Petras Tagebuch

Der Omaschock

Seitdem ich erfahren habe, dass ich Oma werde, hat sich für mich die Sicht der Dinge geändert. Zu Beginn löste diese Tatsache eher Unsicherheit aus, denn meine Tochter hielt es nicht für notwendig, mich im Vorfeld zu befragen. Ich kann es nicht leiden, wenn ich vor vollendete Tatsachen gestellt werde, die mein Leben beeinflussen. Und Oma werden ist so etwas.
Immerhin habe ich mich inzwischen damit arrangiert. Seither sehe ich in Neukölln nur noch Schwangere und Mütter mit ihren Kindern. Auch meine Haltung zu dieser Gruppe ist milder geworden. Habe ich bis vor kurzem gerne die Straßenseite gewechselt, sobald Kinder und Mütter in Sicht waren, bin ich nun bereit, mich auf ein Gespräch mit ihnen einzulassen. Eigentlich entstehen nun ganz nette Situationen, und ich fühle mich daran erinnert, dass mir meine Tochter, insbesondere in den ersten Lebensjahren, viel Freude mit neuen Erlebnissen bereitet hat.Da ich nun aus erster Hand erfahre, wie Schwangere eine Nahrungsverbotsliste von ihren Ärzten bekommen, entwickle ich auch ein ehrliches Mitgefühl: kein Rohmilchkäse, kein rohes Fleisch, keine frische Milch, keine Salami. Die Liste nimmt kein Ende, und die jungen Frauen sind zutiefst verunsichert. Da kann ich nur auf meine eigene Schwangerschaft schauen. Da gab es keine Essensauflagen, auch bei Getränken wurde es locker gehalten. Die einzige Auflage, die ich hatte, war, dass es mir gut gehen solle, dass ich nur schöne Bücher lesen und mich viel an der frischen Luft aufhalten solle. Da haben die Schwangeren heute mein volles Mitgefühl. Gerade in der Zeit, in der Essen so ein großer Genuss ist, sollen sie verzichten.
Meine Tochter hat bereits ihren eigenen Schluss gezogen. Sie will genießen. Auf ihrem Speisezettel stehen Rohmilchkäse und frische Milch, denn darauf hat sie Appetit und damit geht es ihr gut.