Petras Tagebuch

Lärm in der Stadt

Es ist schon etwa 30 Jahre her als ich in einer Wohnung lebte, die auf der Ecke von Kopfsteinpflasterstraßen lag. Zu jeder Tages- und Nachtzeit fuhren kleinere Autos und Lastwagen durch. Auch durchgeknallte hormongesteuerte Jungautofahrer bewiesen an dieser Ecke, dass Hochgeschwindigkeiten quietschende Reifen hervorrufen. Nicht zu vergessen sind die rivalisierenden Gruppen, die genau an dieser Ecke ihre Kämpfe ausfechten wollten. Das hatte zur Konsequenz, dass in einem Keller eine Taskforce eingerichtet wurde, die aber immerhin ein Jahr brauchte, um die Revierhengste zu vertreiben. Da hatten dann andere Anwohner ihre Probleme.
Im Erdgeschoss des Hauses war ein Restaurant mit Außenbestuhlung. Im Sommer, wenn ich gerne bei geöffnetem Fenster schlafen wollte, konnte ich mich den Gesprächen der Gäste nicht entziehen, allerdings sah es mit dem Schlafen schlecht aus. Und klar, je später es am Abend wurde und umso mehr der Alkoholkonsum stieg, umso lauter wurde es. Keiner der Hausbewohner beschwerte sich. Der Betreiber des Restaurants war sich wohl der Lärmbelästigung bewusst, denn wir bekamen einen ordentlichen Rabatt, wenn wir dort aßen.
Auf der anderen Ecke des Hauses war eine »Pizzeria To Go«. Sie hatte eine Dunstabzugshaube, die die Pizzadämpfe ungehindert in den Hof ließ. In dieser Richtung befand sich meine Küche. Die Folge war, dass mir manchmal schlichtweg der Appetit verging. Gerade wollte ich ein Stück Schokoladenkuchen essen, und mir hing der Pizzageruch in der Nase. Das ist so ziemlich das Scheußlichste, was mir je begegnet ist.
Und wenn ich dann durch den Flur ging, hatte ich den Haschischgeruch, der von unten nach oben durchzog, in der Nase.
Ich habe mich damals über nichts beschwert, weil ich mir dachte, dass wir alle ja irgendwie zusammenleben müssen und ich andere auch nicht ändern kann.
Ich war ja nicht besser: Meine Tochter lernte damals Klavierspielen. Sie hatte sich angewöhnt, morgens um 7 Uhr vor der Schule ihre ersten Übungen zu machen. Das rief den Nachbarn unter mir auf den Plan. Er bat mich darum, das Klavier erst ab 10 Uhr freizugeben. Das ging dann. In diesem Zusammenhang dachte ich darüber nach, wie oft ich um 7 Uhr mit meinen Pumps durch die Wohnung lief, wie oft mir etwas aus der Hand fiel, welche Rufe ich durch die Wohnung schickte, und alles hat der Nachbar ertragen, ohne sich je zu beschweren.
Auch habe ich damals gerne Partys gefeiert. Da dauerte es etwas länger, und es wurde ein wenig lauter. Für mich war es dann selbstverständlich, den Nachbarn etwas vom Buffet abzugeben. Es war so eine Art Bestechung und Freibrief für einen Abend. Das alles war übrigens nicht in Neukölln.
Heute wohne ich in einem Neuköllner Gartenhaus mit schalldichten Flughafenfenstern. Ich höre deutlich, wie die Nachbarskinder größer werden, sich streiten, ihre Eltern auf die Probe stellen. Ansonsten ist bis auf die Vögel alles ruhig.