Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung, Dienstag, 7.4.1925
Die Unsitte des Rauchens im Walde hat gestern mittag im Tegeler Forst zu einem großen Waldbrand geführt. Im Jagen 90, in der Nähe von Tegelort, brach plötzlich ein Feuer aus, dem etwa zehn Hektar Eichen= und Kieferschonung zum Opfer fielen. Die Tegeler Feuerwehr und die Borsig=Fabrikwehr waren über eine Stunde angestrengt tätig, um ein Uebergreifen des Brandes zu verhindern. Der Brand ist dadurch entstanden, daß zwei junge Mädchen im Walde rauchten und die Zigaretten dann achtlos fortwarfen. Die beiden Mädchen sind festgestellt worden und sehen außer ihrer Bestrafung wegen Rauchens im Walde auch noch einer Schadenersatzklage entgegen.

Neuköllnische Zeitung, Mittwoch, 15.4.1925
Das fliegende Kino. Vor einigen Tagen ist das erste Kino in der Luft eröffnet worden. Die Gesellschaft, die den Flugzeugdienst zwischen England und dem Kontinent leitet, hat ihren Passagieren während des Fluges von Croydon nach Paris eine regelrechte Filmvorstellung geboten. Zur Aufführung gelangte ein Film, der aus einem Werk von Conan Doyle, dem berühmten Vater des noch berühmteren Sherlock Holmes, zurechtgezimmert war. Das Werk heißt: »Eine verschwundene Welt«, und es kommen darin etliche vorsintflutliche Ungeheuer vor. Die Aufführung soll ausgezeichnet gelungen sein, und die Passagiere haben sich während der nächtlichen Luftfahrt trefflich unterhalten.

Neuköllnische Zeitung, Mittwoch, 15.4.1925
2200 Streichhölzer Jahresverbrauch pro Kopf der Bevölkerung. Im Deutschen Reich werden durchschnittlich jährlich 103 Milliarden Zündhölzer verfertigt, 3 Milliarden ausgeführt und 10 Milliarden eingeführt, so daß man den jährlichen Verbrauch auf durchschnittlich 110 Milliarden schätzen darf. In den letzten zehn Jahren haben wir somit rund elf Billionen Streichhölzer verbraucht. Auf den Kopf der Bevölkerung kommen sonach schätzungsweise 2200 Stück pro Jahr. Das gilt im Durchschnitt. Ein guter Raucher kommt damit natürlich nicht aus.

Neuköllnische Zeitung, Donnerstag, 16.4.1925
Zu einem Maggi-Diner war heute mittag das gesamte Personal unserer Offizin, über 60 leistungsfähige Persönlichkeiten geladen, um einen praktischen Beweis von der Güte und Preiswürdigkeit der Maggi=Würze, Suppen= und Fleischbrühwürfel entgegenzunehmen. Schnell war von der Maggi=Gesellschaft unter Leitung des Vertreters Artur Grützner im Buchbindersaal eine ambulante Küche errichtet, die nur eine ganz kurze eZit gebrauchte, um ihre Gaben nach allen Seiten hin zu verteilen. Man sprach allgemein dem »lecker bereiteten Mahle« mit besonderem Appetit zu und »als des Speisens Gelüste gestillt war«, bedauerte man nur, daß kein Vater Homer in der Nähe war, der unter Assistenz aller neun Musen den Preis des Maggi=Würfels hätte singen können.

Neuköllner Tageblatt, Mittwoch, 22.4.1925
Der Straßenhandel nimmt in Neukölln von Tag zu Tag an Ausbreitung zu. An allen Straßenecken kann man Handelsleute sehen, die alle möglichen Dinge feilhalten. Jetzt haben sich auch vor dem Stadtbad in der Ganghoferstraße zwei Handelsfrauen niedergelassen, die augenscheinlich ihre ganze Hoffnung auf die Besucher des Stadtbades gesetzt haben. Eigenartig mutet allerdings die Warenzusammenstellung der einen Händlerin an, welche außer Süßigkeiten auch nur Zigaretten und – Rollmöpse feilhält.

Neuköllnische Zeitung, Dienstag, 21.4.1925
Kinderballons auf der Straßenbahn. Die Berliner Straßenbahn=Betriebsgesellschaft teilt mit: Aus verkehrs= und feuerpolizeilichen Gründen ist zur Vermeidung von Gefahren fortan die Mitnahme von Kinderballons in die Raucherabteile der Straßenbahnwagen und auf die Plattformen, auf denen das Rauchen gestattet ist, verboten. Personen mit Kinderballon dürfen daher nur noch im Innern der Triebwagen, in denen das Rauchen allgemein verboten ist, zugelassen werden.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1925 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Eine Suppe für das Volk

Wie Maggi die Küchen eroberte

Flüssigwürze, Bouillonwürfel oder Suppenpulver: Die Maggiwürze ist eine Erfolgsgeschichte, die bereits im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm.

Emailschild aus den 1920er Jahren.

1872 gründete Julius Maggi die Firma »J. Maggi & Cie.« in Kemptthal bei Zürich. Dort hatte der Sohn italienischer Einwanderer eine Mühle geerbt. Mit dem Schweizer Arzt und Fabrikinspektor Fridolin Schuler, der die schlechte Ernährung der Arbeiter beklagte, entwickelte er 1886 die erste Instant-Suppe aus Gemüsemehl. Die war zwar nahrhaft, aber nicht unbedingt schmackhaft.
Der Durchbruch kam mit der Erfindung einer konzentrierten flüssigen Bouillon, als Basis für Kraftbrühen, Suppen und Soßen, die als »Maggi-Würze« weltberühmt werden sollte und selbst fadeste Gerichte zu einer gewissen Herzhaftigkeit aufpeppen konnte, und bald hieß es: »Das wissen selbst die Kinderlein – mit Maggi wird die Suppe fein«. Die Rezeptur für die Tunke aus Salz, Aromat, Glutamat, Hefe und Pflanzen­eiweiß wird bis heute streng geheim gehalten.
Im Jahre 1888 eröffnete er Niederlassungen in Deutschland, Frankreich, Italien, dem Vereinigten Königreich und den USA.
Aber Julius Maggi war nicht nur ein leidenschaftlicher Tüftler und Pionier der industriellen Lebensmittelproduktion, er erkannte auch die Wichtigkeit der Vermarktung. Als einer der Ersten richtete er eine eigene Werbeabteilung ein und setzte auf neue Formen wie Plakate, Schilder, Punktesammelsysteme mit Prämien, Sammelbildchen oder Degustationen. Die Flasche für die Flüssigwürze mit dem gelb-roten Etikett entwarf er gleich selbst. An deren Design wurde bis heute nur wenig verändert.
Maggi war aber auch ein Unternehmer, der soziale Verantwortung übernahm mit der Einrichtung der ersten Betriebskantine, Krankenversorgung für die Beschäftigten und Arbeitnehmervertretungen.
Nach einem Schlaganfall starb Maggi 1912. Nach seinem Tod wurde die Firma in eine Holdinggesellschaft umgewandelt und 1947 mit der »Nestlé AG« fusioniert. Die »Maggi-Würze« gibt es bis heute in ihrer ursprünglichen Form.

mr