Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung, Samstag, 1.12.1923
Ein Schutzabzeichen für Blinde. Nach einer Mitteilung des Vorsitzenden der Berliner Blinden= und Blindenfürsorge=Vereine ist jetzt ein Blindenabzeichen hergestellt worden, das von der Blindenwohlfahrtstelle der Stadt Berlin verteilt wird. Das Abzeichen besteht aus einem ovalen Emailleschild mit weißem Kreuz in der Mitte und wird auf der linken Brustseite getragen. Die Polizeibeamten sind angewiesen worden, die Träger dieses Abzeichens in ihre besondere Obhut zu nehmen.

Neuköllner Tageblatt, Sonntag, 2.12.1923
Bei Demonstrationen nicht stehen bleiben! Das Polizeipräsidium Berlin teilt mit: Das Kommando der Schutzpolizei klagt darüber, dass die Tätigkeit der Beamten, namentlich bei Straßenaufzügen, Ansammlungen und Demonstrationen durch unzweckmäßiges Verhalten Unbeteiligter erheblich erschwert wird. Neugierige Passanten, die mit dem Vorfall gar nichts zu tun haben, bleiben stehen und widersetzen sich sogar der Aufforderung weiterzugehen. Es ist wiederholt vorgekommen, daß diese Personen sich nachträglich darüber beschwert haben, daß sie als Unbeteiligte wie Demonstranten behandelt würden. Es ist selbstverständlich, daß die Polizei in solchen Augenblicken irgendwelche Unterschiede nicht machen kann.

Neuköllnische Zeitung, Dienstag, 11.12.1923
Ausschreitungen Erwerbsloser im Neuköllner Rathaus. Im hiesigen Rathaus kam es heute mittag wieder einmal zu Demonstrationen von einigen Hundert Erwerbslosen. Anlaß zu den Kundgebungen gaben die Frage der Vorschußzahlung und die Heranziehung zur Arbeit. Während eine Deputation, wie schon in früheren Fällen, mit dem zuständigen Dezernenten, Herrn Stadtrat Waldheim verhandelte, suchte sich die Menge, die Treppen und Gänge des Rathauses vollbesetzt hielt, auf allerlei Weise die Zeit zu vertreiben und einige radaulustige Elemente schlugen Lärm, klopften an die Türen der einzelnen Büros und rissen Plakate und Schilder von den Wänden und Eingängen. Die Bezirksverwaltung sah sich schließlich genötigt, zum Schutze der Beamten das Ueberfallkommando herbeizurufen, und einem starken Aufgebot der Schupo gelang es schließlich, das Haus und die anliegenden Straßen von der inzwischen noch mehr angewachsenen Menge zu säubern und die Ruhe wiederherzustellen.

Neuköllner Tageblatt, Sonntag, 30.12.1923
Der Erbauer des Eiffelturmes gestorben. Der Erbauer des Pariser Eiffelturmes, Gustav Eiffel, ist im Alter von 92 Jahren an den Folgen eines Gehirnschlages gestorben. Gustav Eiffel gehörte zu den bedeutendsten Ingenieuren Frankreichs. Sein Name wurde fast der ganzen Welt dadurch bekannt, daß er das höchste Bauwerk errichtete, das Menschenhände bis jetzt geschaffen haben. Es ist der nach ihm benannte Eiffelturm in Paris, der 300 Meter hoch ist, und dessen Gestehungskosten sich auf 6½ Millionen Franken beliefen. Der Unterbau des Turmes ruht auf Betonklötzen von 760 Quadratmetern Grundfläche. Das Bauwerk selbst wiegt 9 Millionen Kilogramm. Auf der ersten Plattform dieses eisernen Riesen befinden sich u. a. ein Theatersaal und ein Restaurant. Diese erste Plattform liegt 57,67 Meter hoch, die zweite 115,75 Meter über der Erde. Bis zur Spitze des Turmes führen 1762 Stufen. Ursprünglich sollte der Turm nur Vergnügungs= und Unterhaltungszwecken dienen. Er wurde aber schon von Eiffel für verschiedene wissenschaftliche Zwecke benutzt, so u. a. zur Bestimmung des Luftwiderstandes gegen die geradlinige Bewegung fallender Körper. Verschiedene französische Forscher haben ebenfalls den Turm benutzt, um den Widerstand der Luft und verschiedener Gase zu erproben. Dann wurde der Turm ausgebaut zu der bekannten drahtlosen Eiffel=Station, die im Kriege eine bedeutsame Rolle gespielt hat.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1923 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Gustave Eiffel – ein visionärer Ingenieur

Sein Meisterwerk bezaubert bis heute

Gustave Eiffel (1832 – 1923) hat sich nicht nur in Paris verewigt. Er setzte mit tausenden Mitarbeitern Projekte in der ganzen Welt um – Bahnhöfe in Budapest, Santiago de Chile und La Paz, Brücken in Frankreich, der Schweiz und Portugal, das Gerüst des Pariser Modemuseums Palais Galliera sowie das Trägersystem für die Freiheitsstatue. 700 Bauwerke aus seiner Werkstatt verteilen sich über 30 Länder.

Gustave Eiffel.  (AFP)

Mit nur 26 Jahren leitete Eiffel sein erstes großes Projekt, den Bau einer 500 Meter langen Eisenbahnbrücke über die Garonne in Bordeaux. Von da an leitete er mehrere weitere Brückenbauten im Südwesten. Im Jahre 1867 gründete er sein eigenes Unternehmen.
Eiffel verwendete bei seinen Konstruktionen möglichst häufig die gleichen Bauteile. Diese Teile wurden in Frankreich in Fabriken erstellt und teilweise schon zusammengebaut und in andere Länder gebracht. Das sparte Zeit und Geld.
Zum 100. Jahrestag der französischen Revolution fand 1889 in Frankreichs Hauptstadt Paris eine Weltausstellung statt. Gustave Eiffel und seine Mitarbeiter gewannen den Ideen-Wettbewerb für den Bau eines 300 Meter hohen Turmes, der am Eingang der Ausstellung stehen und die Gäste aus aller Welt beeindrucken sollte.
Experten waren begeistert und sprachen von einem »erstaunlichen Meisterwerk ziviler Ingenieurskunst«. In der Bevölkerung kam der Eiffelturm dagegen weniger gut an. Vor allem die Künstlerszene ereiferte sich über die »tragische Straßenlaterne«, die »nutzlos und monströs« sei.
Eigentlich war geplant, den Eiffelturm nach 20 Jahren wieder abzureißen. Doch so weit kam es nicht. Eiffel setzte sich für den Erhalt »seines« Turmes ein. Er nutzte ihn für wissenschaftliche Zwecke und stattete ihn mit einer Antenne aus. So wurde der Eiffelturm ein wichtiges Gebäude für Frankreichs Telekommunikation und für das Radio. Fast zwei Millionen Besucher erstiegen in den ersten sechs Monaten die Stufen zu den Plattformen. Die Einnahmen deckten schnell die Baukosten. Der Eiffelturm wurde ein Besuchermagnet und das Pariser Wahrzeichen schlechthin.
Gustave Eiffel wurde auf dem Friedhof von Levallois-Perret nordwestlich von Paris beigesetzt.

mr