Wer baut, gewinnt?

Bauen für die europäische Mittelschicht

Die Innenstädte selbst und ihre ehemaligen Verkehrsflächen sind für Investoren und Planer besonders interessant. Große Flächen ermöglichen theoretisch den Neubau ganzer Stadtviertel. Aber durch die Wirtschaftskrise fällt es vielen Bewohnern bereits schwer, die aktuellen Mieten im Altbestand zu bezahlen. Neubaumieten wären unerschwinglich. Es sei denn, es gäbe einen neuen Sozialen Wohnungsbau.
Auf dem alten Athener Flughafen Ellinikon will die griechische »Lamda Development« das größte private Bauprojekt des Landes durchsetzen. Vorgesehen sind Luxusimmobilien und eine Privatisierung des Strandes. Da die weniger wohlhabenden Anwohner das Investitionsklima stören, wird nicht vor der Kriminalisierung einer nahegelegenen Sozialklinik zurückgescheut. Doch die lokale Bürgerinitiative ist gut vernetzt und erhält Unterstützung von der BI »100% Tempelhofer Feld«.
Auch in Wien-Aspern sollen etwa 10.500 Wohnungen samt Gewerbe auf einem ehemaligen Flugfeld entstehen. Das Projekt gilt als schwierig, denn die gewünschten hochkarätigen Nutzer wollen sich nicht einstellen. Der derzeit hohe Anteil geförderter Genossenschaftwohnungen schreckt bereits Investoren ab. Während ihre Macher sich in Hamburg und Skandinavien neue Anregungen erhoffen, wurden sie von der Wohnungsbaugesellschaft DEGEWO nach Berlin eingeladen.
Die DEGEWO interessiert an Aspern die großzügige Subventionierung. Mit ihr könnte man auch auf dem Tempelhofer Feld Wohnungen für die vom Abstieg bedrohte Mittelschicht bauen. Sozialwohnungen würden nicht darunter sein. Intern rechnet das Bebauungsbündnis damit, daß keiner der beiden THF-Anträge die nötigen Mehrheiten erhält. Dann könnte das Feld »wie ein weißes Blatt« ganz neu (und ganz dicht) beplant werden.

Marlis Fuhrmann (Stellvertr. Vorsitzende Neuköllner BVV-Fraktion DIE LINKE)

Das Buch zum Volksentscheid

Peter S. Kaspar hat den Roman »Tempelhofer Feld« gelesen

Feld-RomanJa, es ist eine Liebesgeschichte. Da ist Sven, der nur deshalb auf das Tempelhofer Feld gerät, weil er sich in die Skaterin Luis verguckt hat, die gut und gerne seine Tochter sein könnte. Und da ist dann auch noch Antonia, die sich ihrerseits in Sven verguckt hat, ihm einen Tomatensetzling aus dem eigenen Urban-Gardening-Setzkasten verehrt. Doch den Tomatenstrauch zieht er mit der anderen auf. Eine untreue Tomate eben.
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Bretter, die das Feld durchkreuzen

Selene Raible trifft Skater, Longboarder und Windskater auf dem Tempelhofer Feld

Auf dem Tempelhofer Feld findet man sie nun schon seit knapp vier Jahren: die Skater, Longboarder und Windskater Berlins. Doch für normale Feldbesucher ist es oft ein Rätsel, wer was wie macht. Skaten dürfte heutzutage für jeden ein Begriff sein, doch hier gibt es viele Variationen in Sachen Board, Fahrstil und Technik. Allgemein gibt es zwei verschiedene Boards, zwischen denen man wählen kann: das normale Skateboard und das Longboard, das, wie der Name schon sagt, um einiges länger ist als das Skateboard.
Mit dem Longboard kann man zum Beispiel lange Strecken viel schneller und entspann­ter fahren als mit dem Skateboard. Dafür ist das Skateboard mit seinem geringen Gewicht viel besser für Tricks geeignet. Das Longboard stellt auch die wichtige Grundlage für die Windskater dar, denn darauf wird das Segel befestigt. Mit den großen Windsegeln fahren die Windskater mit bis zu 70 km/h über die Rollbahnen.

Feldhase bordet

Nur Fliegen ist schöner.                                      Foto: Sven Norman Bommes

Einer von ihnen ist Karl-Johann Richter. Seit der Eröffnung des Tempelhofer Feldes geht er hier regelmäßig Windskaten. Doch ein Neuling auf dem Gebiet des Skatens ist »Kalle« Richter keinesfalls. Er skatet bereits seit den 80er Jahren, war zehn Mal Norddeutscher Meister, einmal Vize-Europameister, nahm bereits mehrere Male am Worldcup teil und geht leidenschaftlich gerne Windsurfen.
Dennoch ist er der Ansicht, dass man für das Windskaten nicht unbedingt Windsurfen können muss. Ein bisschen Skateerfahrung braucht es aber schon, denn ein Sturz auf den Asphalt ist nicht ungefährlich.
Normale Schoner, wie zum Beispiel vom Inlineskaten, reichen hierfür nicht.  Es braucht schon größere und bessere Schoner, um sicher fahren zu können. Das Wichtigste ist, immer nach vorne zu schauen und sich nicht ablenken zu lassen, denn sonst passiert schnell ein Unfall. »Eigentlich ist es nicht sehr schwer zu lernen«, meint Kalle Richter, »und wenn man es erst einmal kann, ist es sehr praktisch, um für das Windsurfen zu üben, unterschiedliche Manöver zu fahren und zu entspannen«.

Gesunde Gänseblümchen

Kleine Pflanze zeigt sich sehr vielseitig

Als Kind habe ich im Frühling und Sommer Haarkränze aus Gänseblümchen geflochten. Sobald die ersten Blumen auf der Wiese standen, wuchs das Sommerfeeling in mir. Gänseblümchen läuten jedoch nicht nur die warme Jahreszeit ein, sie haben gesunde Eigenschaften. Heutzutage freue ich mich immer noch über die Korbblütler mit ihren weißen Zungen- und gelben Röhrenblüten, pflücke sie jedoch nun für meinen Salat oder als Heilmittel.
So wird der Tee aus den Blüten zur Appetitanregung und zur Verbesserung der Stoffwechsellage eingesetzt. Durch die harntreibende Wirkung können Ödeme (zum Beispiel Beinödeme) gelindert werden. Als Jugendliche wurde ich mit dem schrecklichen Befall von Akne und deren Narbenbildung konfrontiert. Meine Oma übergoss gleich einmal eine Handvoll Gänseblümchen mit Doppelkorn und ließ diese Mischung in einem verschlossenen Glas sechs Wochen ziehen. Danach sollte ich mein Gesicht morgens und abends mit einem Wattepad damit abreiben. Ich gestehe, ich hab das erst nach dem Schulunterricht gemacht, da ich Angst hatte, meine Lehrerin würde mir Alkoholmißbrauch unterstellen. Nach vier Wochen waren die ersten Erfolge sichtbar. Die Pusteln und Rötungen klangen ab. Dieses Jahr spiele ich mit dem Gedanken, eine Gänseblümchenseife zu sieden, die ihre positiven Hauteigenschaften gleich beim Waschen entfaltet.

Gänseblümchen (5)

Falsche Kapern von der Wiese.        Foto: mr

Nun aber zu einem wirklich leckeren Rezept mit Gänseblümchen:
Falsche Kapern

2 Tassen Gänseblümchen
½ Teelöffel Salz
125 ml Kräuteressig
Zubereitung:
Gänseblümchen mit Salz bestreuen und drei Stunden ruhen lassen. Kräuteressig aufkochen, die Gänseblümchen hinzufügen und kurz mit dem Essig aufkochen. Alles in ein Schraubglas füllen und einige Tage ruhen lassen. Die Gänseblümchen absieben, den Essig erneut aufkochen und wieder zu den Knospen geben. Drei Wochen kühl und dunkel lagern, dann sind die falschen Kapern für Königsberger Klopse fertig. Sie schmecken aber auch hervorragend zu Eiern in Senfsoße oder Schafskäsesalat. 

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Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr 107 – Freitag
8. Mai 1914
Durch einen Schlafstellendieb erheblich geschädigt wurde der Arbeiter Franz Riepert, Warthestraße 14. Die Wirtin des R. hatte noch einen zweiten Schlafgänger aufgenommen, einen etwa 25 Jahre alten Mann, der am nächsten Morgen in aller Frühe aufstand. Er ließ sich auch nicht wieder sehen, denn er hatte, wie man später entdeckte, seinem Zimmergenossen R. einen neuen Jackettanzug und 1 Paar Schnürschuhe entwendet. Bisher konnte man des Schlafstellendiebes nicht habhaft werden.

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Mach neu!

Viele empfinden die Hasenheide mit ihren maroden Sitzgelegenheiten im Moment nicht gerade als das Gelbe vom Ei.
Eigentlich ist das schade, wurde doch gerade der Streichelzoo erweitert.
Endlich, nach wirklich langem Warten und vielen Eingaben, hat das Grünflächenamt offensichtlich eingesehen, dass es günstiger ist, die kaputten Bänke zu erneuern, als die eventuell aufkommenden Arztkosten zu begleichen, wenn eine der Bänke zusammenbrechen sollte.
Erst die Hartnäckigkeit der Bürger, die immer wieder darauf aufmerksam machten, dass etwas getan werden muss, hat die Politik aufgerüttelt.
Das zeigt eindrucksvoll, dass das bürgerliche Engagement viel dazu beiträgt, dass die Verwaltung nach Lösungen sucht. Denn hier wurde nicht nur gemeckert, sondern konkrete politische Arbeit geleistet. Hut ab!
Wie lange die neuen Bänke halten, bleibt abzuwarten. Aber ein Anfang ist getan.
Corinna Rupp

Petras Tagebuch

Vorfreude auf das Fahrrad, das zum Lippenstift passt

Der Entschluss stand fest, nachdem mir mein Fahrradschrauber den Kostenvoranschlag für die Reparatur meines Fahrrades machte. Es musste ein neues her. Das alte hatte, wenn auch ein bisschen behäbig, gute Dienste geleistet und stand mir immer treu zur Seite.
Nun sollte es mein Traumfahrrad werden.
Diese Marke jedoch erhielt ich nur in einem Berliner Fahrradladen, den ich wegen des schlechten Services eigentlich nie wieder betreten wollte. In diesem Fall allerdings überwand ich meine Sturheit und machte nach mehr als zehn Jahren einen neuen Versuch.
Bewaffnet mit meinem Lieblingslippenstift traf ich im Laden ein und hatte bereits nach kurzer Zeit das Traumfahrrad entdeckt. Die Rahmenhöhe stimmte, die Wendigkeit war nach meinem Geschmack und die knupperkirschrote Lackierung passte hervorragend zu meinem Lippenstift.
Die Liste der Sonderwünsche war lang. Ein besonders stabiler Gepäckträger für das Austragen der Zeitungen, entsprechend auch ein Ständer, der das Gewicht aushält und eine Hydraulikbremse, die das Einfrieren der Bremsen im Winter vermeidet, um nur die wichtigsten Wünsche zu nennen. Natürlich konnte ich ein solches Rad nicht mitnehmen.
Seither befinde ich mich im Stadium der Vorfreude. Das ist nicht unbedingt leicht für meine Umwelt, muss sie sich  doch immer wieder aufs Neue Fahrradgeschichten von mir anhören. Die Lobpreisungen auf das noch nicht vorhandene Vehikel nehmen kein Ende und beschäftigen mich geradezu wie im Rausch. Ich schmiede Pläne. Am Liebsten würde ich mit dem Fahrrad um die Welt reisen. Es entgeht mir auch nicht, dass meine Freunde beim Wort Fahrrad die Augen verdrehen, aber nachsichtig zuhören. Bald ist das Fahrrad da.

Abriss mit Folgen

Der Kiehlsteg ist für die Anwohner, die sich an den kurzen Weg über den Neuköllner Schifffartskanal gewöhnt haben, ein geliebtes Kleinod geworden. Dass er nun abgerissen wurde, ist verkehrstechnisch kein Problem, und die Stadt verändert sich nunmal permanent.
Auch wenn der Senat rechtlich nicht verpflichtet ist, die Anwohner über das Vorhaben zu informieren, so wäre es doch schön gewesen, wenn er es getan hätte. In einer Zeit, in der Bürger sich immer mehr dafür interessieren, wie sich ihr Umfeld ändert und gerne informiert werden möchten, darf die Frage nach dem politischen Instinkt des Senats erlaubt sein.
Wenn sich Bürger von Politikern übergangen fühlen, die von ihnen das Vertrauen erhalten haben, die Geschicke der Stadt zu leiten, dann stimmt da etwas nicht mehr.
Bleibt dem Senat nur noch die Hoffnung, dass die Bürger bis zur nächsten Wahl alles wieder vergessen haben.

Petra Roß

Das Ende einer kurzen Verbindung

kiehlstegDas war mal der Kiehlsteg.                                                           Foto:fh

Senat ignoriert Bürgerprotest gegen Kiehlstegabriss

Proteste, Demonstrationen und Unterschriftensammlungen haben nichts genützt, der Kiehlsteg ist Geschichte. In der letzten Märzwoche wurde die kleine Brücke über den Neuköllner Schifffahrtskanal, die den Weichselplatz mit dem Kiehlufer verband, abgerissen.
Die Brücke wurde 1962 gebaut, weil die Lohmühlenbrücke mit dem Bau der Mauer  unpassierbar geworden war. Sie sollte den nördlich des Ufers gelegenen Teil Westberlins anbinden und zumindest den Fußgängern den Umweg über die Wildenbruchbrücke ersparen. Der Steg hatte damit eine eng mit der Teilung Berlins verbundene historische Bedeutung.
Besonders für Kinder auf dem Weg zum Spielplatz bot er außerdem eine sichere Alternative zur vielbefahrenen Lohmühlenbrücke.
Inzwischen war der Kiehl­steg aber sanierungsbedürftig, die Kosten einer Instandsetzung sollten sich auf 260.000 Euro belaufen. Das war der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zu teuer, daher entschied sie sich für den Abriss.
Doch damit waren die Anwohner nicht einverstanden. Was sie besonders erbost, ist die Tatsache, dass sie nicht informiert wurden. Erst als die beauftragte Firma mit Vermessungsarbeiten begann, wurden die Abrisspläne publik.
Umgehend gründete sich eine Bürgerinitiative, die zu Demonstrationen aufrief, Unterschriften sammelte und ein alternatives Sanierungskonzept vorlegte. Ein Gutachten wurde in Auftrag gegeben, weil die BI die Kostenkalkulation des Senats anzweifelt. Das kommt zu dem Ergebnis, dass 25.000 bis 30.000 Euro ausreichend seien, denn die Konstruktion sei längst nicht so marode wie vom Senat behauptet. Der Abriss soll 42.000 Euro kosten.
Doch bei der Senatsverwaltung stießen die Anwohner mit ihren Vorschlägen auf taube Ohren. Auf die Frage der »Berliner Zeitung«, ob versucht worden sei, mit den Anwohnern ins Gespräch zu kommen, lautete die Antwort der Senatssprecherin Petra Rohland: »Wir können den Kollegen nicht zumuten, sich mit den Bürgern auseinanderzusetzen«. 

mr

Parteien positionieren sich zum Tempelhofer. Feld Kiez und Kneipe Neukölln hat hier den Parteien die Möglichkeit eingeräumt, ihre Positionen zu dem bevorstehenden Volksentscheid darzustellen. Es handelt sich hier nicht um die Meinung der Redaktion.

Die Linke

JA zum Tempelhofer Feld für alle. NEIN zur Privatisierung

Am 25. Mai findet der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld parallel zu den Europawahlen statt. In den Wahlbüros können alle Wahlberechtigten über zwei Gesetzentwürfe entscheiden. Einen hat die  Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« verfasst, den anderen der Berliner Senat. Bei beiden kann jeweils mit Ja und mit Nein abgestimmt werden. Damit ein Gesetz gewinnt, braucht es mehr als 625.000 JA-Stimmen und mehr JA als NEIN-Stimmen.
Die Bürgerinitiative will das Tempelhofer Feld als öffentliches Naherholungsgebiet erhalten. Das Feld ist als kostenloses Freizeitgebiet wichtig für die vielen Tausend Anwohner, die wenig Geld haben. Es soll weiter als grüne Lunge für das Stadtklima dienen, und es wird ein Gedenkort nationalsozialistischer Verbrechen entstehen. Entgegen der Behauptung des Senats soll im äußeren Wiesenbereich Raum sein für weitere Bäume, Bänke, Toiletten, Gartenprojekte und Sport- und Spielflächen.
Das Gesetz des Senats erlaubt es, mindestens ein Drittel des Feldes zu verkaufen und bebauen zu lassen. Geplant sind Gewerbe, eine überaus teure Zentralbibliothek und Luxuswohnungen. Dabei gibt es ausreichend erschlossene Bauflächen, die zusammen zehnmal so groß sind wie das Feld. Behutsame Bebauung wird versprochen, obwohl Zehngeschosser im Gespräch sind.
Der Senat verspricht auch preiswerte Wohnungen, aber macht den Investoren gesetzlich keinerlei Vorgaben, sie haben freie Hand für noch mehr Stadtvillen, Lofts und Luxuswohnungen. Nur ein Fünftel der Wohnungen sollen für 6 bis 8 Euro pro Quadratmeter kalt vermietet werden. Das sind keine Sozialwohnungen.
Von der Bebauung profitieren vor allem Immobilienspekulanten. Dem nicht genug: Die hohen Erschließungskosten sollen alle Berlinerinnen und Berliner zahlen. Nach Medienberichten belaufen sich diese Kosten und die vorgesehene Bebauung auf mehr als 600 Millionen Euro. Allein die mit 270 Millionen Euro geplante Landesbibliothek soll um 100 Millionen teurer werden.
Die Senatspläne werden die Mieten weiter hochtreiben statt senken. Die Mieter in Berlin brauchen eine gesetzliche Mietenbremse und bezahlbaren Wohnraum statt weitere Privatisierung öffentlicher Flächen und Wohnungen. DIE LINKE ruft auf, mit JA für die Bürgerinitiative zu stimmen und das Gesetz des Senats mit NEIN abzulehnen.

Lucia Schnell, Sprecherin DIE LINKE.Neukölln

thf

SPD

Wer bezahlbare Mieten will, kann nicht gegen Wohnungsbau sein

KuK ist bisher ausschließlich Sprachrohr der 100%-Tempelhof-Kampagne gewesen. Schön, dass die aktuelle Ausgabe nun auch eine Möglichkeit bietet, Argumente für die Randbebauung des Tempelhofer Feldes zur Diskussion zu stellen.
Das wichtigste: Es geht um Wohnungsbau. Bezahlbare Mieten wird es in Neukölln ohne Wohnungsbau auf Dauer nicht geben. Wir erwarten – konservativ geschätzt – 250.000 mehr Menschen in Berlin bis 2030, davon 20.000 in Neukölln. Mir ist wichtig, dass die Zuziehenden und alle, die schon da sind, menschenwürdig unterkommen und dass die Mieten dabei nicht durch die Decke gehen. Das geht nur mit Wohnungsbau. Mietbremse und Milieuschutz bekämpfen Symptome knappen Wohnraums. Wohnungsbau setzt an der Wurzel an.
In Neukölln brauchen wir bis 2030 ca. 8.000 Wohnungen durch Neubau. Für knapp ein Viertel davon ist der Platz am Rand des Tempelhofer Feldes vorgesehen. Die Hälfte der Wohnungen dort soll von öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften zu Quadratmeterpreisen zwischen 6 und 8,50 Euro vermietet werden. Das schafft ein zusätzliches Angebot auch für Haushalte mit niedrigem Einkommen.
Wer auch in Zukunft in Nord-Neukölln bezahlbaren Wohnraum finden will, darf diesen Wohnungsbau nicht verhindern. Die viel beschworenen Alternativen (Dachgeschoss-Ausbau, Nutzung anderer Freiflächen) reichen bei weitem nicht aus. Außerdem dürfen wir uns nichts vormachen: Wenn das Nimby-Prinzip (»Nicht vor meiner Haustür!«) sich auf dem Tempelhofer Feld durchsetzt, wird es auch andernorts siegen. Wohnungsbau ist eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit, die nicht am Egoismus der Kieze scheitern darf.
Die Tempelhof-Initiative argumentiert inzwischen (ziemlich defensiv), auch ihr Gesetz könne später noch vom Abgeordnetenhaus geändert werden. Das stimmt aber nur formal. Ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz wird die Politik jahrelang nicht anfassen. 100 % Tempelhofer Feld bedeutet deshalb für Berlin 100 % Stillstand. Dazu sollten wir es nicht kommen lassen.

Fritz Felgentreu MdB
fritz.felgentreu@bundestag.de

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Die Grünen

Abstimmen für »100% Tempelhof« gegen die Arroganz des Senats

Sozialer Wohnungsbau sollte im Masterplan nicht verbindlich festgeschrieben werden, eine Quote für erschwingliche Wohnungen sollte es nicht geben, Bürgerbeteiligung nur so weit, dass am Masterplan nichts zu ändern wäre – also nur ein bisschen für die Gestaltung des Parkes. So sahen die Vorgaben der Koalition aus, mit denen sie in die Gespräche über den von den Grünen vorgeschlagenen »Dritten Weg« ging. Wir wollten eine Festlegung auf zwei Drittel Wohnungen für Transferleistungsbeziehende und Geringverdienende, wir wollten außerdem eine Beteiligung, die an den Plänen wirklich etwas ändern könnte, sowie mindestens 250 Hektar öffentliche Freifläche und eine teilweise Unterschutzstellung des Feldes nach dem Naturschutzgesetz. Nach fünf Sitzungen war dann leider klar, dass sich die Koalition aus SPD und CDU in keinem Punkt auch nur minimal bewegen würde.
Und so sieht jetzt der Gesetzestext der Koalition aus, der am 25. Mai gegen das Gesetz der Bürgerinitiative steht: »Das Volksbegehren 100% Tempelhofer Feld geht den falschen Weg« heißt es dort. Und: »Die konkrete Ausgestaltung der geplanten Quartiere an den Außenrändern des Feldes bleibt den gesetzlichen Planungsverfahren vorbehalten«. Damit wird eine echte Bürgerbeteiligung, abgelehnt, in der auch über Alternativen diskutiert würde. Auf die vorgelegten Pläne kann damit kein Einfluss genommen werden. Für das Flughafengebäude gibt es kein Nachnutzungskonzept. Ob und wie viel sozialer Wohnungsbau tatsächlich kommt, ist offen.
Wer sich damit nicht zufrieden geben möchte, sollte das Volksbegehren unterstützen. Die überdimensionierte Wowereit-Gedenk-Bibliothek und die sieben Geschosse hohen Wohnburgen am Tempelhofer Damm können nur mit einem Ja zu »100% Tempelhof« verhindert werden. Die Koalition hat keine Idee, wie sie den Verkehrsinfarkt am Tempelhofer Damm abwenden kann, wenn dort so viele Menschen wohnen werden. Und für uns hier von zentraler Bedeutung: Die drei Reihen Häuser an der Oderstraße müssen verhindert werden.
Der dritte Weg für eine sozialverträgliche und ökologische Entwicklungsperspektive mit offener Bürgerbeteiligung ist an der Koalition gescheitert. Jetzt müssen wir verhindern, dass dieser Senat das nächste Großprojekt startet, bei dem die Kostenexplosion schon abzusehen ist und das den Schillerkiez durch drei Reihen Blocks vom Tempelhofer Feld abriegeln wird.

Susanna Kahlefeld, MdA

»Der Bezirk ist nicht zuständig!«

Aktive Demokraten irritieren die BVV

Immer mal wieder kommt es zu Turbulenzen in der Bezirksverordnetenversammlung, wenn sich das Volk auf den Rängen zu Wort meldet. So auch am 26. März. Ein Besucher wurde mit den Worten: »Wenn Sie ein Mitspracherecht haben wollen, dann gehen Sie doch zurück nach Kreuzberg« vom Vorsitzenden der BVV des Saales verwiesen, die Sitzung wurde unterbrochen.
Vorausgegangen war eine hoch emotionale Debatte um eine große Anfrage der Piraten, die wissen wollten, wie die Anwohner über den Abriss des Kiehlstegs informiert wurden.
Der Bezirk sei nicht zuständig, das sei Sache der Senatsverwaltung, erklärte Baustadtrat Blesing. Im übrigen habe er bei einer Veranstaltung in der Rütlischule im letzten August auf den Abriss hingewiesen. Auch dem Ausschuss für Grünflächen seien die Pläne bekannt gewesen. Dessen Mitglieder hätten die Anwohner ja informieren können, aber »wer zu spät kommt, den bestraft das Leben«, erklärte er süffisant.
Ein weiteres Thema war die Zukunft des Tempelhofer Feldes. Um das Konzept für den sozialen Wohnungsbau ging es in einer großen Anfrage der Grünen. Im Antrag »Gleiche Bedingungen beim Volksentscheid THF« fordern die Fraktionen der Linken und der Grünen, dass die Bürgerinitative »100% Tempelhofer Feld« ebenso wie der Senat auf dem Feld mit Ständen und temporären Bauten für ihren Volksentscheid werben kann.
Auch hierfür, sagte Blesing, sei der Bezirk nicht zuständig. Der Linken warf er vor, mit der Anfrage lediglich Stimmungsmache gegen die Bebauung betreiben zu wollen. In die Werbekampagne der »Tempelhof Projekt GmbH« auf dem Feld solle sich der Bezirk nicht einmischen, erklärte Michael Morsbach (SPD). Der Eigentümer könne mit der Fläche verfahren, wie er es für richtig halte. Der Antrag wurde mit den Stimmen von CDU und SPD abgelehnt.

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Demo vor dem Rathaus.               Foto: ro

Sachlich und ernst ging es bei der Beantwortung einer großen Anfrage der CDU zu, die Auskunft über die Kosten der Demonstration gegen Nazis vor dem Rathaus am 26. Februar verlangte. Die CDU bezweifelte die Sinnhaftigkeit einer solchen Demonstration, da auf diese Weise erst recht die Aufmerksamkeit auf die Rechtsextremen gerichtet würde. Diese Einschätzung fand beim Rest der BVV allerdings keine Resonanz. »Ab wie viel Nazis darf man denn demonstrieren gehen?«, fragte Steffen Burger (Piraten) und antwortete gleich selbst: »Schon wenn ein Nazi da steht, ist es Grund genug hinzugehen.« Wegschauen sei keine Lösung, darin waren sich die meisten Redner einig. Und eine Aufrechnung der finanziellen Aufwendungen gegen die Grundrechte in einer Demokratie  sei ohnehin hoch problematisch.
Es sind 8.000 Euro, die für den Einsatz von Sicherheitskräften und einige zertrampelte Blumen aufgebracht werden müssen.

mr

Die auf die Straße gehen

Der Film »Mietrebellen« portraitiert die Proteste gegen Verdrängung / von Robert S. Plaul

Was der Begriff »Gentrifizierung« bedeutet, und wie schnell Verdrängung alteingesessener Mieter aus ihrem Lebensumfeld mittlerweile gehen kann, bedarf in Berlin und insbesondere in Kreuzberg und Neukölln seit einiger Zeit keiner näheren Erklärung mehr – zu präsent ist die Problematik, als dass man sie ignorieren könnte, selbst wenn man persönlich nicht direkt betroffen ist. Dass das Thema in den Köpfen ist, ist nicht zuletzt auch das Verdienst jener Aktiven, die sich in den vergangenen Jahren in zahlreichen Initiativen und Gruppierungen zusammengefunden haben, um den Protest gegen Mieterhöhung und Verdrängung auf die Straße zu bringen. Mit »Mietrebellen« kommt Ende April ein Dokumentarfilm ins Kino, der ein Portrait eben jener Protestbewegung zeichnet.
Es ist eine Bewegung, das zeigt der Film, die sich nicht ohne weiteres einer konkreten gesellschaftlichen »Gruppe« oder »Schicht« zuordnen lässt: Intellektuelle Alt-Linke, türkische Grundsicherungsempfänger und kampfeslustige Senioren sind es, die sich plötzlich – und vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – demonstrierend auf der Straße wiederfinden, ein Protestcamp aufbauen und Zwangsräumungen verhindern.
In Pankow haben die Nutzer einer Seniorenbegegnungsstätte, die vom Bezirk geschlossen werden sollte, die Einrichtung kurzerhand besetzt und damit die Politik zum Handeln gezwungen. In Friedrichshain ist es den Bewohnern einer Wohnanlage, der Rentnergruppe »Palisadenpanther«, gelungen, die drohende Verdoppelung der Miete auf die sogenannte »Kostenmiete« zu vereiteln.
Ausgelaufene staatliche Fördergelder im ehemaligen sozialen Wohnungsbau sind auch der Grund für die Miet­erhöhungen südlich des Kottbusser Tors. Die zum größten Teil türkischstämmigen Mieter, die meist seit Jahrzehnten in ihren Wohnungen leben, haben sich zur Initiative »Kotti & Co.« zusammengeschlossen und auf dem Platz ein Protestcamp aufgeschlagen, das sie in Anlehnung an die informellen Siedlungen am Rande türkischer Großstädte als »Gecekondu« bezeichnen. Tatsächlich haben sie mit ihrem Protest erreicht, dass die geplante Mie­­t­erhöhung für ein Jahr ausgesetzt wurde.

MIETREBELLEN Palisaden

Mit Rollstuhl und Rollator. Die »Palisadenpanther« kämpfen um ihre Wohnanlage.   Fotos: schultecoersdokfilm

Doch nicht immer ist der Protest erfolgreich. Die Zwangsräumungen von Familie Gülbol und von Rosemarie Fliess – die traurige Berühmtheit erlangte, weil sie zwei Tage darauf verstarb – konnten trotz massivem Aufgebot von Protestierenden nicht verhindert werden. Die gute Nachricht aber, das vermitteln die Dokumentarfilmer Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers in »Mietrebellen«,  ist, dass mit solchen Aktionen ein öffentlicher Druck geschaffen wird, der künftig Vermieter vielleicht davon abhält, zum Mittel Zwangsräumung zu greifen, selbst wenn sie sich im Recht fühlen.
Der eigentliche Adressat des Protestes aber ist und bleibt die Politik. Nur sie nämlich kann beispielsweise entscheiden, ob weitere Immobilien aus Landesbesitz an private Investoren verkauft werden oder ob es Miet­ober­gren­zen geben soll.

»Mietrebellen« läuft ab 24. April unter anderem im Moviemento.

Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 80 – Sonnabend
04. April 1914
das ende der langen Hutnadeln. Die großen Hüte, die mit der »Lustigen Witwe« ins Land kamen, haben bekanntlich die langen Hutnadeln in Mode gebracht, und obgleich die Hüte seither immer kleiner wurden, haben sich die langen Nadeln doch als recht langlebig erwiesen. Indessen scheint heute doch auch für sie die Todesstunde geschlagen zu haben, denn es gilt bei der eleganten Gesellschaft bereits als ganz unmodern, die kleinen Hüte noch mit solch langen Spießen zu befestigen. In dem langen Krieg, der gegen die Hutnadeln geführt wurde, ist diese zu einer ganzen Geschichte gekommen. Sie war die Ursache einer Reihe polizeilicher Verfügungen, die bemüht waren, ihnen den Garaus zu machen. Zu ihren erbitterten Feinden gehörten auch die Aerzte, die nicht müde wurden, den Verlust des Augenlichtes und entstellende Verletzungen, die auf das Konto der Hutnadeln zu setzen waren, als schreckliche Teufel an die Wand zu malen. Daß diese Beschuldigungen nicht so ganz aus der Luft gegriffen waren, beweist unter anderem die Sammlung langer Hutnadeln, die der frühere Pariser Polizeipräsident Lepine zusammengetragen hat und von denen sich an eine jede eine Schauergeschichte von Mord und Selbstmord und Gewalttaten, die das tückische Objekt verschuldet, knüpft.

Nr. 84 – Donnerstag
09. April 1914
Einen Menschenschädel fand ein Schüler aus der Lichtenraderstraße auf dem Tempelhofer Felde und übergab ihn der Polizei. Bekanntlich läßt die Stadt Neukölln z. Zt. am Rande des Tempelhofer Feldes einen Gehölzstreifen anlegen, aus welchem Grunde der Boden durch einen Dampfpflug in einer Tiefe von 60 Zentimeter umragolt worden ist. Bei dieser Arbeit ist der Schädel anscheinend an die Oberfläche befördert wordend. Woher der Schädel stammt, dürfte kaum aufzuklären sein.

Nr. 93 – Mittwoch
22. April 1914
Waschvorrichtungen auf Bahnhöfen. Es ist mehrfach Klage darüber erhoben worden, daß auf den Bahnhöfen nicht ausreichend für Waschgelegenheit gesorgt ist. Der Eisenbahnminister hat daher die königlichen Eisenbahndirektionen  veranlaßt, zu prüfen, ob die Bahnhöfe mit großem Verkehr, namentlich Übergangsbahnhöfe und solche, bei denen sich ein besonderes Bedürfnis herausgestellt hat, entsprechend mit Waschvorrichtungen ausgerüstet sind; erforderlichenfalls ist für weitere Befriedigung dieses Bedürfnisses im Rahmen der verfügbaren Mittel Sorge zu tragen. Die Ausrüstung kleinerer Bahnhöfe mit besonderen Waschgelegenheiten wird im allgemeinen nicht nötig sein. Sollte hier vereinzelt ein Bedürfnis zum Händewaschen vorliegen, so wird es nach Ansicht der Zentralverwaltung genügen, diesem Bedürfnis durch Vorhaltung von Waschwasser, Handtuch und Seife seitens der Bahnhofswirte oder in anderer geeigneter Weise zu entsprechen. Dabei soll vor allem darauf hingewirkt werden, daß die Gebühren für Händewaschen möglichst niedrig bemessen werden.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Gefährliches Modeac­ces­soire

Ungewöhnliche Verwendungsmöglichkeiten für Hutnadeln

Um die Jahrhundertwende wurden die  Frauenkleider schmaler und enger, die Drapierungen fielen weg. Zum optischen Ausgleich kamen die wagenradgroßen Prachthüte auf, die meist reich mit Straußen- oder Reiherfedern, Blumen und Schleifen geschmückt wurden.  Sie wurden in den wohldurchdachten Frisuren durch bis zu 30 Zentimeter lange Hutnadeln einigermaßen sicher verankert.
Die Nadeln wurden aus Stahl, Leder, Email und geschnitztem Elfenbein gefertigt und die Nadelköpfe aus Gold, Perlen oder großen, farbigen Edelsteinen wie Amethyst oder Topas.

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Ende einer Hutnadel.      Foto: Wikipedia

Hutnadeln fanden gelegentlich aber auch eine andere Verwendung. Bertha Benz benutzte auf der ersten Fernfahrt 1888 nach Pforzheim eine Hutnadel, um eine verstopfte Benzinleitung durchgängig zu machen.
Auch bei der Selbstverteidigung leisteten die Nadeln vorzügliche Dienste. Als 1912 im Generalstreik in Brisbane im australischen Queensland während einer Demonstration eine Gruppe von Frauen und Mädchen von der Polizei bedroht wurde, die mit Bajonetten bewaffnet war, nahm Emma Miller, eine engagierte 73-jährige Gewerkschafterin und Suffragette, ihre Hutnadel und stach damit auf ein Polizeipferd ein. Dieses ging durch und dessen Reiter, ausgerechnet der ranghöchste Offizier, wurde abgeworfen.
In den öffentlichen Verkehrsmitteln stellten ungeschützte Hutnadeln eine ernste Gefahr für die Mitfahrenden dar. In einer Verordnung der preußischen Eisenbahnbehörden heißt es daher: »Das Tragen ungeschützter Hutnadeln innerhalb des Bahngebietes, auf den Stationen und in den Zügen ist verboten und wird bestraft. Nichtachtung dieser Anordnung kann mit Geldstrafe bis zu 100 Mark belegt werden. Auch können derartige Personen von der Mitfahrt ausgeschlossen werden.

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Die Rollkoffervignette wird eingeführt

Minimaler finanzieller Aufwand der Neuköllnbesucher bringt viel für die Bezirkskasse

Auf Antrag des Bau- und Verkehrsausschusses der Bezirksverordnetenversammlung in Neukölln wurde bei der vergangenen Sitzung über die sogenannte »Rollkoffervignette« entschieden. Es handelt sich wie bei der Automaut um eine Vignette, die den Zugang für Touristen gegen eine Gebühr von je fünf Euro  am Anreise- und Abreisetag nach Neukölln erlaubt. Damit werden auch die Touristen erfasst, die nicht in  Hotels übernachten oder bei ihren Neuköllner Freunden. Durch Kontrolle der Neuköllner selbst soll gewährleistet werden, dass sich Touristen an diese Regelung halten. Erwerben kann der Neuköllntourist die begehrte Vignette bei der BVG und im Taxi. Für den BER sind bereits entsprechende Automaten geplant.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD Lars Oeverdiek dazu: »Immerhin hat der Bezirk mit Mehreinnahmen von 23,8 Millionen Euro zu rechnen.« Das entspräche einem Anteil von zehn Prozent der Touristen, die jährlich Berlin besuchen, die damit zur Kasse gebeten werden. Daniel Dobberke von der Fraktion der CDU wendet dagegen ein: »Mit diesem Geld kann das Demonstrationsrecht in Neukölln weiterhin bestehen bleiben. Das kann sich der Bezirk mit den Mehreinnahmen locker leisten.«
Der Baustadtrat  Thomas Blesing dagegen betont den erhöhten administrativen Aufwand, den sich seine Abteilung nicht leisten kann. Immerhin rechnet er mit Zusatzkosten in Höhe von 200.000 Euro für die Produktion der Vignetten und Personalkosten.
Eine Allianz bildeten die Piraten und die Linke. Sie positionieren sich gegen die Vignette. Sie sei zu teuer und würde Touristen abschrecken. Im übrigen mache das kein anderer Bezirk in der Stadt.
Bürgermeister Buschkowsky, der sich normalerweise bei den Diskussionen zurückhält, zeigte sich für die Vignette begeistert: »Wo Neukölln ist, ist vorne!«
Die Vignette wird ab dem 1. April eingeführt. Neuköllner, die Rollkoffer ohne Vignette sehen, melden das Versäumnis bitte unter der Telefonnummer 030/902390.

ro.

Lieblingsplatz für ein weises Lächeln

Ein Gespräch mit der Dame am Fenster

»Das bin ja ich«, jauchzt Irène und lacht herzlich. Sie liest in unserer März-Ausgabe den Backshopphänomen-Artikel und erkennt sich sofort wieder.
Irène ist 83 Jahre alt und wohnt seit knapp zwei Jahren in Neukölln. Vorher hat sie in München gelebt, mehrere Jahre in Frankreich und Italien, nach Afrika hat es sie auch schon verschlagen.
»Als ich in München erzählt habe, dass ich nach Neukölln ziehe, haben die mich ganz erschrocken angeguckt«, erzählt Irène und lächelt. Ihr Lachen ist ansteckend, voller Leben und Freude. Deshalb hat sie es sich auch zur Aufgabe gemacht, Menschen zum Lachen zu bringen – was ihr auch oft gelingt.
»Mir hat die Geschichte sehr gefallen«, sagt sie mir und sieht ein wenig nachdenklich aus. »Ich habe sie meinen Kindern gezeigt. Meine Tochter hat gesagt, dass der Schluss fehlt. Die Geschichte hat kein Ende.«

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»Ich muss nicht weiter«. Gelassenheit im Backshop.     Foto: cr

Und das werde ich jetzt nachholen:
Die alte Dame sitzt wieder am Fenster auf ihrem Lieblingsplatz und blättert in einer Zeitung. Sie sitzt mittig auf der gepolsterten Bank, da ihr Knie nicht mehr jede Bewegung vollführen kann und so kein Tischbein im Weg ist. Irène beobachtet gerne die Leute, die auf dem Bürgersteig am Fenster vorbeihuschen. Sie ist ein bisschen traurig, dass niemand mehr die Zeit aufbringt, kurz stehen zu bleiben und inne zu halten. »Ich muss weiter« ist für sie ein schlimmer Satz. Ich habe zu tun, ich kann nicht – alles Ausreden.
Ich habe ein Buch dabei. Es liegt neben mir auf dem Tisch.
»Was ist denn das?«, fragt Irène neugierig.
»Ein Kinderbuch«, erkläre ich. »Für kleine, große und sehr große Kinder. Es ist eine Fortsetzung vom Kleinen Prinzen.«
Irène faltet ihre Hände und lächelt. Sie erinnert sich an alte Zeiten, verfällt in Melancholie.
»Ach, der Kleine Prinz ist immer noch mein Lieblingsbuch«, schwärmt sie.
Ich verspreche ihr, dass sie es auf jeden Fall auch mal zum Lesen bekommt und verabschiede mich. Ich sage extra nicht »Ich muss los«, denn mittlerweile kenne ich die Dame am Fenster viel besser.
»Ich mache mich auf den Weg und freue mich schon auf die nächste Begegnung«, sage ich und schüttele ihr die Hand. Dann bestelle ich mir noch einen Milchkaffee zum Mitnehmen und gehe meiner Wege.
Irène habe ich ein paar Tage später gesehen. Sie lächelt – wie immer. 

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Höher, schneller, akrobatischer

Neuköllner Meisterehrung für das Sportjahr 2013 mit vielen unterhaltsamen Einlagen

Bunt und abwechslungsreich wie Neukölln selbst war die Meisterehrung für das Sportjahr 2013 auf dem Campus Rütli, mit Shows, die von Cheerleading und Juggern zu Turnen und Karate reichten. Eröffnet wurde die Sportgala am 4. April durch einen Auftritt von »Stars in Concert«, genauer gesagt einem verblüffend authentischen Tom Jones, der mit seinem flotten Hüftschwung wohl besonders einige Damen in Begeisterung versetzte. Direkt im Anschluss begrüßten Stadträtin Franziska Giffey und die Vorsitzende des Sportausschusses der BVV Violette Barkusky-Fuchs die Gäste und erfolgreichen Sportler sowie einige besondere Persönlichkeiten unter den Anwesenden: die MdBs Fritz Felgentreu und Christina Schwarzer und Bürgermeister Heinz Buschkowsky, die sich jedoch dezent im Hintergrund hielten.
Geehrt wurden 642 Sportler aus 18 Neuköllner Vereinen. Ein besonderes Präsent sollten der jüngste und der älteste Sportler (2008 und 1930 geboren) erhalten, doch leider wagte sich keiner von ihnen nach vorne. Während dann am linken Hallenrand die Ehrungen durch Helfer der BVV durchgeführt wurden, begann das Programm.
Interessant wurde es, als ein mysteriöser Mann im weißen Mantel die Bühne betrat, der sich als der äußerst begabte Artist TJ Wheels, Künstler des Jahres 2012, entpuppte und zwei atemberaubende Balance- und Jonglageshows zum Besten gab.

meisterehrunhgAkrobat schön.          Foto: Bertil Wewer

Großen Zuspruch beim jüngeren Publikum fanden die Breakdancer »Yo 22«, die mit Kopfkreiseln und Saltos zeigten, dass auch außerhalb vom Vereinssport Höchstleistungen gebracht werden. Ein echter Stimmungsmacher war die Capoeira Gruppe der »Berliner Turnerschaft«. Zu brasilianischer Musik führten sie ihre Kampf-Tanz-Kunst mit akrobatischen Elementen vor und bewegten die Zuschauer sogar zum Mitsingen und Mitklatschen.
Zwischen all diesen unterhaltsamen Einlagen wurden drei herausragende Vertreter des Neuköllner Sports geehrt: Triathletin Agnes Lukasiewicz vom »TuS Neukölln« und Schwimmer Tim Wallburger vom »SG Neukölln«, beide international erfolgreich, waren leider nicht anwesend, dafür aber die U13 Wasserballer des »SG Neukölln«, die 2013 deutsche Vizemeister wurden und so glücklich ihre Urkunden entgegennehmen konnten.
Das Schönste an dieser unterhaltsamen Sportgala war jedoch die Begeisterung für die unterschiedlichsten Sportarten, die den ganzen Abend in der Luft lag, sodass man am liebsten aufgestanden wäre und mitgetanzt, gekämpft oder geturnt hätte.

jt

Sensationeller Fund!

Naslinge  – eine bereits verschollen geglaubten Tierart aus der Gruppe der Rhinogradentia

Francoise Didier, eine junge Biologin, die sich auf Kleintierpopulationen städtischer Freiflächen und Brachen spezialisiert hat, macht zur Zeit vergleichende Untersuchungen in Berlin, Madrid, Paris und Rom. Die teilweise erstaunlichen Ergebnisse führen ab und zu nicht nur zum Auffinden bereits als verschollen geltender Arten sondern lassen auch Schlüsse auf die fortschreitenden Veränderungen im Rahmen der Klimaerwärmung zu.

Die von ihr hier aufgefundene, als verschollene geglaubte Art Nasobema lyricum (Naslinge), ursprünglich heimisch auf einem tropischem Archipel, wird nach ihren Aussagen nur noch der Vollständigkeit halber in den zoologischen Grundwerken als taxonomische Gruppe beschrieben.

330px-Musée_zoologique_de_Strasbourg-Rhinograde_(Rhinogradentia,_cropped)

 

Diese wohl nachtaktiven, sehr verborgenen Naslinge weisen eine Größe wie Spitzmäuse auf, ernähren sich von kleinen Insekten und sind nur unter schwierigsten Umständen zu beobachten. Auch Francoise Didier ist es nicht gelungen, ein brauchbares Foto zu schießen. Naslinge treten genauso schnell  in Erscheinung, wie sie wieder weg sind. Francoise Didier geht zur Zeit von drei Exemplaren direkt im Übergang zur S-Bahn aus, die sich durch Größe unterscheiden ließen. Es könnte sein, dass sich entlang der hier gut etablierten Biotopverbindungen eventuell doch eine überlebensfähige Population ansiedeln konnte. Dies wäre eine sensationelle heimischwerdende Art im Rahmen der Klimaerwärmung in Mitteleuropa. Mittels einer Wärmebildkamera gilt es den endgültigen Nachweis zu führen. Francoise Didier bittet um Mithilfe und Unterstützung, welche den sensationellen Fund belegen.

Rolf Siewing (Hrsg.): Lehrbuch der Zoologie. Systematik, Kapitel: Rhinogradentia. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Band 2, G. Fischer, Stuttgart 1985, ISBN 3-437-20299-5
 

Das Nasobēm

Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobēm,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.

Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.

Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobēm.

(Christian Morgenstern)

 

 

 

Neue Flüchtlingsunterkunft in Neukölln

Anwohner und Schulen sind gut auf die neuen Mitbürger vorbereitet

spaethstrBürger  schützen das Asylantenheim vor Neonazi-Demonstranten.Foto: ro

Es geht doch! Was lange versprochen war, wird nun endlich wahr. Auf dem Gelände vom »Möbelhaus Krieger« ist eine Flüchtlingsunterkunft entstanden, die im März eröffnet wird. Das Gelände, das früher bezirkseigen war, wurde vom Möbelhaus vorerst bis Ende nächsten Jahres zur Verfügung gestellt.
Seit Wochen werden die Arbeiten von Nazis beäugt, die diese Einrichtung verhindern wollen. Dank der Anwohner sowie konfessioneller und öffentlicher Einrichtungen ist für die neuen Gäste gesammelt worden. Die Stimmung gegenüber den Neuankömmlingen ist gut, denn alle wissen, dass diese Menschen Schreckliches erlebt haben und zukünftig vor möglichen Übergriffen der Nazis geschützt werden müssen.
Damit kommen zu den bestehenden 29 Plätzen in Neukölln 400 weitere hinzu. Die Bildungsstadträtin Franziska Giffey rechnet mit ungefähr 100 schulpflichtigen Kindern. Obwohl weder Altersstruktur noch Bildungsstand der jungen Menschen bekannt ist, haben sich fünf Neuköllner Grundschulen und drei Oberschulen bereit erklärt, die Schüler aufzunehmen.
Die Kinder kommen in Willkommensklassen. Das sind Lerngruppen, die für alle Kinder ohne Deutschkenntnisse offen sind. Da sich die Klassen nicht nur aus Flüchtlings-, sondern auch aus Migrantenkindern zusammensetzen, erhofft sich der Bezirk weniger Ausgrenzung der Flüchtlinge.

CDU sucht Standorte

Wohin mit den Asylsuchenden?

Bei der Klausurtagung der CDU am 1. März war die Flüchtlingsproblematik in Neukölln durchaus ein zentrales Thema. »Wir bekennen uns zur gesamtstädtischen Verantwortung des Bezirkes Neukölln und sprechen uns für die Aufnahme und die Unterbringung von Asylsuchenden in Neukölln aus. In Neukölln spielt dabei insbesondere die Standortfrage eine wichtige Rolle. Vor dem Hintergrund der weiter steigenden Platzbedarfe darf dabei kein möglicher Standort im Voraus ausgeschlossen werden«, erklärt Gerrit Kringel, Fraktionsvorsitzender in der BVV Neukölln.
Ausgehend davon, dass Neukölln auch  weiterhin Standorte für Flüchtlinge finden muss, wurden Vorschläge erarbeitet. Das ehemalige Gebäude von C&A und die alte Post in der Karl-Marx-Straße, die Freifläche zwischen den S-Bahnhöfen Neukölln und Hermannstraße und der ehemalige Friedhof der St. Thomas-Gemeinde an der Hermannstraße könnten als Fläche für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften dienen. Als temporäre Zwischennutzung kommen die Freiflächen am Campus Rütli sowie auf dem Tempelhofer Feld infrage. So das Resumé der Klausurtagung der  Neuköllner CDU zur Asylpolitik.

ro

 

Statt Rücktrittsforderung Anti-Nazi-Protest

BVV solidarisiert sich mit Anne Helm

Nazidemo_Björn_Smerskand!Protest.                     Foto: Björn Smerskand

Lautstark ging es auf dem Rathausvorplatz zu, als zur Bezirksverordnetenversammlung am 27. Februar einige hundert Demonstranten auf ein Häuflein NPD-Anhänger trafen. Die wollten gegen die Bezirksverordnete Anne Helm von den Piraten demonstrieren, die sich an Protesten gegen den Aufmarsch der Nazis in Dresden anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung der Stadt beteiligt hatte. Im Femenstil hatte sie »Thanks Bomber Harris« auf ihren nackten Oberkörper geschrieben. Gemeint war Arthur Harris, der als Oberbefehlshaber der britischen Bomberstaffeln mitverantwortlich war für die Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Massive Angriffe seitens einiger Presseorgane folgten, sie erhielt Morddrohungen.
Die Nazis, die durch ein großes Polizeiaufgebot geschützt wurden, kamen mit ihren Tiraden nicht gegen den lautstarken Protest der Gegendemonstranten an und verließen den Platz nach einer guten halben Stunde wieder.
Anne Helm, der wegen ihrer Aktion die Verhöhnung der Bombenopfer vorgeworfen wurde, verlas zu Beginn der BVV eine Erklärung. »Ich bedauere meine Aktion und wünsche, ich könnte sie ungeschehen machen. Es war nie meine Intention, die Gefühle von Menschen zu verletzen, schon gar nicht die von Kriegsopfern«, sagte sie. Sie werde ihr politisches Engagement aber trotz der Anfeindungen fortsetzen.
Anschließend wurde Bürgermeister Heinz Buschkowsky sehr deutlich. »Es kann nicht sein, dass ein Mitglied der BVV an einer Demonstration teilnimmt und anschließend mit dem Tod bedroht wird«, sagte er. »Allen, die hier sitzen, gehört der Schutz des Hauses«.Und an die Adresse der Demonstranten auf dem Rathausplatz: »Das letzte Mal haben die Nazis in dem Maß dieses Haus bedroht als Bürgermeister Scholz aus dem Amt gejagt wurde«.

Zwischen Demo und Volksbegehren

Grüne Kritik an den Äußerungen des Baustadtrats Blesing

Die CDU hatte im Vorfeld noch den Rücktritt Anne Helms als Bezirksverordnete gefordert. In der BVV brachten CDU und SPD dann aber eine deutlich entschärfte Entschließung ein, in der Anne Helms Aktion ausdrücklich missbilligt, die gegen sie gerichteten Drohungen aber ebenfalls ausdrücklich verurteilt wurden. Der Antrag wurde ohne weitere Diskussion angenommen, lediglich die Grünen enthielten sich der Stimme. Sie waren der Ansicht, da Anne Helm als Privatperson an dieser Demonstration teilgenommen habe, habe diese Diskussion in der BVV überhaupt nichts zu suchen.

Umso mehr Diskussionsbedarf gab es bei der großen Anfrage der Grünen zum Vorwurf der Unterschriftenfälschung beim Volksbegehren für das Tempelhofer Feld, den Baustadtrat Thomas Blesing kurz vor Schluss des Volksbegehrens erhoben hatte. Jochen Biedermann von den Grünen erklärte die Vorwürfe zu einer Geisterdebatte ohne konkrete Anhaltspunkte oder Belege, die auf  Fälschungen hindeuten würden und forderte von Blesing eine Entschuldigung. Er habe, erklärte Blesing dazu, aus der Senatskanzlei Informationen erhalten, die ihn veranlassten, sofort an die Öffentlichkeit zu gehen.
Besonders kritisierte er die Landeswahlleiterin: »Dass man seitens der Senatsverwaltung auf vorgesehene Eingaben verzichtet, halte ich für unzulässig«, sagte er. »Ich wünsche, dass wir nicht irgendwann ein Volksbegehren haben, das dem Ergebnis des letzten Begehrens in der Schweiz entspricht«, erklärte er in seinem Schlusswort.

mr

 

Mitbestimmen, was vor der eigenen Haustür passiert

Felix Herzog will Bürger und Politiker aufrütteln

Felix_HerzogHerzog bei der politischen Arbeit.    Foto: mr

Als Querulant und Wutbürger wurde er mittlerweile betitelt. Felix Herzog, ein Neu-Neuköllner, der sich den Rummel um seine Person vor einigen Wochen sicherlich selbst noch nicht erträumt hat. Seit er das Volksbegehren zur Abwahl des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit vorbereitet, geht er durch die Presse und eckt auch bei vielen an, die ihn nur für einen Menschen halten, der einfach mal gegen alles ist.
Den Gründer des Internetportals »PlusWG – Vermittlungsbüro von Wohngemeinschaften für Leute ab 50 Jahren» zog es vor drei Jahren aus Weilheim in Oberbayern nach Berlin. Neukölln hatte er sich dabei nicht ausgesucht, weil es hier gerade so »hip« ist, sondern eher zufällig, weil viele seiner Freunde bereits hier lebten und er hier eine passende Wohngemeinschaft fand. »Mit einem gewissen Stolz«, sagt er, sei er Neuköllner.
Politik ist für ihn eine Ausdrucksform, so wie für andere die Kunst. Er möchte etwas bewirken, politische Missstände aufdecken und zu Veränderungen beitragen.
In Berlin habe er mit vielen resignierten Menschen gesprochen, die sich nicht trauen sich einzumischen und den Glauben daran verloren haben, dass sich jeder an der Politik beteiligen könne. »Ich möchte den Leuten durch relativ einfache Wege zeigen, dass man doch etwas bewegen kann«, sagt Herzog.
Sich einmischen, Gesicht zeigen, für politische Veränderungen kämpfen, das macht Herzog bereits seit seiner Schulzeit. Er möchte beweisen, dass es keines politischen Mandats bedarf, um Veränderungen herbeizuführen.
Parteipolitisch ist er nicht gebunden. »Bei dem, was ich machen will, würde mich eine Partei nur einschränken«, ist seine Begründung. Seine Initiative nennt er »Außerparlamentarische Ergänzung« (APE). Damit will er ausdrücken, dass er sich nicht in Fundamentalopposition zur Regierung und zum Parlament befindet. Deren Arbeit akzeptiert und respektiert er durchaus, aber daneben möchte er »ein drittes Standbein« aufbauen, um den Bürgern mehr direkte Einflussmöglichkeit auf Entscheidungen der Politik zu geben. »Die Leute sollen mitbestimmen können, was vor der eigenen Haustür passiert.«
Die Politiker andererseits sollen dazu veranlasst werden, sich mehr mit den Problemen der Bürger zu beschäftigen. »Wir wollen mit den Abgeordneten ins Gespräch kommen.« Die halten sich bisher allerdings noch eher zurück.
Mehr Bürgerbeteiligung bedeutet für Felix Herzog dann aber auch, dass sich der Kreis derer erweitert, die mitentscheiden können. Daher setzt er sich dafür ein, dass hier lebende Ausländer das Wahlrecht bekommen. Er ist davon überzeugt, dass die Möglichkeit, an politischen Entscheidungen mitzuwirken, zu einer größeren Integrationsbereitschaft der hier lebenden Ausländer führen würde. Andererseits erwartet er dadurch auch ein größeres Interesse der Politik an den Problemen der Ausländer, wenn sie zu Wählern werden.
Bei der Unterschriftensammlung für das Volksbegehren Tempelhofer Feld war er beeindruckt über das Erstaunen vieler ausländischer Mitbürger, die nicht unterschreiben durften. »Ich hörte Sätze wie: ‘Ja, aber ich lebe doch schon seit zwei Jahren hier, dies ist meine Heimat, wieso darf ich nicht mitentscheiden?‘ Das war schon krass.« Berlin könnte ein interessantes Versuchsfeld für neue politische Ideen werden, davon ist er überzeugt, und daran möchte er mitwirken.
Er höre viele Stimmen, die sagen, dass zu viel falsch laufe in dieser Stadt und mit dieser Regierung. Denen will er mit seinem Volksbegehren zur Abwahl des Regierenden Bürgermeis­ters Gehör verschaffen. 

km/mr

Kein Wasserbecken auf dem Tempelhofer Feld

Verwaltungsgericht gibt Eilantrag des BUND gegen Parkplanung statt

WasserbeckenNoch kein Badetümpel für Ente & Co. Foto: mr

Das Berliner Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage des Berliner Landesverbandes des »Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland« (BUND) gegen die umstrittene Baugenehmigung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt für den Bau des Wasserbeckens, der geplanten Aufschüttung einer »Landform« zwischen den beiden Landebahnen und den Bau eines Rundweges auf dem Tempelhofer Feld angeordnet. Der »BUND Berlin« hatte im November Klage gegen die Bauvorhaben eingereicht, da die im Umwelt- und Planungsrecht vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung und Prüfung von Alternativen missachtet worden sei und insbesondere Landform und Rundweg zu gravierenden Eingriffen in wertvolle und gesetzlich geschützte Biotope führen würden.
Tilmann Heuser, Landesgeschäftsführer des »BUND Berlin e.V.«: »Mit dem heutigen Beschluss bestätigt das Gericht unsere grundlegende Kritik an der Parkplanung für das Tempelhofer Feld. Die für Umwelt und Naturschutz zuständige Oberste Landesbehörde missachtete mit ihrer Baugenehmigung die Vorgaben aus dem Umwelt-, Planungs- und Naturschutzrecht, um den umstrittenen landschaftsarchitektonischen Entwurf für die Parkplanung zu realisieren.«
Der »BUND« fordert den Berliner Senat dazu auf, die Baugenehmigung für Wasserbecken, Landform und Rundweg zurückzuziehen und endlich ein offenes und transparentes Verfahren für die Weiterentwicklung der einzigartigen Freifläche zu starten. Tilmann Heuser: »Bürgerbeteiligung im 21. Jahrhundert bedeutet nicht nur, dass Bürgerinnen und Bürger in zahlreichen Veranstaltungen Planungen kommentieren dürfen. Es müssen auch ernsthafte Alternativen hinsichtlich des Ob und Wie offen und transparent diskutiert, gesetzliche Regelungen zum Erhalt des wertvollen Natur- und Erholungsraumes konsequent beachtet werden.«
Insofern erwartet der »BUND Berlin« auch, dass in einem alternativen Gesetzentwurf des Berliner Abgeordnetenhauses zum Volksentscheid am 25. Mai nicht nur ein Teil der einzigartigen Freifläche geschützt, sondern auch für die geplanten Baufelder ein ergebnisoffenes Beteiligungsverfahren festgesetzt werde. Dabei müsse auch das »Ob« einer Bebauung insbesondere auf der Neuköllner Seite und entlang der Autobahn hinterfragt werden. 

pr

Ein dritter Weg für die Randbebauung gesucht

Viele Gruppen präsentieren ihre Ideen zum Feld

Bauen wollen sie alle auf dem Tempelhofer Feld, die einen mehr, die anderen weniger, aber mit dem Masterplan von Bausenator Müller ist trotzdem keiner so recht zufrieden.
Die Grünen hatten am 27. Februar zu einer Expertenrunde ins Abgeordnetenhaus geladen, um über die Möglichkeit eines dritten Weges zwischen den Forderungen der Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« und den Vorstellungen des Senats zu diskutieren. Ihr Plan ist es, beim Volksentscheid am 25. Mai einen parteiübergreifenden Gegenentwurf zur Wahl zu stellen.

thf_weiteWeite – noch ist sie unverbaut.                                        Foto: fh

»Gut läuft es für »Tempelhof 100«, schlecht für den Masterplan«, erklärte Aljoscha Hofman von »Think Berlin«. Es sei bisher vollkommen versäumt worden, über die Vernetzung der neu geplanten Stadtteile mit den an sie anschließenden Kiezen nachzudenken. Außerdem fehle ein Konzept für das alte Flughafengebäude.
Mario Hilgenfeld vom »Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen eV« (BBU) erklärte in schöner Offenheit, eine aufgelockerte Bebauung werde es nicht geben, das sei überhaupt nicht finanzierbar.
Staatssekretär Ephraim Gothe versicherte, dass im Gesetzentwurf, den die Koalition vorbereitet, der große Innenbereich als Freifläche festgeschrieben werde, an den Rändern aber gebaut werden solle. Er verstieg sich zu der Metapher des Feldes als Baum und der Randbebauung als lebensspendende Borke.
Christine Edmaier, die Präsidentin der Architektenkammer Berlin, ging noch einen Schritt weiter. Sie forderte, das Tempelhofer Feld zu einem Experimentierfeld für innovative Entwicklung zu machen. Dabei solle aber der Grünanteil nicht festgeschrieben werden, denn »dann kann man ja nichts mehr machen«. Jochen Brückmann von der IHK wiederholte die Behauptungen des Senats, ein Sieg der Bürgerinitiative bedeute 100 Prozent Stillstand, weil dann nichts mehr auf dem Feld verändert werden dürfe.
Lediglich Tilman Heuser vom »BUND« plädierte dafür, das Feld auch in Zukunft als Freifläche zu erhalten. Es sei ein einmaliges Gelände, um das Berlin von vielen Metropolen der Welt beneidet würde. Der Gesetzentwurf von »100% Tempelhofer Feld« bedeute im übrigen keineswegs Stillstand. Außerhalb der geschützten Wiesenflächen sei Platz für vielerlei Aktivitäten, ebenso für Sportplätze, Sanitäranlagen und dergleichen. Lediglich auf die Bebauung solle verzichtet werden.
Einig waren sich allerdings alle in der Einschätzung, dass es dem Einsatz der Bürgerinitiative zu verdanken sei, dass jetzt stadtweit über das Feld diskutiert werde. Viel wäre schon gewonnen, wenn noch einmal völlig neu geplant würde, dann aber auch mit echter Bürgerbeteiligung. 

mr

Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 59 – Mittwoch
11. März 1914
Frühjahrsmüdigkeit nennt man im Volke jenen schlaffen, körperlichen Zustand, der sich gewöhnlich noch vor dem kalendermäßigen Frühlingsbeginn einstellt und oft wochenlang anhält. Selbst kräftige Menschen, die sonst selten über Müdigkeit klagen, empfinden zu dieser Zeit, daß ihnen »Blei in den Gliedern liegt«, wenn sich dazu nicht gar rheumatische Schmerzen und Kopfschmerzen bemerkbar machen. Die Ursachen dieses körperlichen Mißbehagens, das auch noch in großem Schlafbedürfnis bei den einen, in Schlaflosigkeit bei den anderen seinen Ausdruck findet, liegen in der Veränderung der körperlichen Gewebe und Organe, welche sich auf die sommerliche Zeit vorbereiten. Sie dehnen sich zunächst aus. Die gleichzeitige Ausdehnung von tausend und abertausend kleinsten Einzelteilchen des Körpers ruft jedoch eine förmliche Revolution im Körper hervor, die die fühlbare Erschlaffung sehr begreiflich macht. Auch ist die Möglichkeit vorhanden, daß das Blut eine entsprechende Veränderung in der Zusammensetzung wie im Umlauf erfährt. Schwächliche Menschen sollten sich jetzt vor allem Ueberhasten besonders hüten und ab und zu ein paar Minuten zwischen der Arbeit ausruhen.

Nr. 72 – Donnerstag
26. März 1914
Neue Rohrpostverbindungen in Groß-
berlin. Den Klagen über ungenügende Rohrpostverbindungen zwischen Berlin und den Vororten will die Reichspostverwaltung jetzt Rechnung tragen. Nachdem vor einigen Monaten Steglitz an das Rohrpostnetz Berlins Anschluß erhalten hat, sollen jetzt auch Grunewald, Lichtenberg und Weißensee angeschlossen werden. Pankow wird voraussichtlich im nächsten Jahre Rohrpostverkehr mit Berlin erhalten.

Nr. 74 – Sonnabend
28. März 1914
Das Besteigen einer höheren Wagenklasse bei Platzmangel auf der Stadtbahn betrifft eine Verfügung der Eisenbahndirektion, die sich gegen den vielverbreiteten Irrtum richtet, man dürfe bei Platzmangel auf eine Fahrkarte dritter Klasse in zweiter Klasse fahren. Man hört in solchen Fällen oft die Entschuldigung, ein Stationsbeamter habe jene Fahrgäste wegen Platzmangels in die zweite Klasse verwiesen, wie dies im Fernverkehr ausnahmsweise zugelassen ist. Im Berliner Stadt= und Vorortverkehr ist dies völlig ausgeschlossen, denn hier ist es den Beamten direkt verboten, Reisenden bei Platzmangel die Fahrt in höherer Klasse mit Fahrkarten niedrigerer Klassen ohne vorherige Lösung der entsprechenden Zusatzkarten zu gestatten.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Die Post im Untergrund

Die Berliner Rohrpost

Die erste Berliner Rohrpoststrecke zwischen dem Haupttelegrafenamt in der Französischen Straße und dem Börsengebäude in der Burgstraße wurde am 17. November 1865 eröffnet. Etwa 60 Zentimeter unter der Straßenoberfläche verliefen die Rohrleitungen, durch die mittels Luftdrucks Briefe, Telegramme, Postkarten oder kleine Pakete von einer Sendestation zu einer Empfangsstation befördert wurden.
1881 wurden Charlottenburg, Schöneberg und Kreuzberg angeschlossen, Neukölln folgte 1908. Bis 1935 war das Netz auf 400 Kilometer angewachsen und verband Postämter, Ministerien, Zeitungsredaktionen, Banken und wichtige Büros.

EmpfangsstationRohrpost Empfangsstation.
Foto: Berliner Unterwelten

Die Rohrpostbüchsen wurden meist zu Zügen zusammengestellt und verkehrten nach einem genau festgelegten Fahrplan. Ein Rohrpostbrief kostete 30 Reichspfennige, ein normaler Brief nur fünf. Trotz der höheren Tarife erfreute sich die Stadtrohrpost höchster Beliebtheit, denn sie war unschlagbar schnell und sie war,  im Gegensatz zu Telegrafie und Telefonie, abhörsicher. Ungehindert vom oberirdischen Verkehrschaos sausten die  Sendungen mit bis zu 30 Stundenkilometern ihrem Bestimmungsort entgegen. Ein Rohrpostbeamter verlud, leitete und entlud die »Bömbchen« und sorgte für das pünktliche Eintreffen der Sendungen.  Vom Postamt zum Empfänger übernahm dann der Eilbote. Innerhalb von nur einer Stunde konnten so Informationen sicher ihren Besitzer wechseln.
Zu Beginn der dreißiger Jahre wurde die Anlage komplett modernisiert. Dank elektrischer Weichensteuerung konnten die Büchsen jetzt ohne Zwischenstopp ihr Ziel selbständig ansteuern. Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit wurde verdoppelt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Niedergang der Rohrpost. Die Entwicklung des Fernschreibers und die Ausbreitung des Telefons ließen den Betrieb immer unwirtschaftlicher  erscheinen.  Die Teilung der Stadt tat ein Übriges. 1961 ließen die DDR-Behörden alle Rohre in den Westteil kappen. 

mr

Frühlingsgefühle kommen bestimmt

Wider die Müdigkeit

frühjahrsmüdigkeitFrühling macht schlapp, gebt mir einen Brennesseltee!Foto: fh

Die Feldlerche macht sich auf dem Tempelhofer Feld auf Partnersuche und fliegt munter über die Wiesen, die den Duft des Frühlings ausstrahlen. Auch andere Tiere regen sich und lachen der Sonne entgegen, während wir Menschen, die Müdigkeit in den Knochen, mit schleppendem Gang über die Landebahn laufen. Wieso ist die Natur so fit und wir so extrem müde? Woher kommt dieser Anflug von Schläfrigkeit, sobald das Frühjahr erwacht, und warum müssen wir ausgerechnet jetzt noch eine Erkältung bekommen?
Die Ursache liegt im Klimawechsel. Der Körper muss sich erst langsam auf den Wechsel von Winter auf Sommer einstellen. Dafür weiten sich die Blutgefäße und der Blutdruck sinkt, was uns müde und schlapp macht. Aber auch der Melatoninspiegel spielt eine große Rolle. Nach den dunklen Wintermonaten ist die Konzentration des Schlafhormons noch sehr hoch und muss erst einmal den Körper wieder verlassen. Um den Organismus auf die langen Tage und die steigenden Temperaturen einzustimmen, braucht er Tageslicht, Bewegung und leichte Kost. Viel frisches Obst, Gemüse und täglich drei Tassen eines Kräutertees aus Brennnesselblättern, Löwenzahn, Giersch und Gänseblümchen können die Schlappheit bekämpfen. Am besten werden die Kräuter frisch gesammelt. Wer dazu keine Lust oder Zeit hat, kann sich die Zutaten im Kräuterladen besorgen und zu Hause selbst mixen.
30 g Brennnesselblätter
20 g Löwenzahn
20 g Giersch
10 g Gänseblümchen
Einen Teelöffel der Mischung mit 200 ml kochendem Wasser übergießen und 10 Minuten ziehen lassen. Dreimal täglich eine Tasse trinken.
Wer seiner Haut nach der langen Heizperiode etwas Gutes tun möchte, kann die gleiche Mischung auch als Gesichtswasser verwenden. Dafür wird genau wie bei der Herstellung des Tees vorgegangen, nur wird dieser logischerweise erst kaltgestellt. Danach das Gesicht mit dem Kräuteraufguss waschen. Morgens und abends angewandt sieht die Haut bald schon wieder frisch aus.

km

Petras Tagebuch

Berlinale japanisch

Es war ein netter Versuch, die Berlinale zu besuchen. Eigentlich ist es mir eine große Freude, jedes Jahr Filme der besonderen Qualität zu sehen.
Dieses Mal jedoch erlaubte die knappe Zeit keinen dieser von mir so geliebten Vergnügungsbesuche. Aber es gibt ja die Kiez und Kneipe, die immerhin verpflichtet. Also plante ich den Besuch von »Berlinale goes Kiez«.
In Ermangelung einer Akkreditierung musste ich den Weg des normalen Bürgers einschlagen und mich an der Schlange im Kino »Passage« an der Kasse anstellen. So gedacht, nicht um die Problematik der Umsetzung ahnend.
Die Schlange vor dieser Kinokasse war nun wirklich ziemlich lang. Es machte mir gar nichts aus, denn das war für mich nur die Garantie, dass auch ich noch einen dieser begehrten Plätze erheische.
Vor und hinter mir stand eine Gruppe von, ich vermute, Japanern. Da sie fast alle einen Mundschutz trugen, müssen es Japaner gewesen sein, die sich vor Berliner Infektionen schützen wollten. Selbstverständlich beharrte ich nicht auf meinen Platz in der Schlange und war bemüht, Abstand zu der Gruppe zu halten, um sie nicht in Angst und Schrecken vor meinen Bakterien zu versetzen.
Es kam wie es kommen musste. Irgendwie muss ich mich vertan haben, denn immer, wenn ich den Abstand suchte, drängelte mich jemand weg, mit dem Ergebnis, dass ich immer weiter nach hinten geriet.
Nun gut, das ist dann manchmal so, dachte ich mir und übte mich weiterhin in Geduld. Langsam wurde mir vor vielen Menschen schwindelig. Es sollte einfach nicht mehr so lange dauern.
Endlich hatte ich mein Ziel erreicht. In der Hoffnung, dass sich die Warterei gelohnt hat, orderte ich Kinokarten für die beiden Berlinalefilme, die hier gespielt werden sollten. Es ist kein Wunder, dass die Karten ausverkauft waren, es war einfach kein guter Tag. Im nächsten Jahr muss ich das anders machen.

Wenn der Stammplatz mal besetzt ist

Corinna Rupp über Backshop-Phänomene

Eine wunderschöne weiße Winterlandschaft lachte mich an, als ich das Haus verließ, um in meinem Lieblings-Backshop einen Milchkaffee »to go« zu trinken. Die Straßen waren rutschig und es war kalt – sehr kalt.
Nach der Schlitterpartie, die mich zum Glück vor der richtigen Tür absetzte, freute ich mich schon auf den süßen Genuss der sahnigen Milch auf dem kräftig-bitteren Kaffeegeschmack. Der Backshop war zum Glück nicht so voll, ich musste also nicht lange warten. Viel sagen brauchte ich auch nicht, da mich die Besitzerin schon kannte. Auf die Frage: »Wie immer?« folgte ein kurzes Nicken.
Während ich auf meinen Milchkaffee wartete, flog die Tür auf. Eine ältere Dame betrat mit ihrem Einkaufsziehwägelchen den Laden und brachte die leichte Winterbrise in die bis dahin noch angenehm warmen Räume. Sie blickte kurz zu den Tischen am Fenster und murmelte: »Mein Platz ist ja gar nicht frei.«
Ich musste unweigerlich lächeln, denn sie hatte wie ein kleines Kind geklungen, dem gerade sein Lolli weggenommen worden war.
Gerade wollte sie sich zum Gehen wenden, als die Besitzerin ihr versicherte, dass der Platz bestimmt gleich frei sei. Auf die Frage, ob sie sich solange nicht auf einen anderen Platz setzen wolle, antwortete sie nur: »Nein, das ist ja nicht mein Platz.« Doch es half nichts, die alte Dame stürzte sich mit ihrem Wägelchen zurück ins Wintergeschehen. Und wie gesagt, es war sehr, sehr kalt und sehr rutschig. Ich wunderte mich schon ein bisschen über den Auftritt der Dame, aber dachte mir nichts weiter dabei.
Die Besitzerin des Backshops schmunzelte. »Sie kommt fast jeden Tag und will immer nur auf dem einen Platz sitzen.«
Tatsächlich war der Platz, auf den sich die Dame unbedingt setzen wollte, ein paar Minuten später frei. Aber die Dame war nun mal weg. Auch ich musste schmunzeln, irgendwie lag ein Hauch Ironie in der Luft.
Vor ein paar Tagen bin ich wieder am Backshop vorbeigelaufen und habe beiläufig durch das Fens­ter gesehen. Ein einziger Platz war besetzt – die alte Dame saß mit ihrem Einkaufsziehwägelchen an ihrem Stammplatz  und lächelte zufrieden. Fast wie ein kleines Kind sah sie aus, als sie genüsslich von ihrem Stück Apfelkuchen aß. Und irgendwie gehört sie da auch hin.
Wer weiß, vielleicht bin ich irgendwann die alte Dame, die unbedingt auf dem Platz am Fenster sitzen will.

Bürgerwunsch und Wahlrecht

Die Volksbefragung zur Bebauung des Tempelhofer Feldes hat deutlich gemacht, dass sich Bevölkerungsgruppen beim Wahlrecht ausgeschlossen fühlen.
Da haben Menschen, die in dieser Stadt leben und hier eine Heimat gefunden haben, eine Meinung, jedoch nicht den richtigen Status. Sie haben entweder nicht die richtige Staatsbürgerschaft oder nicht das entsprechende Alter. Selbst EU-Bürger, die an Kommunalwahlen  teilnehmen dürfen, sind bei der Volksbefragung ausgeschlossen. Das liegt daran, dass hier Landeswahlrecht gilt.
Bei aller Diskussion darum, was Landes- und Kommunalwahlrecht unterscheidet, interessieren sich die Menschen doch für ihre Umgebung und möchten sich an den Entwicklungen beteiligen.
Vielleicht ist es nicht im Sinne der Politik, dass diese Gruppen zu Wort kommen. In der Tat, bequemer wird das Regieren dadurch nicht.

Petra Roß

Die Arterienbürste

Frühjahrskur mit Knoblauch-Zitronen-Schnaps

Vor Jahren las ich von dem Knoblauch-Zitronen-Schnaps, der die Arterien durchpustet, Verkalkungen auflöst, die Cholesterinwerte senkt und den Körper entgiftet. Mit alledem hatte ich zwar noch nichts zu tun, aber ich war neugierig und probierte es für die Zukunft schon einmal aus und blieb dabei. Seitdem mache ich mindesten einmal pro Jahr eine Knoblauch-Zitronen-Kur.
Ich überwand mit dieser Kur die Frühjahrsmüdigkeit und spürte, wie ich auch in Stresssituationen konzentrierter blieb und die Überbelastung besser wegsteckte. Gerade habe ich wieder eine Kur angesetzt, von der ich morgens und abends ein Schnapsglas trinke. Nach zwei Wochen wird für zwei Wochen pausiert, dann beginnt die Kur von vorne.
Angst vor lästigem Knoblauchgeruch muss keiner haben. Durch die Zitronen wird der Knoblauchgeruch neutralisiert und Freunde werden trotz hochprozentigem Knoblauchs in den Adern auf die Umarmung bei der Begrüßung nicht verzichten.

OLYMPUS DIGITAL CAMERALECKERer Knollenschnaps.  Foto: km

Das Rezept
60 geschälte Knoblauchzehen (ca. 6 Knollen)
8 Bio-Zitronen
400 ml Wodka
2 Liter Wasser
Die Zitronen abbürsten und in kleine Stücke schneiden. Knoblauch schälen und mit den Zitronen und dem Wasser aufkochen. Abkühlen lassen und den Alkohol dazugeben. Mit dem Mixer pürieren. Über Nacht kühl stellen. Am besten auf dem Balkon, da der Brei noch sehr stark nach Knoblauch riecht. Am nächsten Tag die Flüssigkeit durch ein Leinentuch abfiltrieren und in Flaschen füllen.
Der Wodka dient der Haltbarkeit, da ich meist die Menge für beide Kurhälften zusammen herstelle. Wer genügend Platz im Kühlschrank hat oder zweimal kochen möchte, kann auf den Alkohol verzichten. Dann nur die Hälfte des Rezepts verwenden.
Im Laufe der Jahre kam eine Abwandlung von mir hinzu. Hierfür wird Ingwer kleingeschnitten und in die Flaschen gegeben.
Im Internet gibt es folgende Angaben: drei Wochen morgens und abends ein Schnapsglas trinken, acht Tage pausieren und die Kur noch einmal von vorne beginnen.
Der Knoblauch hat jedoch eine sehr blutverdünnende Wirkung. Empfindliche Menschen neigen dann schon bei den geringsten Stößen zu blauen Flecken. Daher empfehle ich die Kur auf zwei 14-tägige Kuren zu beschränken.

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Das Volksbegehren ist erfolgreich

Senat zeigt sich als schlechter Verlierer.

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Sie haben es geschafft! Bis zum letzten Moment standen die Unterschriftensammler für das Volksbegehren zum Erhalt des Tempelhofer Feldes auf den Straßen oder waren in U- und S-Bahnen unterwegs. Am Ende konnten sie mehr als 233.000 Unterschriften bei der Landeswahlleitung abgeben.  Gültig waren davon 185.328. Damit ist das Quorum für ein Referendum geschafft, der Weg für den Volksentscheid ist frei.
Zu verdanken ist dieser Erfolg nicht nur den Aktiven der Bürgerinitiative »100 % Tempelhofer Feld«. Viele Berliner Bürger haben sich mit Unterschriftenlisten eingedeckt und sammelten im Freundes- oder Kollegenkreis. Die höchste Unterstützung mit 18,6 Prozent der Stimmberechtigten gab es in Friedrichshain-Kreuzberg, dicht gefolgt von Tempelhof-Schöneberg mit 15,9 und Neukölln mit 15,8 Prozent. Mit 1,5 Prozent war das Interesse in Marzahn am geringsten.
Bausenator Michael Müller hatte noch in der Woche vor dem Abgabetermin das Scheitern des Volksbegehrens verkündet, aber wie bei den vorangegangenen Volksbegehren vom Wassertisch oder vom Energietisch hatten viele Sammler bis zum Schluss gewartet, um ihre Listen im Kampagnenbüro abzuliefern.
Das reichte offensichtlich aus, die Politik das Fürchten zu lehren. Neuköllns Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) verstieg sich sogar dazu, der Initiative kriminelle Machenschaften vorzuwerfen. In einem Interview mit dem RBB unterstellte er den Sammlern, sie hätten massenhaft Unterschriften gefälscht. Der Hinweis darauf sei bereits am Montag nach Abgabetermin aus der Senatskanzlei gekommen. Beweisen konnte er das aber nicht. Die Landeswahlleiterin wies diese Vorwürfe auch umgehend zurück. Unterschriften seien nicht allein deshalb ungültig, weil das Geburtsdatum fehle. Wenn die Daten zweifelsfrei zugeordnet werden können, sei die Unterschrift zu werten, dazu gebe es ein entsprechendes Gerichtsurteil. Im übrigen sei bei keinem der bisherigen Volksbegehren diese Praxis beanstandet worden. Außerdem sei es nur ein ganz kleiner Prozentsatz, bei dem das Geburtsdatum fehle.

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Unterschriftensammler.  Foto: mr

Trotzdem gab es viele ungültige Stimmen. Viele Feldliebhaber haben unterschrieben, die entweder keinen ersten Wohnsitz in Berlin haben oder nicht im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind. Damit bleibt ihre Stimme ungehört. In der nächs­ten Stufe können jetzt die Berliner Bürger an der Wahlurne über die Zukunft des Tempelhofer Feldes entscheiden. Die Bürgerinitiative setzt sich mit ihrem Gesetz dafür ein, das Feld komplett als Ort für Erholung und Freizeitgestaltung und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu erhalten. Das heißt aber keineswegs, dass hier keine Entwicklung mehr möglich ist, wie Senator  Müller nicht müde wird zu behaupten. Lediglich der Verkauf von Flächen und die großräumige Bebauung wird abgelehnt.
Der Senat dagegen will das Feld mit einer »behutsamen Randbebauung« entwickeln. Dazu soll entlang der S-Bahn und des Tempelhofer Damms auf etwa 70 Prozent der geplanten Baufläche ein breiter Riegel von Gewerbeimmobilien entstehen. Die restlichen 30 Prozent sollen landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden, gerade die Hälfte für eine Kaltmiete von 6,50 bis 8,50 Euro. Der Rest wird deutlich teurer werden. Auch auf Neuköllner Seite sollen rund 1.700 Wohnungen entstehen. Welche Bauherren zum Zuge kommen sollen, darüber ist bisher noch nichts bekannt. Daneben soll auf der Tempelhofer Seite für geplante 270 Millionen Euro die neue Zentral- und Landesbibliothek entstehen. Die inneren Wiesenbereiche von etwa 230 Hektar sollen laut Senator Müller »noch lange unbebaut bleiben«.Wie lange, sagt er nicht.

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EU-Sozialkommissar besucht Neukölln

Große Anstrengungen bei der Förderung von Zuwandererkindern

Einen Massenauflauf von Journalisten verursachte der Besuch des EU-Sozialkommissars László Andor in der Hans-Fallada-Grundschule in der Harzer Straße. Er wollte sich über die Situation der Zuwanderer aus Südosteuropa in Neukölln informieren.
Begleitet wurde er von der Neuköllner Bildungsstadträtin Franziska Giffey,  der Staatssekretärin für Arbeit, Integration und Frauen in Berlin Barbara Loth und dem parlamentarischen Staatssekretär im Umweltministerium Florian Pronold.
In dieser Schule lernen überdurchschnittlich viele Kinder nichtdeutscher Herkunft. Von 420 Schulkindern haben 280 einen Migrationshintergrund. Dabei, so betonte Giffey im Gespräch, seien an dieser Stelle nur die Kinder, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, gemeint. In der Gesamtsumme der Schüler gäbe es jedoch etliche Kinder, die zwar im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft, aber der deutschen Sprache nicht mächtig seien.
Der Schulleiter Carsten Paeprer beschrieb die Entwicklung der letzten Jahre. So sei es ihm gelungen, mehrere rumänisch-muttersprachliche Sozialarbeiterinnen und Lehrerinnen einzustellen. Es gibt Kinder, die ohne Deutschkenntnisse im Bezirk ankommen und in ihrem Heimatland keine Schule besucht haben. Diese Schüler werden speziell gefördert, sprechen inzwischen gut deutsch und fühlen sich heute sehr wohl. Problematisch sind jedoch die Kinder, die gar keine Schule besuchen. Keiner weiß, wie hoch diese Zahl ist.gruppenbild_mit _dame

Prominenz in Neukölln. Foto: ro

László Andor, der sich für das EU-Recht auf Freizügigkeit ausspricht, wies auf den demografischen Wandel in Deutschland hin, erkennt aber auch die Probleme, die Zuwanderung mit sich bringen kann. »So können Zuwanderer beispielsweise eine große Belastung in den Bereichen Bildung, Wohnraum und Infrastruktur auslösen.« Pronold sicherte zur Freude Giffeys zusätzliche Mittel für Projekte mit Zuwanderern aus dem EU-Ausland zu.

romahausgemälde»Arnold-Fortuin-Haus« – Gemälde an der Rückseite.Foto: fh

Gelungene Integration kann nicht nur in der Schule stattfinden. Die Neuköllner Bildungsstadträtin wies auf die Wohnverhältnisse hin. Nur in guten Wohnverhältnissen können Kinder lernen. Im Anschluss an die Veranstaltung in der Hans-Fallada-Grundschule besichtigte die Gruppe das benachbarte »Arnold-Fortuin-Haus«. Hier leben vorzugsweise Roma. Bis 2011 war der Wohnblock eine Schrottimmobilie, in der Menschen auf Matratzen nahezu stapelweise wohnten. Die »Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft« setzte den Gebäudekomplex wieder instand, tauschte Müll gegen Blumen und richtete einen Treffpunkt für die Roma-Familien ein.
Benjamin Marx von der Wohnungsbaugesellschaft zeigte den Gästen die Kunst der Roma. Ein Raum wird ausgefüllt mit einem überdimensionalen Herz. Roma von hinten nach vorne gelesen heißt Amor und steht für die Zuwendung, die jeder Mensch braucht. Bemerkenswert sind die Hausmalereien, die von den Roma angefertigt wurden. Aus der einstigen ­Schrottimmobile ist so ein schicker Wohnkomplex mit 137 Wohnungen für etwa 600 Menschen entstanden, mit dem die Bewohner sorgfältig umgehen.

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Mieten- und Wohnungspolitik in Neukölln

Mittel und Wege, um gegen Mietsteigerungen und Wohnraumverknappung vorzugehen

Die Mieten im Bezirk steigen, Wohnraum wird immer knapper. Das ist ein Thema, das vielen Menschen unter den Nägeln brennt.
Der DGB-Kreisverband Neukölln hatte daher am 21. Januar ins »Haus der Familie« in der Glasower Straße geladen, um über die Mieten- und Wohnungspolitik Neukölln zu diskutieren.
Die Situation auf dem Neuköllner Wohnungsmarkt sei äußerst angespannt, erläuterte Hermann Werle von der »Berliner Mietergemeinschaft«. Inzwischen seien nur noch 1,4 Prozent der Wohnungen nicht vermietet, das gleiche bereits einem Notstand. Ein Grund dafür sei der fehlende Wohnungsbau. Peter Kreibel von der »IG-BAU« meinte dazu, noch vor zweieinhalb Jahren habe der Senat verboten, über Neubau überhaupt nachzudenken. Stattdessen wurden tausende Häuser abgerissen.
Verschärft wird die Entwicklung aber auch durch den Verkauf landeseigener Wohnungsbaugesellschaften sowie durch die verstärkte Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen.mieten

Das Podium informiert die Zuhörer .              Foto: mr

Neubau könne nur ein Teil eines umfassenden Handlungskonzepts sein, erklärte Willi Laumann vom »Bündnis Bezahlbare Mieten Neukölln/Berliner Mieterverein«. Auch die Steuerungsinstrumente, die das Bundesbaugesetz enthalte, könnten, richtig angewendet, hilfreich sein. Renditeorientierten Fonds könnte der Bezirk beispielsweise durch den Einsatz der Milieuschutzverordnung das Leben wenigstens etwas ungemütlicher machen.
Allerdings schützt die Milieuschutzverordnung zwar vor Luxusmodernisierung und Umwandlung in Eigentum. Gegen die normalen Mieterhöhungen, die viele Mieter bereits in Schwierigkeiten bringen, hilft sie nicht. »Besonders Geringverdiener müssen bereits bis zu 50 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Kosten der Wohnung aufwenden«, sagte Werle, »und die können sich ihren Kiez dann nicht mehr leisten.« Außerdem ignoriere die Durchmischung, die von der Politik gerne gefordert werde, die bestehenden Strukturen eines Kiezes und verdränge vorhandene Netzwerke.
Jochen  Biedermann, Vorsitzender im Ausschuss für Stadtentwicklung und Bezirksverordneter der Grünen, kritisierte das vom Senat geplante Programm zur Förderung von 1.000 Wohnungen pro Jahr als Tropfen auf den heißen Stein. Das seien gerade einmal 83 Wohnungen pro Bezirk.
Grundsätzlich müsse bei Neubauvorhaben aber gründlich darüber nachgedacht werden, ob tatsächlich jede freie Fläche ausgenutzt werden müsse, oder ob nicht auch  Grünanlagen oder Kleingärten wichtige Voraussetzungen seien für die Qualität des Wohnumfelds.
Aber – und da waren sich alle Diskutanten einig – die Bürgerbeteiligung müsse dringend verbessert werden. Mit einer Anzeige in der Presse, dass der Bebauungsplan irgendwo ausliege, sei es nicht getan.

mr

Auf gute Zusammenarbeit

Das Quartiersmanagement Donaustraße-Nord verbessert den Zusammenhalt im Kiez

Gegenwärtig wird heiß diskutiert, welche politischen Instrumente und Maßnahmen am besten  geeignet sind, der zunehmenden Verschlechterung der sozialen Situation und der Lebensbedingungen in Neukölln entgegenzuwirken. Der Bezirk setzt dabei schon seit langem auf das Instrument des Quartiersmanagements (QM). Seit 1999 wurden insgesamt elf Quartiersmanagementbezirke in Neukölln eingerichtet. Diese Gebiete zeichnen sich durch einen besonderen Entwicklungsbedarf aus. Die Indikatoren dafür sind unter anderem hohe Arbeitslosigkeit, ein hoher Anteil an Familien, die von Transferleistungen abhängig sind, Kinderarmut, Bildungsferne sowie ein hoher Migrantenanteil. Ziel des Quartiersmanagements ist eine nachhaltige Verbesserung des Wohn- und Lebensumfelds in den jeweiligen Gebieten.

team280114Das Team des QM Donau-Nord.   Foto: rb

Das QM Donaustraße-Nord startete im Jahr 2009 und ist damit eines der jüngeren in Neukölln. Sein Gebiet wird im Westen durch die Karl-Marx-Straße, im Norden durch den Hermannplatz, im Osten durch die Sonnenallee und im Süden durch die Erkstraße begrenzt. Das QM unterstützt eine Vielzahl größerer und kleinerer Projekte im Kiez mit Fördermitteln aus dem Programm »Soziale Stadt«. Für kleinere Aktionen wie Hoffeste, Tanzveranstaltungen oder ähnliches kann auch kurzfristig Geld zur Verfügung gestellt werden. Für größere Projekte, die meist über mehrere Jahre angelegt sind, steht ein Projektfonds zur Verfügung. Zwei Drittel der Mittel fließen in Bildungsprojekte. Geförderte Projekte sind zum Beispiel der Jugendstadtteilladen Hobrechtstraße oder die Nachmittagsbetreuung an der Ernst-Abbe-Schule. Besonders stolz ist Juliane Willerbach, Mitarbeiterin im Team des QM Donaustraße-Nord auf das Elterncafé an der Rixdorfer Schule. Die ehemalige Hausmeis­terwohnung der Schule wurde zu einem vielfältig nutzbaren Treffpunkt umgestaltet und ist für verschiedene Kurse und Treffen für Bewohnergruppen aus der Nachbarschaft offen, unter anderem findet dort jeden letzten Freitag im Monat ab 9 Uhr ein Frauenfrühstück statt.
Juliane Willerbach will noch mehr Bewohner des Quartiers miteinander ins Gespräch bringen. Wichtigstes Gremium hierfür  ist der Quartiersrat. Er besteht mehrheitlich aus Bewohnern, die übrigen Mitglieder sind Vertreter aus Schulen, Vereinen, Kulturinstitutionen und Gewerbetreibende. Die Mitglieder des Quartiersrats nehmen Einfluss darauf, was schwerpunktmäßig im Gebiet verbessert werden soll. Die regelmäßigen Quartiersratssitzungen sind öffentlich. Juliane Willerbach ruft ausdrücklich zur Teilnahme auf: »Jeder ist herzlich eingeladen, an der Gestaltung des Quartiers mitzuwirken«. Die nächste Sitzung findet am 20. März um 19 Uhr im Quartiersbüro statt.

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QM Donaustraße-Nord, Donaustraße 7, 12043 Berlin, Tel.: 346200-69/-70, e-mail: info@qm-donaustrasse.de, Sprechzeiten: Di 16:00-18:00 und Do 10:00-12:00

Weihnachtstiere in Not

Die etwas andere Partnervermittlung

Alle Jahre wieder meldet das Tierheim am zweiten Weihnachtstag, wie viele Tiere über die Feiertage abgegeben wurden. Letztes Jahr waren es elf. Würde das Tierheim erst im neuen Jahr eine Pressemitteilung herausgeben, hätte sich die Zahl potenziert, denn die Silvesterknallerei animiert so manches Haustier, das Weite zu suchen. Wenn Katzen Glück haben, werden sie gefunden und im Kiez abgegeben, wo sich jemand um sie kümmert.
Da wäre zum Einen:
»Katzen in Not e.V.« mit einer Katzenwohnung in der Emser Straße. Seit 18 Jahren  kümmert sich Ingrid Claus-Noto um ausgesetzte, weggelaufene, herrenlose Stubentiger von klein bis groß und von sehr unterschiedlichen Rassen. Die Katzen und Kater werden dort erst einmal tierärztlich versorgt und kastriert. Wer ein Tier zu sich nehmen will, wird überprüft, um sicher zu gehen, dass das Tier in ein artgerechtes Zuhause kommt. Wer sich erst einmal ausprobieren möchte, ob er eine jahrelange Partnerschaft eingehen will, kann ehrenamtlich mitarbeiten oder eine Partnerschaft für ein Tier übernehmen.

Straßenkatze (6)Ein Plüschotherapeut wartet aus seinen Einsatz.Foto: mr

Claus-Noto steht auch für Beratungen bereit, wie mit Katzen umgegangen werden soll.
Zum Anderen gibt es »Samtpfoten e.V.«, der sich als Tierschutz- und Tierrechtsorganisation versteht. Der Laden in der Schudomastraße 9/10 ist ein Paradies für Katzen. Sie leben in verschiedenen Räumen, in der Eingewöhnungsphase in großen Volieren. »Samtpfoten e.V.« hat eine eigene Ernährungsphilosophie, nach der sie die Katzen umstellen. Ihnen ist es wichtig, dass Katzen möglichst nicht einzeln weggegeben werden, sondern ihren gesellschaftlichen Zusammenhalt behalten. Auch hier wird erst einmal dafür gesorgt, dass Neuankömmlinge tierärztlich behandelt und kastriert werden. Auch hier können Patenschaften übernommen werden.
In Neukölln gibt es auch Tierarztpraxen, die sich um Streuner, zurückgelassene oder ausgesetzte Tiere kümmern.
Wer sich erst einmal körperlich mit dem Gedanken anfreunden will, einen Plüschotherapeuten zu sich zu nehmen, kann bei einem Besuch des Katzencafés in der Thomasstraße 53 die Erfahrung machen, wie es ist, wenn das Kaffeetrinken und Zeitung­lesen von Vierbeinern begleitet wird, die darum buhlen, Streicheleinheiten zu bekommen. 

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Samtpfoten e.V.:
www.samtpfoten-neukoelln.com
Tel.: 684 08 270
Katzen in Not:
www.katzen-in-not-berlin.de

Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 31 – Freitag
6. Februar 1914
Durch die mutvolle Tat eines Schutzmanns wurde drohendes Unheil verhütet. Der Bäcker Gustav Stenzel aus Waßmanndorf hatte seinen mit zwei Pferden bespannten Brotwagen kurze Zeit in der Friedelstraße ohne Aufsicht stehen lassen, um Brot auszutragen. Plötzlich wurden die Pferde scheu, gingen durch und rasten in wildem Galopp die Friedelstraße in der Richtung nach der Kaiser Friedrichstraße entlang. An der Ecke der Lenaustraße warf sich der Schutzmann Guse den Durchgänger entgegen, fiel ihnen in die Zügel und brachte sie, nachdem er etwa 20 Meter mit fortgeschleift worden war, auch glücklich zum Stehen. Erfreulicherweise ist der mutvolle Beamte ohne ernste Verletzungen davongekommen.

Nr. 33 – Sonntag
8. Februar 1914
Die städtischen Eiswerke haben bei der letzten Frostperiode etwa 100.000 Zentner Natureis eingeerntet. Das Eis ist von guter Beschaffenheit und eignet sich vorzüglich für Kühlzwecke. Außer dem Natureis können täglich 1000 Ztr. Kristalleis aus destilliertem Wasser hergestellt werden. Die Eisernte setzt die städtischen Eiswerke in die Lage, ganz Neukölln auch bei dem wärmsten Sommer mit Eis zu versorgen. Im Interesse der Bürgerschaft liegt es daher, ihren Eisbedarf nur von solchen Eishändlern zu beziehen, welche das Eis aus den städtischen Eiswerken entnehmen, da ihr die Einnahmen des Werkes mittelbar wieder zugute kommen. Die Wirtschaftsdeputation für die städtischen Eiswerke hat unter der Voraussetzung, daß Jahresabschlüsse getätigt werden, die Preise für Natureis ab Werk auf 50 Pfg. pro Zentner und für Kunsteis ab Werk für die Zeit bis zum 30. Mai auf 60 Pfg., vom 1. Juni bis zum 30. August auf 65 Pfg. und vom 1. September bis zum Schlusse des Jahres wiederum auf 60 Pfg. pro Zentner festgesetzt. Die Detailpreise für die Lieferung frei Haus bewegen sich zwischen 60 und 80 Pfennigen pro Zentner.

Nr. 36 – Donnerstag
12. Februar 1914
Für die Anlage des Körnerparks sind die hohen Stirnmauern, die sich längs der Neuen Jonasstraße und der Schierkestraße hinziehen, nunmehr größtenteils fertiggestellt; gegenwärtig sind die Steinmetze mit der Herstellung der die Mauern krönenden Balustraden beschäftigt. An der Ecke der Selke= und Neuen Jonasstraße in unmittelbarer Nähe der 11. und 12. Gemeindeschule ist die große Treppenanlage, die hier infolge der Niveauunterschiede erforderlich wird, im Entstehen begriffen; sie gelangt in ähnlicher Weise zur Ausführung wie die nur für den Fußgängerverkehr bestimmten Straßenanlagen in altdeutschen Gebirgsstädten. Auch die Hand des Gärtners ist mit der weiteren Herrichtung des Parkes beschäftigt. Die Schierkestraße erhält auf der Südseite zwischen dem Stubenrauchplatz und der Ilsestraße einen breiten Schmuckstreifen, der sich zwischen Fahrdamm und Bürgersteig hinzieht.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1913 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Eis ohne Kühlschrank

Natureisernte für die Lebensmittelkühlung auf Berliner Seen

Haushalte, Obsthandlungen, sie alle brauchten Eis für die Kühlung. Es gab ja keine Kühlschränke.
Die großen Eisfabriken mussten sich ihr Eis im Winter von den Seen rund um Berlin besorgen und in kalten Speichern lagern. Je sauberer das Wasser war, um so besser war auch die Qualität des Eises.

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Das Quadrieren mit dem Eispflug und das Flößen von Eisplatten. 
Bild aus der Zeitschrift »Gartenlaube«

Das Eis auf den Seen musste mindestens eine Stärke von zehn Zentimetern haben, bevor es geerntet werden konnte. Die großen Eisflächen wurden zersägt, denn Zerbrechen oder Zerschlagen der Eis­decke lieferte zu viel Abfall,  außerdem war für Transport und Lagerung die regelmäßige Viereckform des Eises am besten geeignet. Zuerst zog daher ein Eispflug tiefe rechtwinklig einander kreuzende Furchen von 60 Zentimetern  Breite und einem Meter Länge  über die blanke Fläche. Die so markierten Stücke wurden anschließend ausgesägt und an Land geschwemmt, wo sie in riesigen 12 bis 14 Meter hohen Speichern aufgeschichtet wurden.  Durch den ungeheuren Druck, dem besonders die unteren Schichten ausgesetzt waren, fror das Eis zu einem einzigen Block zusammen, der auch noch der Wärme des Sommers standhielt.

Von besonderer Bedeutung war aber die Konstruktion der Speicher. Die Wände bestanden aus zwei dicken Holzwänden mit einer dazwischen liegenden fußdicken Isolationsschicht aus Sägespänen, die vor Sonneneinstrahlung schützte.  Das Eis im Speicher wurde ebenfalls dick mit Sägespänen bedeckt.
Für den Gebrauch in den warmen Monaten  musste die kompakte Masse mit Brechstangen wieder zerkleinert werden. 

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Ringtausch bei Mietwohnungen

Es ist kein Geheimnis, dass in der Stadt Wohnungsmangel herrscht. Neben dieser neuen Erkenntnis, dass neue Wohnungen gebaut werden müssen, um die  Miethöhe in Grenzen zu halten, gibt es jedoch noch andere Instrumente, um dieses Ziel zu erreichen.
Wenig diskutiert wird bisher der Ringtausch, der bereits von wenigen Wohnungsbaugesellschaften angeboten wird. Hier wechseln Mieter nach Bedarf die Wohnung und schließen dabei einen Mietvertrag zu den alten Konditionen ab.
Häufig ändert sich die Lebenssituation. Die Wohnung ist zu klein oder zu groß, ein Wechsel wird notwendig. Mit einem Ringtausch könnte zumindest eine bessere Ausnutzung der Wohnfläche erreicht werden, was Wohnungsneubau selbstverständlich nicht ausschließt.
Es bedürfte lediglich der Förderung durch den Senat, die Vermieter zu einer Plattform für den Ringtausch zu ermuntern.

Petra Roß

Händeschütteln und Glückwünsche

»Morus 14« startet ins neue Jahr

Wie jedes Jahr im Januar fand auch dieses Mal der Jahresempfang im »Morus 14« statt. Zahlreiche Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur geben sich hier die Hand und suchen das Gespräch.

morus14Spender und Mitarbeiter.Foto: fh

So auch Erol Özkaraca, Neuköllner Abgeordneter von der SPD, der im Gespann mit Ralf Ehrlich von der »Berliner Aidshilfe e.V.« heftig mit  Netzwerken beschäftigt war. Fritz Felgentreu fand keine Ruhe. Seitdem er Abgeordneter für die SPD im Bundestag ist, freuen sich die Neuköllner darüber, dass er den Bezirk nicht vergessen hat und oft gesehen wird. Auch  Susanna Kahlefeld, Mitglied des Abgeordnetenhauses von den Grünen, fühlte sich in der Gemengelage wohl.
Es war keine Überraschung, dass die Polizei vom Abschnitt 55 da war, ohne sie würde dem »Morus 14« etwas fehlen. Sie sind gefragte Persönlichkeiten, die mit Rat und Tat den Neuköllnern zurseite stehen.
Die Vorstandsvorsitzende Marianne Johannsen brachte in ihrer Rede die große Zufriedenheit zum Ausdruck, mit der sie und der gesamte Vorstand das Jahr 2013 sahen: es gründete sich die »Big Band« aus Rollbergschülern, ein Gehörloser begann, Rollbergkindern das Schachspielen beizubringen und das zehnjährige Jubiläum wurde gefeiert. Zudem hatte das »Morus 14« im vergangenen Jahr keine finanziellen Sorgen. Die Zuversicht des Vorstands für das Jahr 2014 ist groß. Es sind bereits zwei Projekte angestoßen worden, die im Laufe des Jahres von sich hören lassen werden.
Der Geschäftsführer Gilles Duhem hielt in ungewöhnlich knappen Worten seine Rede, in der er besonders auf das Engagement der Mitarbeiter und aller Ehrenamtlicher, die hauptsächlich mit der Schülerhilfe den Rollbergkindern zu Lernerfolgen verhilft, einging. Nur mit ihnen allen ist diese hochwertige Arbeit zu leisten.
Bei dem internationalen Buffet kamen die Gäste leicht ins Gespräch und bei ausgelassener Stimmung wurde viel gelacht.

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Engagement von unten

Ohne die Eigeninitiative der Sylvia Fee läge das Seniorenhaus im Rollbergkiez weiterhin im tiefen Dornröschenschlaf.
Gilles Duhem vom »Morus14« ist unermüdlich dabei, die Schularbeitenhilfe für Rollbergkinder voranzutreiben. »Mieter kochen für Mieter« ist eine Institution geworden, bei der Berliner Promis ihre Kochkünste unter Beweis stellen dürfen.
Die Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« wurde von einer Handvoll Menschen gegründet und sammelt nun Hunderttausende Unterschriften für das Volksbegehren für die Erhaltung des Tempelhofer Feldes.
Selbst die Gründung der Kiez und Kneipe geht auf wenige Menschen zurück, die eine Zeitung machen wollten.
Allen ist gemein, dass das Engagement von wenigen oder Einzelpersonen ausging, die im Schneeballsystem Menschen zum Mitmachen begeistern konnten. Das ist ein besonderes Merkmal für Neukölln und so soll es auch 2014 sein.
Petra Roß

Freifahrtschein ins Paradies

Gotteskrieger auf der Suche nach dem Weg in den Himmel.    Foto: internet

Berliner Jugendliche werden empfänglicher für die Ziele der Dschihadisten

Wochenlang diskutierte die türkische Vätergruppe des Vereins »Aufbruch Neukölln« unter der Leitung des Psychologen Kazim Erdogan in ihren regelmäßigen Treffen über die zunehmende Radikalisierung Berliner Jugendlicher. Einige Gruppenteilnehmer wurden in ihren eigenen Familien mit dem Phänomen konfrontiert. Diese besorgniserregende Entwicklung nahm die Vätergruppe zum Anlass, um in einer Pressekonferenz im »Neuköllner Leuchtturm« auf dieses Thema aufmerksam zu machen.
In seinen einleitenden Worten umriss Kazim Erdogan die Dimensionen, die das Problem inzwischen angenommen hat. Schätzungsweise um die 30 Berliner kämpfen bereits im syrischen Bürgerkrieg, die Tendenz ist steigend. Wie viele Jugendliche in Berlin kurz davor sind, nach Syrien zu gehen, weiß niemand, aber die Anwerbemethoden werden immer bizarrer. Erdogan berichtet von einer muslimischen Religionsgemeinschaft, die »Paradiespässe« ausstelle, die jedem, der in Syrien kämpft, den Einzug ins Paradies garantiert. Besonders anfällig für solche Heilsversprechen seien in Deutschland aufgewachsene Jugendliche aus muslimischen Familien, die aus schwierigen Verhältnissen stammen, keinen Schulabschluss und keine Perspektive haben oder sich aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Ihnen werde suggeriert, dass sie etwas wert seien, wenn sie in Syrien beim Aufbau eines Gottesstaates helfen, in dem sie nicht wie in Deutschland als Menschen zweiter Klasse behandelt würden.
Claudia Danschke, Extremismusexpertin vom »Zentrum Demokratische Kultur« und Leiterin der Beratungsstelle »Hayat« beschreibt die zunehmende Radikalisierung als »jugendkulturelles Phänomen«. Sie berichtet von Propagandagruppen, die, oft getarnt als humanitäre Hilfsorganisationen, bei den Jugendlichen in ein Vakuum stießen, indem sie ihre Hilfsbereitschaft und ihr Gerechtigkeitsgefühl ansprächen, um sie so zum Dschihad zu verführen. Das Leben als Gotteskrieger werde romantisiert und emotionalisiert. Die Argumentation dieser Gruppen sei dabei »pseudo-religiös«. Mit »Suren-Hopping« würden die Jugendlichen mittels einzelner aus dem Zusammenhang gerissener Koranstellen mit einem radikal-islamistischen Weltbild infiltriert.
Erol Özkaraca (SPD), Mitglied des Abgeordnetenhauses, vergleicht das Phänomen mit dem Rechtsextremismus. In beiden Fällen handele es sich um orientierungslose Jugendliche mit schwachem Selbstwertgefühl, die nach einer starken Gemeinschaft suchen. In der SPD-Fraktion sei das Problem bisher noch nicht thematisiert worden. Das liege aber auch daran, dass es in Berlin eine Vielzahl unterschiedlicher Religionsvereine, jedoch keine konkreten Ansprechpartner gebe.
Auf die Frage aus dem Publikum, was die SPD denn tue, um der Radikalisierung der Jugendlichen entgegenzuwirken, verweist Özkaraca auf die Anstrengungen in Neukölln im Bereich der Ganztagsschulen. Er betont aber auch, dass die Politik nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen könne, sondern dass in diesem Falle Eigenverantwortung nötig sei. Aus diesem Grunde begrüßt er ausdrücklich die Initiative der Vätergruppe, auch weil sie von den Betroffenen selbst komme.
Die Teilnehmer der Veranstaltung waren sich einig, dass die Jugendlichen nicht allein gelassen werden dürfen. Nicht Autorität und Verbote, sondern Zuwendung und Kommunikation seien die richtigen Gegenmittel, dem Abdriften der Jugendlichen zu den radikalen Gruppen entgegenzuwirken.
rb

Mit Absperrband gegen Senatspläne

Bürgerinitiative markiert die geplanten Baufelder auf dem Tempelhofer Feld

Rotweißes Absperrband, an dem die grünen Ballons mit dem Logo der Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« befestigt waren, zog sich quer über das Tempelhofer Feld im Bereich der Oderstraße – symbolisch für die geplante Wohnbebauung. Mitglieder des »Bundes für Umwelt und Naturschutz« (BUND), der Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« und Politiker der Grünen aus Neukölln, Tempelhof und Kreuzberg wollten mit dieser Aktion gegen die Pläne des Senats protestieren und zeigen, wie groß die Fläche auf der Neuköllner Seite tatsächlich ist, die der Senat zukünftig bebauen will.

thf_flatterbandProtest auf dem Feld.           Foto: mr

»So kann man sich eine Vorstellung machen, welche Ausmaße die Randbebauung in Wirklichkeit haben wird. Auf den Plänen, die vom Senat veröffentlicht werden, wird das leider nie so deutlich«, meinte einer der Aktivisten.
Bis weit in die geschützten Wiesenbereiche reicht das geplante Baufeld. Das entspricht in etwa der Größe des Schillerkiezes zwischen Weisestraße und Oderstraße. Etwa 1.700 Wohnungen sollen hier entstehen, dazu eine Schule und eine Kita.
In der gleichen Größenordnung bewegen sich auch die Planungen für den Bereich an der Autobahn und am Tempelhofer Damm. Dort sollen allerdings auf fast 70 Prozent der Fläche Gewerbeimmobilien gebaut werden, außerdem die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), für die Ende des letzten Jahres der Architektenwettbewerb entschieden wurde. Nur etwa 30 Prozent sind für den Wohnungsbau vorgesehen. Wenn der Senat die Bebauung in dieser Größenordnung durchsetzt, geht nahezu ein Drittel des Feldes verloren.
Die Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« setzt sich für den Erhalt des Feldes als Ort der Erholung, als kulturhistorisches Denkmal und als Schutzraum für Pflanzen und Tiere ein. Ihr Ziel ist es, das Areal dauerhaft vor jeglicher Bebauung und Privatisierung zu schützen.
Das Feld sei ein einmaliger Ort, wie es ihn in keiner anderen Metropole gebe, meinte Michael Schneidewind, einer der Sprecher der Bürgerinitiative.  Für den dringend benötigten Wohnungsbau ebenso wie für den Bau von Gewerbeimmobilien gebe es genügend andere, weitaus besser geeignete Flächen als die grüne Wiese, die erst für viel Geld baureif gemacht werden müsse.
Noch bis zum 13. Januar sammelt die Initiative Unterschriften für das Volksbegehren zum Erhalt des Tempelhofer Feldes. Damit es erfolgreich ist, müssen rund 174.000 gültige Unterschriften zusammenkommen. Dann können die Berliner an der Wahlurne über die Zukunft des Feldes entscheiden.
Am 11. Januar ab 15:00 ruft die Initiative zum »Trommeln für das Tempelhofer Feld« auf. Zwischen den Eingängen zum Feld am Columbiadamm oder wo immer sich in den Kiezen Trommelgruppen treffen wollen, soll mit dieser Aktion noch einmal für die Unterschriftensammlung geworben werden.                                                                     mr

Die Jury kann sich nicht entscheiden

Der Wettbewerb um den Bau der Zentral- und Landesbibliothek hat zwei Sieger

Der Architekturwettbewerb um den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) auf dem Tempelhofer Feld ist beendet. Allerdings konnte sich die Jury nicht entscheiden und vergab deshalb gleich zwei erste Preise.
Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ist aber von beiden Entwürfen begeistert: »Beide Entwürfe sind offene, einladende Häuser. Der eine ist im höchsten Maße ikonografisch und hat eine große Symbolkraft an diesem Ort, der andere bietet eine Art offene Werkstatt für die künftigen Nutzerinnen und Nutzer und wunderbare Ausblicke auf die Weite des unbebauten Tempelhofer Feldes.«
Das Züricher Büro »MOA – Miebach Oberholzer Architekten« stellt sich ein transparentes neungeschossiges Haus mit viel Glas vor. »Der überzeugende robuste und durchaus flexible Charakter der Bibliothek, der kräftige Ausdruck ähnelt einer Kulturmaschine«, urteilte die Jury.1_Preis_Arbeit_1034_Mo_SW_1

Das Stuttgarter Büro »Kohlmayer Oberst Architekten« plant ein 260 Meter langes, fünfgeschossiges Gebäude, das mit wenigen, im Mittelteil des Gebäudes gelegenen Stützen auskommt und Lüscher zufolge einem Schiff ähnelt. »Der Baukörper wird charakterisiert durch eine extrem weitgespannte Betonkonstruktion, in die Bibliothek in funktionalen Ebenen eingesetzt wird«, erklärten die Juroren.

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Bei den Veranstaltungen des letzten Jahres, in denen die Pläne für den Bau der Bibliothek der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, war allerdings immer die Rede davon, eine moderne Bibliothek müsse in die Höhe gebaut werden, um zu funktionieren. Das war der Grund, weshalb der Einbau der ZLB in das  alte Flughafengebäude von Senatsseite kategorisch abgelehnt wurde.
Beide Varianten sollen jetzt weiter überarbeitet werden. Im Frühjahr will die Jury dann entscheiden, welcher Entwurf den Zuschlag bekommt. 2015 soll der Bebauungsplan folgen, 2016 der Baubeginn. 2021 soll alles fertig sein, so die Planung.
Auf einer Fläche von 60.000 Quadratmetern sollen dort die Bestände der Berliner Stadtbibliothek, der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) und der Senatsbibliothek zusammengeführt werden.
Rund 270 Millionen Euro soll der Neubau kosten. Das ist jedenfalls die Vorstellung des Senats. Kritiker befürchten allerdings, dass, wie bei anderen Bauten der öffentlichen Hand auch, hier die Kosten explodieren, zumal der Entwurf der Stuttgarter bereits jetzt den Kostenrahmen sprengt. Auch zu den Kosten der Infrastruktur, die mittelbar durch den Neubau verursacht werden, wie Straßenbau, Versorgung mit Elektrizität und Wasser sowie die Entsorgung, macht der Senat keine Angaben. Ungeklärt ist auch die Zukunft der dringend renovierungsbedürftigen AGB, die dann ihre Funktion verliert.
Eine Ausstellung aller Arbeiten des Wettbewerbs wird am 4. Februar um 18:00 eröffnet und ist bis zum 28. Februar im Flughafengebäude Tempelhof, Columbi­a­damm 10, Gebäude A1, zu sehen.

mr

von Neuköllnern für Neuköllner