Der Mann auf der Straße

Helfen nicht so leicht gemacht

Da stand er einfach. In leicht gebeugter Haltung starrte ein Mann auf den Boden und bewegte sich nicht. In der Weichselstraße neben einem Ladengeschäft. Nach drei Stunden verharrte er noch immer in dieser Haltung.
Die Mitarbeiter aus dem Geschäft waren besorgt: »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?« Der Mann gab zu Verstehen, dass er keine Hilfe benötige. Nun setzte er sich doch auf einen Treppenabsatz.
Es war kalt an diesem Tag. Der Mann trug offene Schuhe und zerlöcherte Socken. Die Mitarbeiter des Ladens liefen los und kauften ihm warme Socken. Zunächst wollte er sie nicht haben, steckte sie dann aber nach langem Überreden ein.

Hoffentlich nicht für immer.                                                                                                                              Foto: fh

Inzwischen hatten die Geschäftsleute aus der gesamten Weichselstraße die bedauernswerte Person entdeckt. Die einen brachten Essen, die anderen heißen Kaffee und Tee. Das nahm er dankbar an.
Unterdessen entspann sich eine Diskussion darüber, was zu tun sei. Die Feuerwehr wurde angerufen. Offenbar war der Mann krank und bedurfte der Hilfe. Die Feuerwehr kam und prüfte die Situation: »Er liegt nicht auf dem Boden, es besteht für uns kein Handlungsbedarf«, so die lakonische Beurteilung, und fuhr wieder weg.Der Kältebus, so fanden sie heraus, fuhr noch nicht. Der Vorfall ereignete sich Ende Oktober, und der Kältebus fährt erst ab 1. November. Pech für den Mann und große Sorge inzwischen nicht nur bei den Geschäftsleuten, sondern auch bei den Nachbarn.
In ihrer Ratlosigkeit riefen die Besorgten die Polizei. Sie kam und stellte fest, dass der Mann keine Straftat begangen habe und somit keine Veranlassung bestehe, ihn mitzunehmen.
Nach Geschäftsschluss saß der Mann noch immer auf dem Treppenabsatz. Er wurde über den Tag gut versorgt. Nun machte sich seine Verdauung bemerkbar. An alles hatten Nachbarn und Geschäftsleute gedacht, aber nicht an eine Toilette. Am nächsten Tag besichtigten Mitarbeiter, Geschäftsleute und Nachbarn die übelriechende Bescherung, die in ein Abtrittgitter befördert worden war. Also Katzenstreu drüber und gut war es.
Lange noch gab es Diskussionen, was in einem solchen Fall getan werden kann. Die Institutionen fühlten sich nicht zuständig, die Nachbarn halfen so weit sie konnten, und zurück blieb das Gefühl der Hilf- und Ratlosigkeit.
Wie kann es in einem so reichen und durchorganisierten Land passieren, dass Menschen in ihrer Not so allein gelassen werden?

ro