Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung, Mittwoch, 12.07.1922
Das Ende des Zeitungsstreiks. Der Streik in den Berliner Druckereien, der für die Oeffentlichkeit in erster Linie ein „Zeitungsstreik“ gewesen ist, hat gestern nach zwölftägiger Dauer sein Ende gefunden. Der Ausgleich zwischen der Arbeitgeberschaft und der Gehilfenschaft wurde erst durch den Reichstarifausschuß geschaffen, der in Leipzig zusammengetreten war. Die Berliner Verhandlungen zwischen den Kreisinstanzen konnten selbst unter dem Einfluß des Reichsarbeitsministers keinen Frieden schaffen. Es handelte sich bei dem Konflikt um Lohnforderungen der Arbeiterschaft; aber nicht dieser materiellen Frage wegen, sondern da grundsätzliche Auffassungen über Tarifrecht von Arbeitgeberseite geltend gemacht wurden, war die Einigung außerordentlich erschwert. Die Forderungen wurden bewilligt. Die Arbeit wurde heute überall wieder aufgenommen.

Neuköllner Tageblatt, Donnerstag, 3.07.1922
Freibad Neukölln. Unser Schiffahrtskanal wird insbesondere auf der Strecke zwischen der Wildenbruchbrücke und der Treptower Brücke allabendlich von der männlichen Jugend als Freibad benutzt, welche die Böschungen als Entkleidungsstätte benutzt und sich dann im Wasser vergnügt. Das Baden erreicht meist erst nach Eintritt der Dunkelheit sein Ende. Zahlreiche Passanten schauen von den beiden Uferstraßen aus dem lustigen Treiben zu und üben ihre Kritik an den Leistungen der Schwimmer und Badenden.

Neuköllner Tageblatt, Donnerstag, 20.07.1922
Achtung, Radfahrer! In den letzten Wochen sind so zahlreiche Verunglückungen radfahrender Personen vorgekommen, daß die Warnung am Platze ist, in verkehrsreichen Straßen langsam zu fahren und auf keinen Fall in fliegender Hast von einer Straße in die andere einzubiegen. Schienen der Straßenbahn dürfen nicht zu schräg, sondern möglichst rechtwinklig überfahren werden. Da Viele zur Ersparung von Fahrgeld ein Rad benutzen, und des Fahrens und aller Gefahren wenig kundig sind, sollten sie vor allem langsam fahren und Obacht an verkehrsreichen Stellen geben.

Neuköllner Tageblatt, Donnerstag, 20.07.1922
50=Jahrfeier am Jahndenkmal in der Hasenheide. Zum Gedächtnis der vor 50 Jahren erfolgten Enthüllung des Jahndenkmals findet am Sonntag, den 18. August d. J. Auf dem Turnplatz in der Hasenheide eine Erinnerungsfeier, verbunden mit der Auskämpfung des Schenkendorf=Wanderpreises statt. Nachmittags 5 Uhr findet die Gedächtnisfeier am Denkmal statt, zu der staatliche und städtische Behörden ihr Erscheinen bereits zugesagt haben; ebenso der Vorstand der Deutschen Turnerschaft.

Neuköllner Tageblatt, Freitag, 21.07.1922
»Frisches Wasser! Trockene Brötchen!« Ein Erlaß des Reichsverkehrsministers verpflichtet die Bahnhofswirte, in Zukunft neben den üblichen Reiseerfrischungen auch frisches Trinkwasser und trockene Brötchen zu führen und anzubieten, damit auch minderbemittelte Reisende die Möglichkeit haben, unterwegs Erfrischungen zu sich zu nehmen. Die Bahnhofswirtschaften sind gehalten, diese einfachen Erfrischungen zu billigen Preisen abzugeben, und bei der ständig wachsenden Benutzung der vierten Klasse wird dieser Erlaß des Reichsverkehrsministers zweiffellos als eine verständnisvolle Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der meisten Reisenden begrüßt werden.

Neuköllner Tageblatt, Dienstag, 25.07.1922
Was kostet eine Kaffeebohne? Wenn einen früher jemand so gefragt hätte, würde man darin einen Scherz gesehen haben. Heute ist eine solche Frage eine ganz andere Sache. Früher kaufte man ein Pfund gebrannten Kaffee für 1-2 Mark. Jetzt bekommt man für eine Mark ungefähr 22 Kaffeebohnen. Auf ein Pfund gehen nämlich reichlich 2500 Bohnen, das macht für die einzelne Kaffeebohne, wenn man den gegenwärtigen Preis von ungefähr 110 – 124 Mark zugrunde legt, etwa 4,5 Pfg. Auch diese Zahl gibt ein treffliches Bild von unserer Geldentwertung.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1922 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Frisch, fromm, fröhlich, frei

Die internationale Turnerschaft huldigt ihrem »Vater« mit einem Denkmal

Streng blickt der »Turnvater« von seinem Sockel in der Hasenheide herab.
Am 19. Juni 1811 eröffnete Friedrich Ludwig Jahn hier den ersten öffentlichen Turnplatz.Gymnasiasten und Lehrburschen trafen sich, hier zum Springen, Laufen, Ringen. Die Äste einer über 250 Jahre alten Eiche sollen für Klimmzüge und Reckübungen gedient haben.

Turnvater Jahn.    Foto:mr


Preußen und die deutschen Kleinstaaten waren zu dieser Zeit von napoleonischen Truppen besetzt, und Jahn, der in der deutschen Nationalbewegung aktiv war und einen entschiedenen, völkischen Nationalismus vertrat, verfolgte mit seiner »vaterländischen Turnerey« das Ziel, die jungen Männer auf den Krieg gegen die napoleonische Besatzungsmacht vorzubereiten, soziale Schranken sollten dabei keine Rolle spielen.
Unter dem Motto »Frisch, fromm, fröhlich, frei« griffen in der Folge immer mehr Männer zur Hantel oder ans Klettergerüst. Zwischen 1814 und 1817 turnten bereits 12.000 Anhänger Jahns auf den Turnplätzen von 150 Ortsvereinen.
Anlässlich des fünfzijährigen Bestehens des Turnplatzes und des zweiten Deutschen Turnfestes wurde am 10. August 1861 am Ausgangsort der Bewegung der Grundstein für das Jahn-Denkmal gelegt.
Ausgeführt wurde der Entwurf des damals noch unbekannten Berliner Bildhauers Erdmann Encke, die Ausführung übernahm die Bronzegießerei von Hermann Gladenbeck. Turnvereine und Bürger aus aller Welt spendeten 14.869 Taler und stifteten 139 Steine mit und ohne Inschriften, die in den Sockel und den Hügel des Denkmals eingearbeitet wurden. In den unterschiedlichsten Formen und Größen sind hier Tafeln aus dem Teutoburger Wald und aus New York, aus Melbourne und Bielefeld angeordnet.
Am 10. August 1872 wurde das Denkmal mit dem vier Meter hohen Standbild von der Deutschen Turnerschaft eingeweiht. mr