Geisterräder erinnern an verunglückte Radfahrer
Hermannstraße, Ecke Kienitzer Straße – ein weißes »Geisterfahrrad« liegt auf dem Asphalt, daneben Blumensträuße und brennende Grablichter. Hier hat sich zwei Tage zuvor, am 13. Juni, der schwere Unfall ereignet, bei dem ein 55-jähriger Radfahrer den Tod fand. Ein Autofahrer, der dort im absoluten Halteverbot stand, hatte achtlos die Tür aufgerissen. Der vorbeifahrende Radler prallte dagegen und zog sich bei dieser Kollision so schwere Kopfverletzungen zu, dass er am Tag darauf im Krankenhaus verstarb.
Rund 250 Menschen haben sich am Unfallort, an dem die Markierungen der Polizei noch deutlich zu erkennen sind, zu einer Mahnwache eingefunden. Gemeinsam mit den Angehörigen wollen sie des Verstorbenen gedenken und gleichzeitig von der Politik bessere und sichere Radwege fordern. Sie haben sich still auf die Straße gesetzt, ihre Fahrräder neben sich gelegt. Auch Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey ist gekommen, um der Familie ihr Beileid auszusprechen.
Sie sei sich bewusst, dass es derzeit »absolut suboptimal« sei, mit dem Fahrrad auf der Hermannstraße unterwegs zu sein, sagt sie am Rande der Veranstaltung. »Es ist viel zu eng und viel zu voll«. Wie an diesem Zustand etwas geändert werden könne, müsse anhand einer Machbarkeitsstudie überprüft werden. Da die Hermannstraße aber eine Straße von gesamtstädtischer Bedeutung sei, deren Gestaltung nicht in der Befugnis des Bezirks liege, könnten Änderungen nur mit Hilfe der Berliner Verkehrslenkung herbeigeführt werden.
Für die Nebenstraßen dagegen habe der Bezirk sechs Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren eingeplant, um sie für den Radverkehr attraktiver zu machen. Um hier vorwärts zu kommen, seien zudem zwei Radwegeplaner eingestellt worden.
Zur Mahnwache aufgerufen hatte der »Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club« (ADFC) und das »Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln«.
Am Ende der Veranstaltung wurde das Fahrrad, versehen mit einem Bild des Verunglückten und dem Datum des Unfalls auf dem Gehweg aufgestellt zur Mahnung und Erinnerung.
Die ersten komplett weißen Mahnräder wurden 2003 in St. Louis, Missouri (USA) von Freiwilligen an jenen Stellen des Straßenrandes postiert, wo Fahrradfahrer in Folge von Verkehrsunfällen getötet wurden. Neben der Markierung als Gedenkstätte sollten sie auch auf diesen Gefahrenpunkt hinweisen und so jeden Verkehrsteilnehmer zu Vorsicht und Rücksicht mahnen. Ganz in Weiß tragen sie eine Plakette mit dem Alter des Opfers und dem Tag des Unfalls.
Inzwischen gibt es die Geisterräder in 28 Ländern. Wo sie stehen, ist auf ghostbikes.org dokumentiert. Der AFDC griff 2009 diese Idee auch für Berlin auf. Den Ausschlag gab der Tod von elf Fahrradfahrern im Jahr 2008 allein in Berlin. Ab 2010 zogen andere ADFC-Ableger in weiteren Städten Deutschlands nach.
Der Pressesprecher des ADFC Berlin, Andreas Linke, erklärte, dass der Verein die Geisterräder nur von Mai bis November dort aufstellt, wo im Jahr zuvor Radfahrer verunglückten und das, obwohl in Berlin eigentlich ganzjährig Fahrrad gefahren wird. Der ADFC begründet seine saisonale Unfallortsmarkierung mit Organisations- und Wartungsarbeiten. Die weißen Mahnräder stammen aus Spenden und werden ehrenamtlich von Mitgliedern zu Geisterrädern umgewandelt und später auch betreut.
Jedes Mahnrad braucht eine Genehmigung der Bezirke, aber nicht jeder ist mit dieser Aktion einverstanden. Daher kommt es gelegentlich zu Vandalismus oder gar zum Diebstahl ganzer Räder.
Neu seit diesem Jahr sind die zeitnah organisierten Mahnwachen mit sofortiger Aufstellung eines Geisterrades. In diesem Frühjahr wurden 17 Geisterräder aufgestellt. Soviel tote Radler verzeichnete Berlin seit 2003 nicht mehr. Auch Neukölln bekam nun schon sein zweites Geisterrad. Verkehrstechnische Änderungszusagen aus der Politik werden noch nicht wirklich umgesetzt. Deshalb mahnen diese Räder die Bezirke, endlich die Sicherheit der Radfahrer ernst zu nehmen und sie wirkungsvoller zu schützen.
mr/rr