»Shed« – Trendgastronomie in altvertrauten Räumen
Einige schmerzliche gastronomische Verluste altgedienter Institutionen hatte der Reuterkiez in den letzten Monaten zu verzeichnen. Auf der Pannierstraße klemmte Wirt Peter die stets gut durchspülten Zapfhähne seines »Dunmore Cave Pub« ab, das »Julini« stellte seine kreative, alpin beeinflusste Rustikalküche ein, das über die Jahrzehnte etwas abgenutzte »La Musica« mit seiner günstigen, hipsterfreien, familienfreundlichen Cucina schloss. Im prächtigen Altbau auf der Friedel- Ecke Weserstraße lief die Pacht für die feinen katalanischen Tapas des »Txokoa« und die griechischen Meze für »Blaue Tische« aus und auch den geräumigen italienischen Imbiss »Pizza a Pezzi« gibt es am Reuterplatz nicht mehr.
In den Eckräumen des »La Musica« haben sich die Macher des Hotspots für neapolitanisch gebackene Hanfteigfladen, des »W Pizza« am Weigandufer, ein paar Ecken weiter, seit Januar ein neues zusätzliches Domizil geschaffen – als selbstdefinierte »Nachbarschafts-Weinbar mit Essen«. Im Januar 2020 haben die Besitzer Darius Suski und Łukasz Sołowiej ihr »Shed«, englisch für Stall oder Schuppen, eröffnet. Unscheinbar von außen, in sparsamem, graubetonten Bistrostil, jedoch nicht ungemütlich eingerichtet. Statt mit Bildern mit einigen Wandteppichen sowie getrockneten Gräsern und Zweigen ist alles dezent ländlich dekoriert.
Naturweine, Pet Nats (in der Flasche durchgegorene, trockene Naturperlweine), Champagner und mehr sprechen wohl eher einkunftsstärkere neue Nachbarn an. Doch die kenntnisreiche Weinauswahl (das offene Achtel allerdings für mindestens 4,50 Euro), der freundliche Service, die reduzierte, unaufgeregte Einrichtung und die sechs gezapften Biere (darunter Ducksteiner, belgisches Grimberger oder italienisches Poretti Lager) sind nicht 08/15. Je über gut 20 rote und weiße Weine aus Frankreich, Spanien, Italien, Südafrika, Österreich, Deutschland und auch Kroatien und Rumänien hält die Karte ab 25 Euro die Flasche für Entdeckungs-, Beratungs- und Spendierfreudige parat. Dass Lambrusco längst keine süß-billige Prickelbrause mehr ist, lässt sich hier eindrucksvoll lernen.
Für den jeweiligen Hunger oder das kulinarische Tête-à-tête gibt es Austern, saftig-mürbes Pastrami im Brioche-Sandwich, Raclettekäse auf Sauerteigbrot, gegrillten Oktopus, »dry aged« Tafelspitz oder deftige Wurst- und Käsebretter. Das »Shed« zeugt, wie schon diverse jüngere neue Weinbars in Nordneukölln, vom neuen Weininteresse und den kulinarischen Vorlieben der heutigen Gastronomiegeneration vor und hinter dem Tresen, unkompliziert, jedoch mit Anspruch und Produktbewusstsein.
hlb
Shed Wine Bar + Food, Pannierstr. 24, Mi – Sa 18:00 – 0:00 Uhr, Instagram: Shed_berlin