

mr

 

Viele Wohnungen und noch mehr Büros

Schwerer Stand für Senator Müller bei Vorstellung des Bebauungsplanes fürs Tempelhofer Feld

Die Stadt braucht dringend günstige Wohnungen. Damit begründet Bausenator Michael Müller seit Monaten die Pläne für eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes. 4.700 Wohnungen sollen hier entstehen. Bei einer »Erörterungsveranstaltung«, die am 15. Oktober im Hangar 2 des alten Flughafens stattfand, wurden die ersten Bebauungspläne für die Baufelder am Tempelhofer Damm und entlang des Stadtrings vorgestellt.
Bei näherem Hinsehen stellt sich allerdings heraus, dass lediglich rund 30 Prozent der gesamten Fläche für Wohnungen vorgesehen ist. Auf dem weitaus größeren Teil sind Bürogebäude und Gewerbeansiedlungen geplant. Die sollen sich als breiter Riegel sowohl entlang des Tempelhofer Damms als auch der Autobahn hinziehen.
Müller sagte, das Tempelhofer Feld würde gebraucht, um auch neue Wohnungen in der Innenstadt zu schaffen. Es sei »zutiefst unsozial« zu sagen, alles solle bleiben wie es ist und diejenigen, die neu in die Stadt kommen, könnten doch an den Rand ziehen. Privatisiert werden solle es nicht, daher habe er Vorverträge mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften »Degewo« und »Stadt und Land«, sowie der »Baugenossenschaft Ideal« abgeschlossen. Wer allerdings all die Bürogebäude errichten wird, das sagte er nicht.

Senator Müller und der Bürger protestiert! Foto: mr
Senator Müller und der Bürger protestiert!Foto: mr

 

 

Neben der Bebauung ist gegenüber dem Flughafengebäude ein 500 Meter langes und bis zu 120 Meter breites Regenwasserbecken geplant. Das soll zwar für Wassersportveranstaltungen genutzt werden können, geplanscht werden darf darin allerdings nicht. Dagegen soll hier ein neuer Lebensraum für Amphibien und Insekten entstehen.
Die beim Bau anfallenden Erdmassen werden zu einem 70 Meter breiten und bis zu drei Meter hohen Wall aufgeschüttet, der in einem weiten Halbkreis über das Feld durch derzeit geschützte Brutgebiete der Feldlerchen verlaufen soll. Die müssen dafür ins Brandenburgische umziehen. Wasserbecken und Wall gelten als Ausgleich für die durch die Bebauung verlorengehenden Flächen.
Aus dem Publikum hagelte es Kritik gegen diese Planungen. Die Kritiker warfen dem Senator vor, der Informationsabend sei eine reine Alibi-Veranstaltung, weil die Pläne ohnehin schon feststünden. Die frühzeitige Bürgerbeteiligung sei für Politik und Verwaltung nur eine lästige Farce.
Müller wies die Vorwürfe zurück. »Es wird nicht eins zu eins etwas durchgezogen«, sagte er. Ein Beispiel dafür sei die Internationale Gartenausstellung 2017, die in die »Gärten der Welt« nach Marzahn verlegt wurde. Dabei vergaß er allerdings zu erwähnen, dass der eigentliche Grund für die Verlegung die Terminkollision mit der Modemesse »Bread and Butter« war.
Der Umweltverband »BUND« will gegen die Senatspläne für das Tempelhofer Feld vor Gericht ziehen. Weder Wasserbecken noch Damm seien ökologisch sinnvoll. Der Rundweg führe nicht zu einer Verbesserung der Zugänglichkeit des Feldes, da dadurch bestehende Wegeverbindungen abgeschnitten oder zurückgebaut werden müssten.
Auch die Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« setzt sich dafür ein, das Feld in seiner Gesamtheit als Erholungsfläche zu erhalten und sammelt deshalb Unterschriften für einen Volksentscheid. 174.000 Berliner müssen bis zum 13. Januar unterschrieben haben, damit die nächste Stufe des Volksbegehrens erreicht wird. Dann können die Berliner an der Wahlurne über die Zukunft des Feldes entscheiden.

mr

Brutalarchitektur auf dem Tempelhofer Feld

See vernichtet Lebensraum der Feldlerchen

Der Senat möchte jährlich 300.000 Euro an Abwasserkosten für das Tempelhofer Feld sparen. Dafür soll jetzt ein neues Regenwasserauffangbecken für 20 Millionen Euro gebaut werden.
Von einem naturnahen Biotop, wie es bei den diversen Werbeveranstaltungen versprochen wurde, die »Grün Berlin« regelmäßig als Bürgerbeteiligung verkauft, ist dabei allerdings keine Rede mehr. Nach den Planungsunterlagen, die der »Bürgerinitiative 100% Tempelhof« vorliegen, ist eher mit Brutalarchitektur zu rechnen.
Der See soll 22.500 Quadratmeter Wasserfläche umfassen, bei einer Tiefe von bis zu sechs Metern. Das entspricht der Größe des Teufelssees im Grunewald. Der dabei anfallende Aushub wird zu einem bis zu 3,25 Meter hohen und bis zu 72 Meter breiten Damm aufgeschüttet, der sich dann in einem weiten Bogen vom See über die nördliche Rollbahn hinaus bis zur Tempelhofer Seite zieht.  Auf vier bis fünf Meter breiten Betonwegen sollen zukünftig Versorgungsfahrzeuge bis dicht an das Ufer fahren können, um bei Veranstaltungen »Boote und Pontons ohne Krananlage« zu Wasser lassen zu können. Diese Maßnahmen würden ein Drittel des gesamten Feldes nachhaltig verändern.

Geplanter See auf dem T-Feld.Quelle: thf100
Geplanter See auf dem T-Feld.Quelle: thf100

Aufgrund des Antrags der »Grün Berlin Stiftung« wurde vom Amt für Umwelt und Naturschutz des Bezirks Tempelhof-Schöneberg genehmigt, innerhalb des Walles 35 Brutplätze der Feldlerchen zu beseitigen. Das sind 25 Prozent der auf dem Tempelhofer Feld vorhandenen Habitate (Fortpflanzungs- oder Ruhestätten besonders geschützter Arten).
Begründet wird die Ausnahmeerlaubnis damit, dass zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses vorlägen. Ersatzhabitate sollen in Brandenburg geschaffen werden.

Riesenwall auf dem Tempelhofer Feld – »Grün Berlin« schafft Fakten

dungsgutachten kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass über das Feld verstreut rund 20 Altlastenverdachtsflächen zu finden sind. Untersucht und zur Sanierung geraten wurde unter anderem auch im Bereich des alten Hafens, der direkt an den See angrenzt. Damit ist zu erwarten, dass auch der Abraum, der beim Bau anfällt, verseucht ist und saniert werden muss. Das wird die Kosten dann wohl noch weiter in die Höhe treiben.
Die Planer von »Grün Berlin« erwarten, dass die im Jahr durchschnittlich anfallenden   Regenwassermengen ausreichen, um die Wasserverdunstung auf der 22.500 Quadratmeter großen Wasserfläche auszugleichen. Ein Defizit soll mit Wasser aus den Tiefbrunnen ausgeglichen werden. Überschüsse dürfen in den zur Freifläche hin gelegenen Versickerungsstreifen eingeleitet oder zu Bewässerungszwecken verwendet werden.
Badewasserqualität ist ausdrücklich nicht zu erwarten. Trotzdem sind Sportveranstaltungen wie Triathlon oder die Nutzung durch Sportarten wie Kanufahren oder Rudern im Wasserbecken geplant.
Die »Bürgerinitiative 100% Tempelhof« befürchtet, dass das aufgefangene Regenwasser entgegen der Meinung der Verwaltung doch zu hoch belastet ist und deshalb auch im »Notfall« nicht auf dem Tempelhofer Feld versickert werden darf, weil dann die Gefahr einer Kontaminierung des Grundwassers möglich erscheint. Sie meldet deshalb Zweifel an, ob die wasserrechliche Genehmigung zu Recht erteilt wurde.
Derzeit laufen Ausschreibungen zur Einrichtung der Baustelle und zur Errichtung eines viereinhalb Kilometer langen Bauzauns. Im Oktober sollen die Bagger anrollen, ungeachtet dessen, dass ein Volksbegehren zum Erhalt des Tempelhofer Feldes läuft, für das die Unterschriftensammlung im September beginnen soll. Offensichtlich sind Senat und »Grün Berlin« wild entschlossen, Fakten zu schaffen, bevor die Bürger möglicherweise anders entscheiden könnten.

Grüne Vorstellungen zur Mietenpolitik

Bielefeld ist nicht überall

Die Mieten steigen und steigen. Zwar erklärte Stadtentwicklungssenator Müller (SPD), die Mieten in Berlin lägen auf dem Niveau Bielefelds, allerdings vergaß er dabei zu erwähnen, dass das Durchschnittseinkommen in Bielefeld deutlich höher ist als in Berlin. Außerdem zeigt der Mietspiegel, dass die Mietsteigerungen in angesagten Kiezen wie Nordneukölln weit über dem Durchschnitt liegen.
Wie sich die Mieten in Zukunft sozialverträglich gestalten lassen, darüber diskutierten am 5. Juni in der »WerkStadt« Katrin Schmidberger, mietenpolitische Sprecherin,  Susanna Kahlefeld, Sprecherin für Partizipationspolitik der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus, sowie Wibke Werner vom »Berliner Mieterverein e.V.«. Die Moderation hatte Anja Kofbinger, Direktkandidatin der Neuköllner Grünen für den Bundestag.
»Natürlich haben wir dafür gekämpft, dass es im Kiez lebenswert ist«, erklärte Susanna Kahlefeld. »Aber die Menschen, die daran mitgearbeitet und sich engagiert haben, müssen jetzt gehen, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können.«
Auch einfache Lagen werden inzwischen verstärkt nachgefragt, meinte dazu Wibke Werner. Das führe dazu, dass Menschen mit niedrigem Einkommen oder Empfänger von Transferleistungen selbst in den Außenbezirken nur noch schwer eine Wohnung finden.

mietendiskussion
Grünes Damenkränzchen.        Foto: mr

»Besonders für ALG II- Empfänger wird es langsam eng«, meinte dazu ein Hausbesitzer aus dem Publikum. Die würden nur noch sehr ungern genommen, weil das Jobcenter die Miete nicht mehr überweist, sobald es Probleme gibt.
Dass die Explosion der Mieten durch die Bebauung des Tempelhofer Feldes gestoppt werden könnte, hält Kahlefeld für ein Märchen. Selbst wenn wohlhabendere Mieter aus den angrenzenden Kiezen in die neuen Wohnungen ziehen – wer soll die Vermieter davon abhalten, die dann frei werdenden Wohnungen teuer weiterzuvermieten?
Eine Bebauung des Feldes auf Neuköllner Seite lehnen die Grünen daher ab. Allerdings, meinte Katrin Schmidberger, sei die Situation am Tempelhofer Damm eine andere. Dort könne sie sich eine Bebauung durchaus vorstellen.
Das Mietrecht werde zwar auf Bundesebene beschlossen, meinte Wibke Werner, trotzdem seien die Bezirke nicht machtlos. So gibt es beispielsweise das Instrument des Milieuschutzes laut §172 Baugesetzbuch, mit dem Luxusmodernisierungen genehmigungspflichtig werden und die Umwandlung in Eigentumswoh­nungen oder Zusammenlegung von Wohnungen untersagt werden kann. Hinzu kommen Zweckentfremdungsverbote für diese sogenannten sozialen Erhaltungsgebiete. Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung, Jens Holger Kirchner, ist Anfang des Jahres vorgeprescht und zeigt, wie diese Instrumente wirksam eingesetzt werden können, um allzu  gierige Investoren in die Schranken zu weisen.

 

Keine Atempause, Geschichte wird versucht!

Gesetzesantrag zum Volksentscheid Tempelhofer Feld eingereicht

»Das Tempelhofer Feld ist nicht nur eine bedeutende große Erholungsfläche für die Berliner. Es ist auch ein wertvoller Landschaftsraum von hohem ökologischem Wert und wichtiger Klimafunktion für die umliegenden dicht bebauten Wohngebiete«. Das ist die zentrale Aussage des Vereins »Demokratische Initiative100% Tempelhofer Feld«. Dem steht die Absicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz entgegen, die Ränder des Feldes mit einer großen Bibliotheksamt angeschlossenem Bildungsquartier, Wohnungen und Gewerbe zu bebauen und den Innenbereich zu einem Park um zu gestalten.61,5 Millionen Euro sind bislang allein für die Parkgestaltung veranschlagt.

Um diese Entwicklung zu verhindern, strebt der Verein einen Volksentscheid an. Der dafür erforderliche Gesetzesantragwurde jetzt beider Senatsverwaltung eingereicht. »Ziel dieses Gesetzes ist es, die wert vollen Eigenschaften des Tempelhofer Feldes und die darauf beruhenden Funktionen dauerhaft zu erhalten und vor Eingriffen, welche sie gefährden oder verändern können, zu schützen«, heißt es in der Präambel des Gesetzentwurfs. Der zentrale Bereich innerhalb des ringförmigen »Taxiways« soll dem zufolge völlig unberührt bleiben, außerhalb des Taxiways sollen Bolzplätze, Toilettenanlagen, Fahrradabstellplätze oder Kleingärtner zulässig sein.

Für den ersten Schritt, den offiziellen Antrag auf ein Volksbegehren sind 20.000 Unterschriften erforderlich. Mit der Sammlung soll voraussichtlich im September begonnen werden. Vorher muss aber die Senatsverwaltung ermitteln, welche Kostendem Land Berlin entstehen, wenn das Feld in seiner der zeitigen Formerhalten bleibt.

Dessen ungeachtet hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine Ausschreibung veröffentlicht, in der ein Büro für die Realisierung der Parkplanungen gesucht wird.

Kahlschlag bei Jugendhilfe vorerst abgewendet

Mit Sprechchören und Transparenten wurden die Bezirksverordneten empfangen, als sie am Mittwoch zur außerordentlichen BBV Sitzung ins Rathaus kamen. Viele Jugendliche und ihre Betreuer waren gekommen, um lautstark gegen die Einsparungen bei Beratungsstellen, Schulstationen und anderen nicht gesetzlich vorgeschriebenen Angeboten für Jugendliche zu protestieren. Hier zeigte sich das bunte Neukölln. Kinder und Jugendliche mit migrantischem Background kämpften engagiert für ihre Sache, auch mit den Mitteln von Musik und Tanz und ließen sich auch vom Regen nicht abhalten.

Demo gegen Kürzungen bei der Jugendhilfe

Kürzt nicht uns, kürzt euch selbst“, skandierten sie, während im Rathaus über das weitere Schicksal der Jugendhilfe diskutiert wurde. Bezirksbürgermeister Buschkowsky hatte zu Ferienbeginn in Abwesenheit der Sozialstadträtin Gabriele Vonnekold 60 freien Trägern der Jugendhilfe die Kündigung zum 31. September ins Haus geschickt, weil der Etat der Hilfen zur Erziehung um 4,2 Millionen Euro überzogen wurde.

Die Demonstranten wiesen darauf hin, dass Einsparungen bei der Prävention den Bezirk auf Dauer teuer zu stehen kommen könnten, da Einsparungen hier Mehrausgaben bei der Hilfe zur Erziehung bedeuten. Darauf haben die Betroffenen aber einen gesetzlichen Anspruch.

Am Ende beschlossen die Bezirksverordneten, die Kündigungen vorerst wieder rückgängig zu machen, allerdings nur bis zum Jahresende. Das weitere Schicksal dieser Projekte liegt nach der Wahl in den Händen der neuen BVV. Außerdem dürfen 200.000 Euro nicht ausgegeben werden, die bereits fest im Haushalt für Honorarkräfte eingeplant waren. Weitere 1,6 Millionen Euro werden vom Bauamt beigesteuert, was auf Kosten der Sanierung maroder Schultoiletten gehen soll.Die Träger der Jugendprojekte haben damit weiterhin keine Planungssicherheit.

Der Fraktionschef der Grünen, Bernd Szczepanski ließ es sich nicht nehmen, noch mal darauf hinzuweisen, das die 900.000 Euro, die der Bau eines Parkplatzes und das Pflaster im Gutshof Britz verschlungen haben, bei der Jugendhilfe besser aufgehoben gewesen wären.