Wie die Tussis laufen

Jugendliche entwickeln ein Schauspiel

Auf der Bühne steht eine Gruppe Jugendlicher, vom Bühnenrand schallen aus einer anderen Gruppe Anweisungen herüber, denen die Schauspieler folgen müssen. »Lauft wie Tussis« ist so eine Ansage. Sie bewegen sich entsprechend, lesen Texte vor, sprechen ihre Gedanken ins Mikrofon.

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Probe zu »How long is paradise?«.                                                                                                                                     Foto: pr

»Früher hab ich geglaubt, dass die Welt vor 1980 schwarzweiß war wegen der Videos«, sagt ein Junge. Ein anderer: »Ich bin Kolumbianer, aber ich konsumiere kein Kokain.« In dem Theaterstück »How long is paradise?«, das Maike Plath vom Verein »ACT e.V. – Führe Regie über dein Leben!« mit Jugendlichen im Heimathafen Neukölln probt, geht es um Glauben und um Vorurteile. Was glauben wir? Was wissen wir? Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es das Gute und das Böse? Und wozu brauchen wir die Religion? Das Thema wird in groben Zügen von der Spielleiterin Maike Plath vorgegeben. Darauf aufbauend sollen die Jugendlichen sich selbstständig damit auseinandersetzen und ihre eigene Deutung erarbeiten. Das bedeutet, dass alle Mitwirkenden eigene Texte zu dem Stück schreiben, Geschichten erzählen, die zu Szenen weiterentwickelt werden. Den Jugendlichen eröffnet sich hier die Möglichkeit, aus ihrer Alltagserfahrung ihre Sichtweise auf aktuelle gesellschaftspolitische Themen mit künstlerischen Mitteln zu gestalten und dabei ganz neue Fragen zu stellen.
Nach jeder Szene wechseln die Gruppen. Vorher gibt es noch eine Art Manöverkritik. Die jeweilige Gruppe am Bühnenrand beschreibt, was jedem Einzelnen besonders gefallen hat, die »Lieblingsmomente«. Mißfallensbekundungen gibt es keine. »Die Kinder sollen stolz sein können auf ihre Leistung«, sagt Anna Maria Weber, zuständig im Verein für die Öffentlichkeitsarbeit. »Das schafft eine unglaubliche Motivation.«
Die jungen Schauspieler im Alter von elf bis 26 Jahren kommen aus Neukölln und anderen Bezirken und haben ganz verschiedene kulturelle und soziale Hintergründe. In den 44 Wochen, die sie zusammen proben, lernen sie nicht nur die Mechanismen des Theaters kennen, es geht auch um Kommunikationsfähigkeit, Vertrauen und ein respektvolles Miteinander. Anders als in der Schule machen die Kinder hier die Erfahrung, dass sie nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern dass jeder in seiner Einzigartigkeit wichtig ist, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.
»ACT e.V.« ist gemeinnützig und anerkannter Träger der freien Jugendhilfe. Das Konzept, nach dem der Verein arbeitet, hat die Lehrerin und Theaterpädagogin Maike Plath während ihrer Zeit an einer Neuköllner Hauptschule entwickelt. Neben der Arbeit mit den Kindern bietet der Verein auch Workshops für Lehrer und Künstler an. Weitere Informationen und Termine unter: https://act-berlin.de.
Die Premiere des Theaterstücks »How long is paradise?« ist am 16. Juni in der Studiobühne im Heimathafen Neukölln zu sehen.

mr