Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllner Tageblatt, Mittwoch, 02.08.1922
Zahlreiche Friedhofsdiebstähle beschäftigen z. Zt. die hiesige Polizei. In letzter Zeit sind die Friedhöfe in der Hermannstr. und der städtische Friedhof in der Rudowerstr. wiederholt, letzterer erst wieder in der Nacht vom Sonn­abend zum Sonntag von Grabschändern heimgesucht worden. Unter dem Verdacht an diesen Diebstählen beteiligt zu sein, wurden der Händler Paul Reuter und dessen Wirtschafterin Anna Blitz, Selchowerstr. 14 wohnhaft festgenommen. Die beiden haben versucht, bei einem hiesigen Produktenhändler zahlreiche Bronzekreuze, Ketten, Bronzebildnisse u. dergl. abzusetzen. Die Sachen sind von der Polizei beschlagnahmt und sichergestellt worden.

Neuköllner Tageblatt, Sonntag, 06.08.1922
Britz. Die Hauptstraße unseres Ortes, die Chausseestraße, (heute Britzer Damm) befindet sich seit längerer Zeit in einem schauderhaften Zustande. Der Asphaltbelag weist auf der ganzen Straßenstrecke zahlreiche tiefe Löcher auf, die den Fuhrwerksverkehr gefährden und in der Dunkelheit schon manchem Radfahrer gefährlich geworden sind. Es wird höchste Zeit, daß sich das Bezirksamt einmal mit diesen unhaltbaren Zuständen befaßt und wenigstens die allernotwendigsten Reparaturen ausführen läßt.

Neuköllnische Zeitung, Dienstag, 08.08.1922
Trauerfeier für Minna Cauer. Gestern nachmittag fand für die verstorbene Führerin der modernen Frauenbewegung, Minna Cauer, im Krematorium in Wilmersdorf eine Trauerfeier statt. Die kleine Kapelle konnte kaum die Leidtragenden fassen. In einem Hain von frischen Blumen, Blattpflanzen und den zahlreichen Kranzspenden, unter denen sich Gewinde von Frauenvereinen, weiblichen Angestellten= und Beamtenvereinen sowie der Mutter des ermordeten Außenministers Dr. Rathenau befanden, war der Sarg aufgebahrt. Nach einleitendem Harmoniumspiel würdigte Pfarrer Nithack=Stahn die Dahingeschiedene als eine Kämpferin für die Rechte der Unterdrückten, die in ihren Bestrebungen eine Politik des Herzens verfolgt habe. Nach dem Segen des Geistlichen sank der Sarg unter den Trauerweisen des Philharmonischen Streichquartetts in die Tiefe.

Neuköllnische Zeitung, Mittwoch, 09.08.1922
Freiwillig zur Strafverbüßung gestellt. Einen nicht alltäglichen Wunsch äußerte der 25 Jahre alte Anstreicher Willi L. Er erschien im Polizeipräsidium und gab an, daß er noch eine Gefängnisstrafe von 27 Tagen zu verbüßen habe, die er jetzt gern absitzen möchte. Die Polizeiverwaltung, die seinem Wunsche nicht unsympatisch gegenüberstand, schaffte sofort die betreffenden Akten herbei. Doch diese besagten, daß L. nicht vier Wochen, sondern vier Monate Gefängnis als Sühne für einen verübten Diebstahl zu verbüßen hatte. Wohl oder über muß er nun auch diese Strafe auf sich nehmen.

Neuköllner Tageblatt, Freitag, 25.08.1922
Rücksichtsloses Vorgehen gegen die Autoraserei. In letzter Zeit haben sich die Unglücksfälle und Zusammenstöße im Kraftwagenverkehr, größtenteils herbeigeführt durch zu schnelles und rücksichtsloses Fahren der Führer, derart gehäuft, daß sich der Polizeipräsident gezwungen sieht, rücksichtslos gegen das zu schnelle Fahren vorzugehen. Er hat eine Verfügung dahin erlassen, daß bei Ueberschreitung der Geschwindigkeit von 40 Kilometer im ersten Falle neben einer Bestrafung mit 200 Mark die Entziehung des Führerscheins angedroht, im zweiten Falle neben einer Bestrafung mit 300 Mark der Führerschein entzogen wird. Beim Fahren mit einer Geschwindigkeit von über 55 Kilometer wird bereits im ersten Falle sofort der Führerschein entzogen, wozu eine gleichzeitige Bestrafung mit 300 Mark tritt. Der Führerschein wird auch dann sofort entzogen, wenn bei einem Zusammenstoß oder bei Ueberfahren einer Person festgestellt ist, daß der Unglücksfall durch zu schnelles Fahren oder sonstiges Verschulden herbeigeführt worden ist.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1922 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Minna Cauer

Eine Kämpferin für die Rechte der Frauen

Minna Cauer    Foto:historisch

Minna Cauer wächst in einem ländlichen Pfarrhaus in der Ostprignitz auf. Mit 21 Jahren heiratet sie den Arzt August Latzel. Nach dessen Tod 1866 beginnt sie eine Lehrerausbildung und arbeitet anschließend in Paris, dann in Hamm, wo sie Eduard Cauer, einen Befürworter einer Reform der Frauenbildung, kennenlernt. Nach der Heirat 1869 geht sie mit ihm nach Berlin, wo er eine Stelle als Schulrat antritt.
Minna Cauer ist erst vierzig, als ihr zweiter Mann nach zwölfjähriger Ehe 1881 stirbt. Seit dieser Zeit widmet sich Minna verstärkt geschichtlichen Studien über bedeutende Frauenpersönlichkeiten. Sie wird zu einer vehementen Streiterin für die Gleichstellung der Frau in Beruf und Politik, für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Verbesserung der sozialen Lage alleinerziehender Mütter.
Um die Gleichberechtigung der Frauen voranzutreiben, gründet Minna im Jahr 1888 in Berlin den Frauenhilfs- und Solidaritätsverein »Frauenwohl«, der unter anderem Bildungskurse und eine Stellenvermittlung für Frauen anbietet. Ihrem Einsatz sind auch die ersten Gymnasialkurse für Frauen in Berlin zu verdanken, die ab 1896 den Mädchen zum ersten Mal in Deutschland das Abitur ermöglichen.
Die von ihr ab 1895 herausgegebene Zeitschrift »Frauenbewegung«, in der sie sich zum Beispiel mit der Stellung der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch und dem Frauenstimmrecht befasst, wird zu einem wichtigen Sprachrohr der Frauenbewegung.
Als Voraussetzung für die Verbesserung der Frauenrechte erachtet Cauer das demokratische Wahlrecht. Deshalb wird sie 1902 Vorsitzende des »Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht«. Den Höhepunkt ihres unermüdlichen Wirkens für die Frauenbewegung bildet vermutlich die Einführung des gleichen, geheimen, direkten und allgemeinen Wahlrechts im Jahr 1918 .
Am 3. August 1922 stirbt Minna Cauer 81jährig in Berlin infolge einer Herzattacke. Ihr Ehrengrab befindet sich auf dem alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg.

mr