Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Nr. 106 – Dienstag, 8. Mai 1917
Bettwäsche für »Stadtkinder auf dem Lande«. Die Reichsbekleidungsstelle teilt mit: Die besonders in Stoffen für Bettwäsche herrschende Knappheit gestattet es nicht, für Stadtkinder, die zur besseren Ernährung auf das Land geschickt, dort also nur zeitweilig beherbergt werden, Bettwäsche zu ihrer Unterbringung neu zu bewilligen. Es ist darauf hinzuwirken, daß die Kinder aus den vorhandenen Beständen des Beherbergenden versorgt werden oder die Angehörigen der Kinder die für diese vorhandene Bettwäsche mitgeben oder nötigenfalls nachsenden.
Nr. 107 – Mittwoch, 9. Mai 1917
Kriegsunbrauchbar. Durch Erlaß des Kriegsministeriums ist die Bezeichnung »arbeitsverwendungsunfähig« durch den Gebrauch »Kriegsunbrauchbar« ersetzt worden.
Nr. 110 – Sonnabend, 12. Mai 1917
Eine originelle Straßenszene spielte sich gestern vormittag gegen 12 Uhr in der Nähe der städtischen Fischhalle in der Bergstraße ab. Ein mit kleinen Kisten hochbeladenes Fuhrwerk der Firma Richard Heinrich fuhr seines Weges dahin, als plötzlich die Ladung ins Schwanken geriet und ein Teil der Kisten unter heftigem Gepolter auf den Straßendamm fiel. Dabei zersprangen einige Kisten und ihr Inhalt – prächtiger Zucker – lag auf dem Fahrdamm. Im Nu umstanden zahlreiche Kinder und Frauen die Unfallstelle und wären gern bereit gewesen, den süßen Straßenbelag aufzulesen. Aber ebenso schnell waren auch Angestellte der Firma und ein Schutzmann zur Stelle, welche mit Argusaugen den Zucker bewachten, der von den Angestellten der Firma Heinrich schleunigst in Sicherheit gebracht wurde. Etliche Jungen hatten aber doch das Glück, einige Zuckerstückchen heimlich zu erhaschen, mit welchen sie sich frohlockend eiligst davonmachten.
Nr. 115 – Sonnabend, 19. Mai 1917
Hunde an die Front! Wiederum benötigt die Armee Hunde im Alter von 4–6 Jahren, Rüden und Hündinnen, die kostenlos abgegeben werden, gesund, schnell, scharf und nicht scheu sind. In Frage kommen nur Schäferhunde, Dobermannpinscher, Airedaleterrier und Kreuzungen dieser Rassen. Die Hunde werden durch Fachdresseure sorgsam ausgebildet, aufs beste gepflegt und gefüttert; sie dienen zur Sicherung der kämpfenden Truppe, der sie gleichzeitig erhebliche Diensterleichterungen schaffen. Nach Kriegsschluß werden die Hunde, wenn sie am Leben bleiben, ihren früheren Besitzern kostenlos wieder zugestellt. Jeder Besitzer oben angeführter Rassen, der dem Vaterlande dienen will, melde seinen Hund sofort bei der Meldestelle Berlin für Kriegshunde, Kurt Fröbus, Berlin W. 62, Bayreuther Str. 3.
Nr. 120 – Freitag, 25. Mai 1917
Eine Mahnung zur Vorsicht bietet folgender Vorfall: Ein zehnjähriger Junge wurde am Mittwoch abend gegen 7 Uhr von seiner Mutter nach Brot geschickt und als der Junge nun wohlgemut mit den gekauften zwei Broten der elterlichen Wohnung zueilte, wurden ihm von einer Frau in mittleren Jahren in der Münchener Straße die Brote entrissen und er hierbei mit rauher Gewalt gegen einen Laternenpfahl gestoßen, so daß er taumelte und niederfiel. Ehe sich der Junge aufrichten konnte, war die Frau, in deren Begleitung sich ein halbwüchsiger Junge befand, davongeeilt. Die aufgenommene Verfolgung, an der sich auch einige hinzugeeilte Erwachsene beteiligten, war leider erfolglos. Es dürfte sehr angebracht sein, zum einholen von Brot keine Kinder zu benutzen, die sich bei solchen Vorkommnissen nicht nachhaltig wehren können, denn Hunger tut weh und treibt so manchen Menschen, wie dieser Fall zeigt, zu Gewalttaten.
Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1916 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.
Kamerad Hund
Vierbeiner im Dienst fürs Vaterland
Kriege machen auch vor Tieren nicht halt. Mehrere Millionen Tiere wurden im Ersten Weltkrieg eingesetzt. Sie waren auf den Schlachtfeldern oft unverzichtbare Helfer. Vor allem Pferde, Hunde und Brieftauben waren für die Armeen im Einsatz.
Als besonders flexibel galt der beste Freund des Menschen: der Hund. Etwa ab 1900 entwickelten die meisten europäischen Mächte eigene militärische Aufgaben für Hunde. Mit etwa 6000 ausgebildeten Hunden verfügte Deutschland 1914 über die größte einsatzbereite Hundearmee der Welt. Doch die Hunde reichten schon bald nicht mehr aus. Seit Januar 1915 ergingen in den Tageszeitungen immer wieder Aufrufe, Hunde und Geld der patriotischen Sache zur Verfügung zu stellen.
Jeder tierische Rekrut wurde sorgfältig getestet und tierärztlich untersucht, denn die Tiere mussten ganz besondere Anforderungen erfüllen, um mit dem harten Kriegsalltag und den Bedingungen an der Front umgehen zu können. Vorausgesetzt wurden Wendigkeit, Schnelligkeit und Ausdauer. Auch ein wärmendes Fell war wichtig, da sie mit jeglichen Witterungsbedingungen zurechtkommen mussten. Zudem wurden Gehorsam, Mut, und Schussfestigkeit vorausgesetzt.
Die Aufgaben der tierischen Helfer waren vielfältig. Sanitätshunde trugen Erste-Hilfe-Material und spürten während der Gefechtspausen Verwundete auf den Schlachtfeldern auf. Für viele verletzte Soldaten waren die Vierbeiner Lebensretter. Daneben kamen vor allem den Meldehunden wichtige und lebensrettende Aufgaben zu. Im Trommelfeuer der Geschütze leisteten sie als Nachrichtenübermittler wertvolle Dienste. Sie mussten kilometerlange Wege zurücklegen – bei Unwetter, im Schlamm und unter Granatbeschuss, um die Kommunikation zwischen den Schützengräben oder zwischen Front und rückwärtigen Stellungen aufrecht zu erhalten. Außerdem verlegten sie mit einem speziellen Geschirr Telefonkabel und zogen Karren mit Post, Munition, Verpflegung und Waffen.
mr