Diskussion zu »Islam – zwischen Jugendkultur, Religion und Politik« in der Genezarethkirche
Junge Menschen mit Migrationshintergrund müssen ständig den Spagat üben zwischen den Traditionen ihrer Eltern und den Werten und Anforderungen der deutschen Gesellschaft. Sich mit den Widersprüchen, denen sie dabei ausgesetzt sind, ohne Aggressionen auseinanderzusetzen, überfordert so manchen. Und diese suchen sich dann die vermeintlich einfachen Lösungen bei radikalen Organisationen.
Wie dem entgegenzuwirken sei, damit beschäftigte sich eine Gesprächsrunde mit dem Thema »Islam – zwischen Jugendkultur, Religion und Politik«, zu der Erol Özkaraca, SPD-Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, am 20. Juni in die Genezarethkirche am Herrfurthplatz geladen hatte. Offenbar ist das ein Thema, das vielen auf den Nägeln brennt, denn die Kirche war an diesem Abend bis auf den letzten Platz besetzt.»Es kann jeden treffen, die Jugendlichen kommen aus allen Schichten«, beschrieb Claudia Dantschke, Leiterin der Beratungsstelle Hayat, ihre Erfahrungen. Die Mechanismen der Salafisten und der Rechtsextremisten unterscheiden sich dabei kaum, sagte sie. Besonders anfällig seien Jugendliche aus sehr autoritären Elternhäusern, die selbst Gewalterfahrungen gemacht haben. Wenn die Eltern nur über die Jugendlichen bestimmen, ihnen aber nicht zuhören, suchen die sich ihre Mentoren eben woanders.
Das sah Kazim Erdogan ähnlich. »Sprachlosigkeit ist die große Krankheit unserer Zeit«, sagte er. »Die Sprachlosigkeit befördert Ängste und Vorurteile«, nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch zwischen den Kulturen. Mit seinem Verein »Aufbruch Neukölln« gründete der Psychologe die erste türkische Selbsthilfegruppe für Väter. In regelmäßigen Gesprächsrunden spricht er mit ihnen über Erziehungs- und Familienangelegenheiten, Ehre und Frauenrechte. »Wie kommt man auf die Idee, dass die Schule alles richten kann, die Eltern müssen mehr Verantwortung übernehmen«, forderte er. Dabei sieht er auch die Moscheen in der Pflicht. Auch hier müsse Bildungs- und Präventionsarbeit geleistet werden, um die Jugendlichen zu erreichen, die von staatlichen Stellen nicht mehr erreicht werden.
Das werde in den meisten Moscheen bereits getan, wehrte sich Ender Cetin, Vorstandsvorsitzender des »Ditib Sehitlik e.V.« Immerhin sei das erste Gebot im Koran »Lies«. Für größere Anstrengungen fehle aber leider das Geld.
Bildung sei auch nicht Aufgabe der Moscheen, sondern Sache des Staates, konterte Erol Özkaraca. Der aber müsse dabei neutral bleiben. »Ich bin überhaupt nicht gegen ein Kopftuch. Ich bin für die Neutralität des Staates«, betonte er.
Ahmad Mansour, Islamismus-Experte und Gruppenleiter bei »Heroes«, einem Jugendprojekt gegen die Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung, fordert eine innerislamische Debatte. »Es muss gestritten werden, ohne dass man als unislamisch denunziert wird. Der Glaube muss in Frage gestellt werden dürfen.« Und das sollte auch in der Schule gelernt werden. Den Kindern müsse Selbstbewusstsein vermittelt werden.
»Zweifel wird oft als Schwäche ausgelegt«, sagte Pfarrerin Elisabeth Kruse. Wichtig sei zu unterscheiden, was Religion und was Kultur sei. Wer begreife, das etwas zur Kultur und nicht zum Kern der Religion gehöre, könne das dann auch in Frage stellen.
Am Schluss überreichte sie allen Diskussionsteilnehmern ein Röhrchen mit Salz als Symbol für die Wirkung jedes einzelnen Erfolges, und sei er auch noch so klein. »Ein bisschen Salz reicht, damit die Suppe schmeckt.«
mr