Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 292 – Sonnabend
13. Dezember 1913
Errichtung eines neuen Krankenhauses in Neukölln.
In der letzten geheimen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung wurde, wie wir bereits mitteilten, dem Antrage des Magistrats auf Abschluß eines Vertrages mit dem Mutterhaus der barmherzigen Schwestern vom heiligen Borromäus zu Trier zugestimmt, welcher die Errichtung eines Krankenhauses auf dem städtischen Gelände am Mariendorfer Wege zum Gegenstand hat. Durch die Ausführung dieses Vertrages wird der zukünftige Bedarf der Gemeinde an Krankenhausbetten im wesentlichen gedeckt werden können. Die Opfer der Stadtgemeinde für das Krankenhauswesen sind zurzeit bereits beträchtliche. Die in dem vor wenigen Jahren eröffneten städtischen Krankenhause in Buckow zur Verfügung stehenden 712 Betten erfordern einen jährlichen Zuschuß von etwa 830 000 Mark. Nach dem oben genannten Vertrage verpflichtet sich die Genossenschaft der Schwestern zur Errichtung eines modernen paritätischen Krankenhauses von 300 Betten, das später auf 600 Betten vergrößert werden soll. 60 Prozent der Bettenzahl 3. Klasse werden für den üblichen Verpflegungssatz Neuköllner Einwohnern zur Verfügung gestellt und diesen auch für die beiden übrigen Klassen Ermäßigungssätze eingeräumt. Die Gegenleistung der Stadtgemeinde besteht in der Überlassung des 11 Morgen großen Grundstücks zur Hälfte des Buchwerts unter Verzicht auf Straßenregulierungs= und Kanalisationsgebühren. Ferner trägt die Stadtgemeinde die Kosten für die Projektbearbeitung und die Bauleitung. Bei Enstehen eines Fehlbetrages im Betriebe hat sich ferner die Stadtgemeinde zu einer Zuschußleistung verpflichtet, die im Höchstfalle 100 000 Mark nicht überschreitet, nach den bei dem Betriebe der übrigen Krankenhäuser gemachten Erfahrungen aber voraussichtlich nicht in Anspruch genommen zu werden braucht. Auf die Führung der Verwaltungsgeschäfte ist der Stadt ein Einfluß dadurch eingeräumt, daß der jeweilige Oberbürgermeister den stimmberechtigten Vorsitz im Kuratorium der Anstalt führt. Die 42 Krankenhäuser der genannten Genossenschaft, zu denen auch das St. Hedwigs=Karnkenhaus in Berlin gehört, genießen sowohl hinsichtlich der Verpflegung wie der ärztlichen Behandlung einen ausgezeichneten Ruf in allen Teilen der Bevölkerung. Sie verdanken dies vor allem ihrer Schwesternschaft, die in völlig selbstloser Weise sich ihrem schweren Berufe widmet. Die Aufnahme in das Krankenhaus erfolgt  ohne Rücksicht auf politische oder religiöse Stellung der Kranken und schließt jede etwaige religiöse Beeinflussung aus.  Dies geht schon daraus hervor, daß in dem St. Hedwigs=Krankenhaus zu Berlin die Zahl der aufgenommenen evangelischen Kranken die der Katholiken um mehr als 1/3 übersteigt und daß auch zahlreiche jüdische Personen in ihm Aufnahme finden.Gegenüber dem Betriebe des städtischen Krankenhauses bedeutet für die Stadtgemeinde die getroffene Regelung eine ganz beträchtliche Ersparnis, welche schon bei dem ersten Bauteile von 300 Betten auf etwa eine Viertelmillion zu veranschlagen ist. Die Anstalt, welche in unmittelbarer Nähe der Provinzial=Hebam­menanstalt und gegenüber der königlichen Taubstummenanstalt und Lehrerseminar am Mariendorfer Wege errichtet werden soll, wird bei ihrer günstigen Lage in der Nähe des Ringbahnhofs Hermannstraße sicher auf einen bedeutenden Zuspruch rechnen können und die hygienischen Einrichtungen der Stadt wertvoll bereichern.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen. Nachzulesen in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Krankenhausplanungen

Der Krieg verhindert ein neues Krankenhaus

Das heutige Krankenhaus Neukölln wurde 1909 mit Abteilungen für Chirurgie, innere Medizin, Röntgen und Pathologie eröffnet. Der Bau war aufgrund der wachsenden Einwohnerzahl der Gemeinde Rixdorf notwendig geworden.
1912 standen dem Krankenhaus 450 Betten zur Verfügung. Trotzdem mussten 990 Patienten abgewiesen werden. 1913 kamen durch Fertigstellung neuer Pavillons 262 Betten dazu. Für Privatpatienten erster und zweiter Klasse gab es 16 Betten.  Die Zahl der Abweisungen verringerte sich auf 319.
Versorgt wurde das Krankenhaus unter anderem von den Stadtgütern. Vom Rittergut in Waßmannsdorf erhielt es Milch, Kartoffeln und Gemüse. Letzeres wurde aber auch im eigenen Garten angebaut. Fleisch wurde in Berlin in ganzen Stücken zum Marktpreis eingekauft und dann in der eigenen Schlachterei zerlegt. Zur Verwertung der Speiseabfälle gab es eine Schweinemästerei. Eine Bäckerei sorgte täglich für frisches Brot  und eine Wäscherei für die saubere Wäsche.
Da trotz Erweiterungsbauten die Bettenanzahl für Neukölln nicht ausreichte, wurde am Mariendorfer Weg ein zweites Krankenhaus unter Leitung des Ordens der Borromäerinnen geplant.
Vorgesehen war eine Kuppelkirche mit Kreuzgang, um die sich die Krankenhausgebäude für 600 Betten gruppierten. Geplant waren eine chirurgische, eine innere und eine Kinderabteilung, außerdem ein Bau für die Schwestern, Wirtschaftsgebäude und ein Ärztehaus.
Die durch den Krieg verursachten höheren Baukosten veranlassten den Orden aber, sich aus dem Projekt zurückzuziehen.  Nach dem Krieg entstand hier die Frauenklinik.

mr
Quelle: Verwaltungsberichte für die Stadt Neukölln 1912/13 u. 1914-18