Mit dem Ufo in Neukölln

Abenteuer eines Außerirdischen von Fred Haase

Ein sonniger Frühlingstag in Berlin-Neukölln. Buschko, der Außerirdische vom Planeten Brixbururi, landet in seinem schimmernden UFO. Er ist ein großer Teddybär-Typ mit drei Augen und langen Beinen. Der silbrig glänzende Schalk-Revers-Anzug aus Nylon, Dacron und Mylar steht im Paradox zu seiner blauen Haut. An seinem Gürtel aus Rhodium mit Strahlenwarnzeichen hängen als Accessoires Kabel und Stecker.

Illustration: Felina Matzdorf

Er hat eine Mission: Neukölln und seine Leute zu erforschen. Nach ewiger Parkplatzsuche landet er sein Raumschiff seufzend im Halteverbot und staunt sofort über die Vielfalt und Aktivität der Menschen im angrenzenden Park. Einige rennen herum, drei Männlinge laufen schwitzend an Stöcken durch den Park, sechs streiten um eine rollende Kugel. Die aufgedruckten Namensschilder auf ihrer Kleidung verraten ihre Namen: Adidas oder Puma. Andere Erdlinge führen beim Gehen Selbstgespräche oder starren auf Geräte in ihrer Hand.
Buschko wundert sich über die Dekoration der Rasenflächen – Plastikflaschen, Papiertüten, Einweggrills. Es erinnert ihn an das 3,26 Quadratmeter große Gemälde, Boomerstil mit Leimöl auf Ton, das »PISA-TEST« heißt und im Museum »Quarks Schöpfergeist« auf Brixbururi hängt.
Zu Buschkos Freude wirken viele der Parkbesucher entspannt, besonders die kleinen Erdlinge. Sie halten in ihren klebrigen Händchen die bunten Erzeugnisse der Süßwarenindustrie. Als er den Park verlässt, schenkt ihm ein junger Mann mit einem Lächeln eine kleine Plastiktüte mit weißer Substanz. Das freut den außerirdischen Besucher sehr.
Neugierig schlendert er weiter und sieht Menschen, die versuchen, mit zwei- oder dreirädrigen Fahrzeugen ihre Transportprobleme zu lösen. Diese sind beladen mit Kindern, Lebensmitteln oder kleinen Fellwesen. Zielstrebig bahnen sie sich temporeich ihren Weg durch Fußgängerrudel, die bewegungshungrig durch leichte Sprünge den notwendigen Platz freimachen. Buschko ist fasziniert von dieser Performance, die zudem durch laute Ausrufe, vermutlich Komplimente, zusätzliche Reize hat.
Buschko schlendert interessiert weiter durch stark frequentierte Straßen und staunt über riesige Blechkisten auf vier Rädern, die das Straßenbild beherrschen. Menschen nutzen diese Vier-Tonnen-Monster, um 60 bis 120 Kilogramm schwere Besitzer herumzukutschieren, liest er in seinem Reiseführer. »Vielleicht vermissen sie die Mammuts«, denkt er und schmunzelt gleichzeitig als Beobachter des Body-Mass-Indexes der Menschenmassen, die an ihm vorbeiziehen. Sie tragen XYZ-T-Shirts mit Aufschriften wie »süßer Moppel«, »stabiler Pummel« oder einfach »Fass«.
Plötzlich entdeckt Buschko auf einer Bank eine Gruppe mit farbigen Markierungen auf ihrer Haut. Diese scheinen eine Art persönlicher Geschichtsschreibung zu sein, wobei die Geschichten oft kryptisch oder unverständlich sind. Er ist neugierig und setzt sich zu ihnen. »Nice ink!« sagt einer der Männlinge und zeigt auf Buschkos blaue Haut. Er lächelt: »Thanks, it‘s natural!« Die Gruppe lacht, und er fühlt sich willkommen. In einer Seitenstraße tritt er in eine braune Masse, die streng riecht. »Ah, Neuköllner Reviermarkierung«, denkt er, wie im Zoo von Brixbururi. Das muss er seinem Heimatplaneten berichten, aber das Internet hier ist wackelig. »Komisch, Deutschland soll doch eine Top-Wirtschaftsnation sein«, wundert er sich.
Buschko ist begeistert von der Großzügigkeit der Neuköllner. Überall stehen kostenlose Gegenstände zum Mitnehmen auf den Gehwegen: Waschmaschinen, Stühle, Bücher, manchmal nur ein Schuh. Zurück bei seinem Raumschiff findet er einen Strafzettel an der Antenne. »Parken im Parkverbot, kein Kennzeichen und keine ASU«, übersetzt sein Gerät. Ein schönes Souvenir, denkt er.
Trotz der kuriosen Erlebnisse liebt Buschko Neukölln und seine bunten, lebhaften Bewohner. »Die Neuköllner sind echt einzigartig«, denkt er. Kaum einer hat ihn wegen seiner blauen Haut oder seiner drei Augen komisch angeschaut. Lautlos hebt sein silbernes Raumschiff in den Berliner Nachthimmel ab. Er kann es kaum erwarten, seinen Freunden auf Brixbururi von seinen Abenteuern in Neukölln zu erzählen.