Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung, Freitag, 1.2.1924
Preußisches Karnevalsverbot. In einer Verfügung an die Regierungspräsidenten und den Polizeipräsidenten von Berlin verweist der preußische Minister des Innern auf seinen Erlaß vom 28. Oktober 1923, in dem ein Karnevalsverbot für Preußen ausgesprochen wurde. Die Bestimmungen dieses Erlasses werden für 1924 unverändert erneuert mit Rücksicht auf die wirtschaftliche und politische Lage. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass die von geschlossenen Vereinen veranstalteten karnevalistischen Sitzungen und die von geschlossenen Vereinen veranstalteten sogenannten Kostümfeste nicht unter das Verbot fallen.

Neuköllner Tageblatt, Sonnabend, 2.2.1924
Die Veranlagung der Böhmen zur Kirchensteuer hat zu zahlreichen Einsprüchen Veranlassung gegeben. Die Erklärung liegt darin, dass die sämtlichen Gemeindeglieder durch die Stadtsynode zur Kirchensteuer veranlagt wurden, um durch die Einsprüche eine Klarstellung darüber zu erzielen, wer wirklich zu den Nachkommen der alten Böhmen gehört. Wie wir hören, hat sich herausgestellt, dass von den bisher etwa 200 Freigestellten nur 70 – 100 zu der erstgenannten Kategorie gehören, und selbstverständlich Kirchensteuerfreiheit genießen, während die übrigen sich lediglich zur Böhmischen Gemeinde halten, aber der Stadtkirchengemeinde angehören und dorthin somit auch steuerpflichtig sind.

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend, 2.2.1924
Eine Leiche stellt sich der Polizei. Ein junger Bankbeamter aus angesehener Augsburger Familie, der in München Scheckschwindeleien begangen hatte, stellte sich der Münchener Polizei als Leiche. Er mietete ein Auto und gab dem Chauffeur die Weisung, ihn zum Polizeigebäude zu fahren; unmittelbar vor dem Ziele erschoß er sich.

Neuköllner Tageblatt, Dienstag, 5.2.1924
Moderne Jugend. Die »Voss. Ztg.« berichtet: Am Sonntag nachmittag fand in einem Kino in der Oppelner Straße eine Vorstellung für Jugendliche statt, die stark besucht war. Nach Schluß forderten einige der Burschen den Film »Der Boxerkönig von Newyork«. Als der Inhaber die Vorführung verweigerte, weil der Film nicht für Jugendliche bestimmt sei, erhob sich Tumult. Die Kinder schrien und trampelten, und als die Angestellten des Kinos den Saal räumten, wurden die Sitze zertrümmert. Durch den Lärm sammelten sich auch vor dem Kino Leute an, so dass schließlich die Schupo herbeigerufen werden mußte. Fünf junge Burschen wurden sistiert und zur Wache gebracht.

Neuköllnische Zeitung, Montag, 18.2.1924
Das tönende Herz. Die drahtlose Telegraphie ist nicht nur ein Mittel zur Nachrichtenübertragung im gewöhnlichen Sinne. Sie vermag viel mehr. Sie ist imstande, den Herzschlag eines Menschen über die Erde zu senden, so dass ein Arzt, der beispielsweise in Berlin wohnt, einem Herzkranken, der im Feuerlande lebt, die Diagnose stellen könnte. Die drahtlose Telegraphie macht es möglich, dass Gehörprüfungen mit einer früher unbekannten Genauigkeit durchgeführt werden können.

Neuköllnische Zeitung, Montag, 18.2.1924
Schlank muß sie sein! In einer großen Berliner Tageszeitung wurde von einer großen thüringischen Glaswarenfabrik eine »junge, elegante, schlanke Dame«, perfekt in deutscher, englischer und französischer Korrespondenz nach deutschem Diktat, Stenographie und Schreibmaschine Bedingung, usw. gesucht. Daß der Chef, den die Dame, wie es in der Anzeige heißt, zeitweise vertreten muß, eine jüngere Kraft sucht, ist durchaus zu verstehen; Daß die Dame unbedingt »elegant«, also doch wohl elegant gekleidet, sein soll, ist schon weniger verständlich, dass sie aber gar »schlank« sein muß – das läßt tief blicken! Warum muß eine Stenographin und Schreibmaschinendame durchaus schlank sein? Wem soll sie imponieren – dem Chef oder den Arbeitern?

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1924 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Diagnose per Telefon oder Radio

Die ersten Schritte in die Telemedizin

Der Telegraf gilt als das erste elektrische Telekommunikationsinstrument, mit dem Kommunikation und Datenaustausch zwischen beliebigen Orten auf der Erde ermöglicht wurde, was ihn auch für die Nutzung zu medizinischen Zwecken prädestinierte.

Videotelefonzelle zur Demonstration aus dem Jahr 1922 im Bell Telephone Magazine.

Eine der ersten belegten Nutzungen einer telegrafischen Leitung zu medizinischen Zwecken vollzog sich im Jahr 1874 in Australien, als ein Arzt über den Telegrafen Kontakt zu einem 2.000 Kilometer entfernten Verletzten aufnahm, um ärztliche Anweisungen zu dessen Behandlung zu geben.
Ein weiteres fernmedizinisches Verfahren wurde ebenfalls in Australien im Jahr 1917 durchgeführt. Durch telegrafische Anweisungen eines Arztes gelang es, einen verletzten Mann mit einfachen Mitteln zu operieren.
Einen weiteren Fortschritt brachte die Idee, ein Stethoskop mit einem Telefon zu verbinden, um ein Abhören aus der Ferne zu praktizieren. 1910 führte der britische Ingenieur Sydney-George Brown die weltweit erste Telekonsultation durch. Auf der Distanz von über 50 Meilen zwischen dem Londoner Krankenhaus und der Isle of Wight gelang es ihm, Herztöne zu übertragen.
Mit den Anfängen der Radiokommunikation begannen erste Überlegungen, das Radio für medizinische Zwecke zu nutzen. Es ging dabei um die Unterstützung der Diagnose von Krankheiten unabhängig vom Aufenthaltsort eines Patienten. Im Jahr 1920 wurden erste Radiotelekonsultationen für Seeleute in einem Krankenhaus in Norwegen durchgeführt. Neben Ferndiagnosen leiteten Chirurgen sogar Eingriffe über Radio.
Die Erfindung des Fernsehens eröffnete weitere Einsatzmöglichkeiten. Am 31. Mai 1949 fand die erste farbige Übertragung einer Operation zwischen dem Johns Hopkins Krankenhaus in Baltimore und dem Hörsaal der American Medical Association in Washington statt. In den darauffolgenden Jahren verbreitete sich diese Art der visuellen Informationsübertragung im medizinischen Bereich in weitere Teile der USA.

mr