Ötzi wäre stolz

Gastautor Tim Hofmann ließ im »19:28 Tattoo Club« seinen Körper verschönern

Surrende Maschinen und Heavy-Metal-Musik erfüllen den Raum. Auf der schwarzen Wand steht in weißen Lettern »You shall not make any cuttings in your flesh for the dead, or print marks upon you: I am the lord«, ein Satz aus der Bibel.
Ich strecke mich bäuchlings auf einer Liege aus, über mich ein Mann gebeugt. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, ein dicker, schwarzer Querstrich über Nase und Backen tätowiert. Er wird sieben Nadeln immer wieder per Hand in meinen Rücken stechen.

Feine Nadelkunst.                                                                                                                                                  Foto: pr

Was sich anhört wie ein satanistisches Opferritual, ist für Benjamin eher das Gegenteil. »Für mich ist Handpoking fast schon meditativ«, sinniert er. Handpoking, auch »Stick and Poke« genannt, bedeutet, Tattoos ohne Maschine, nur mit mehreren verbundenen Nadeln, zu stechen.
Benjamin, der sich selbst »b.ignorant« nennt, arbeitet im »19:28 Berlin Tattoo Club« in der Altenbraker Straße. Handpoking erfährt zurzeit einen Boom. Hunderte von You Tube-Tutorials zeugen davon. Benjamin sieht das positiv: »Früher war Maler ja auch ein Handwerksberuf. Dürer war einer der ersten, der ein Buch geschrieben hat, aus dem quasi jeder lernen konnte zu malen. Ich finde nur, Anfänger sollten wissen, wo sie stehen. Jemand, der sein zweites Tattoo sticht, sollte niemandem das Gesicht stechen.«
Die Ursprünge des Tattoo-Handwerks liegen mindestens 5.300 Jahre zurück. Auf ungefähr dieses Alter datieren Experten nämlich die Mumie Ötzi. Auf ihm fanden Wissenschaftler bisher rund 61 Tätowierungen, verteilt auf Brust, Arme und Rücken. Sie alle sind 0,7 bis vier Zentimeter lange, parallele Striche, bis auf zwei Kreuze. Forscher nehmen an, dass es sich um eine Art Akupunktur zur Heilung von Krankheiten gehandelt haben könnte.
Das ist nicht die einzige ungewöhnliche Verwendung von Tätowierungen aus der Vergangenheit. »Die britische Ostindien-Kompanie hat Piraten tätowieren lassen, die ihre Schiffe überfallen haben«, erzählt Benjamin. »Auch Pilgertätowierungen waren im Spätmittelalter weit verbreitet.«
Die beiden großen Vorteile, die handgestochene Tätowierungen gegenüber konventionellen Tattoos aufweisen, sind die schnellere Heilung und der geringere Schmerzfaktor: »Mir sind während der Session schon oft Kunden weggepennt, das Ganze ist wie gesagt sehr meditativ. Das ist einfach nicht so invasiv, bei einer Linie mache ich 15 Stiche, die Maschine macht halt Hundert.«
Er unterbricht, um auf Englisch mit einer Kollegin über seinen nächsten Kunden zu reden. »Punktierte Schattierungen und Symbolik lassen sich mit der Hand einfach besser stechen. So, fertig!«.
Ich stehe auf und bewundere mein in den letzten 45 Minuten entstandenes Tattoo im Spiegel. Seine Kollegin ruft mir zu: »Turn around please«, Ich wende mich ihr zu »Oh, it‘s beautiful«.

19:28 Tattoo Club
Altenbraker Straße 5