Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllner Tageblatt, Mittwoch, 1.7.1925
Schafft Künstlerateliers! Immer stärker erschallt der Notruf aus den Kreisen der bildenden Künstler, welche durch die schwere Lage des Wohnungsmarktes in Ateliernot geraten sind. Der Mangel an Künstlerateliers ist eine Bedrohung des Schaffens der Berliner Künstler und vor allem der Arbeit des künstlerischen Nachwuchses überhaupt. Oberbürgermeister Böß hat, nachdem der zentralen Kunstdeputation immer lautere Notrufe der Künstler zugegangen sind, die Bezirksämter ersucht, sich dieser Ateliernot besonders annehmen zu wollen. Weil eine unmittelbare Einwirkung auf die Baulustigen in dieser Richtung nicht möglich sei, so würde es sich doch empfehlen, die in den Bezirken bestehenden Beratungsstellen anzuweisen, dem Auskunft suchenden Publikum gegenüber diese Ateliernot besonders zu betonen.

Neuköllnische Zeitung, Montag, 6.7.1925
Das ideale Sommerkostüm hat ein netter Junge von elf bis zwölf Jahren entdeckt, der in einer der Hauptstraßen des Westens daherkam. Es bestand in einer Badehose und sonst nichts! Ganz einfach und selbstverständlich kam er daher. Und ebenso selbstverständlich nahmen es die anderen auf der Straße auf. Niemand wunderte sich, niemand entrüstete sich, niemand lachte. Nur ab und zu lächelte einer wohlwollend und dachte wohl bei sich: Wer es doch auch so gut hätte!

Neuköllnische Zeitung, Montag, 13.7.1925
Neubauchaos. Man schreibt uns: Der Bau einer Zweizimmerwohnung kostet heute etwa 12 000 M. Mit Hauszinssteuerhypothek und Baukostenzuschuß sind als Miete schließlich 900 bis 1000 M. erforderlich. Private Baulustige werden sich erst melden, wenn alle Neubauten auf 10 bis 12 Jahre von sämtlichen Steuern und Abgaben freigestellt werden. Nur das kann einen Ausgleich für die hohen Zinssätze und Neubaumieten von heute bieten.

Neuköllner Tageblatt, Sonntag, 19.7.1925
Lovis Corinth gestorben. Nach einer Meldung aus dem Badeort Zandvoort ist der Maler Lovis Corinth an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.

Neuköllner Tageblatt, Mittwoch, 22.7.1925
Trauerfeier für Professor Corinth. In den feierlich ausgestatteten Räumen der Sezession fand gestern vormittag eine Trauerfeier für Professor Lovis Corinth statt, zu der außer der Witwe und dem Sohn sowie den persönlichen Freunden des Verblichenen vor allem die Berliner Künstlerschaft erschienen war. Namens der Sezession gedachten der Maler v. König und als Vertreter Professor Liebermanns Professor Frank von der Akademie der Künste der hohen Meisterschaft Corinths. Nach einer weiteren Ansprache des Leiters der Nationalgalerie Geheimrats Justi, der auch der Witwe dankte, die den Meister gepflegt und seine Werke beseelt habe, schloß die stimmungsvolle Feier. Hierauf erfolgte die Überführung der Leiche in das Krematorium.

Neuköllner Tageblatt, Freitag, 24.7.1925
Ernste Mahnung an die Radfahrer. Das Polizeipräsidium teilt mit: Eine Unsitte, die immer wieder beobachtet werden kann, ist es, daß die Radfahrer sich über die allgemeinen Verkehrsbestimmungen hinwegsetzen und insbesondere durch Fahren nahezu in der Mitte des Fahrdammes den Verkehr behindern und die Fußgänger gefährden. Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß Fahrräder denselben verkehrspolizeilichen Bestimmungen unterliegen, wie andere Fahrzeuge, daß sie also ebenfalls tunlichst rechts an der Bordschwelle zu halten haben. Gegen Radfahrer, die gegen diese Vorschriften verstoßen, wird in Zukunft unnachsichtlich vorgegangen werden.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1925 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Auf der Schwelle vom Impressionismus zum Expressionismus

Der Maler Lovis Corinth

Lovis Corinth zählt zu den bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der Berliner Kunstszene. Gemeinsam mit Max Liebermann, Max Slevogt und Walter Leistikow leitete er in Berlin die Moderne ein.

Lovis Corinth, Selbstbildnis 1909, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)

Franz Heinrich Louis Corinth wurde 1858 im ostpreußischen Tapiau geboren. 1876 begann er seine akademische Kunstausbildung in Königsberg. Nach Aufenthalten in München und Paris orientierte sich Corinth mehr und mehr nach Berlin, wo er ab 1900 bei der dortigen Sezession ausstellte und im Jahr darauf ihr Mitglied wurde. Die Reichshauptstadt war zu dieser Zeit bereits deutlich fortschrittlicher und lebendiger als die bayerische Residenzstadt. »In Berlin fing alles an«, soll Corinth seine Erfolgsgeschichte an der Spree kommentiert haben.
Im Oktober 1901 eröffnete er in Berlin eine Malschule. 1903 heiratete er Charlotte Berend, seine erste Schülerin. 1888 malte er ein erstes Selbstporträt, dem seit der Wende zum 20. Jahrhundert jährlich mindestens eines aus Anlass seines Geburtstags folgte. Auch das Selbstporträt von 1909 ist solch ein Geburtstagsbild, das den Künstler im Alter von 51 Jahren zeigt.
Vor allem durch sein Spätwerk wurde er zum Vorboten des langsam aufkommenden Expressionismus. So teilten auch die Nazis Corinths Werk in zwei Teile – das Frühwerk mit seinen teils patriotisch, epischen Themen galt als noch genehm, das Spätwerk jedoch als entartet, was eine Verbannung dieser Werke aus den deutschen Museen ab 1933 bedeutete. In der Nachkriegszeit erfuhr der Künstler wieder höchste Anerkennung. Vor allem im Osten Deutschlands orientierten sich Künstler an seinem Werk.
Corinth beschäftigte sich nicht nur mit der Malerei, er war auch im schriftstellerischen Bereich tätig: 1920 erschienen seine gesammelten Schriften, seine Selbstbiographie folgte ein Jahr nach seinem Tod.
Lovis Corinth starb am 17. Juli 1925 bei seinem Aufenthalt in Zandvoort in den Niederlanden.
Lovis Corinth ist mit zahlreichen Werken in verschiedenen Museen vertreten, darunter die Berliner Nationalgalerie und die Berlinische Galerie, die über einen hochkarätigen Bestand an Gemälden verfügen.

mr