Distanzierte Kommunikation

Ein Kommentar von Matthias Ehrhardt

Kommunikation steht im Zentrum unseres sozialen Handelns. In den vergangenen Monaten haben wir eine Transformation dieses Handelns erlebt. Kommunikation ist, für den Moment zumindest, distanzierter, ichbezogener denn je.
Distanz kann hierbei auf zwei Arten verstanden werden. Zum einen müssen wir aufgrund von Sicherheitsbestrebungen räumliche Abstände einhalten. Zum anderen ergibt sich daraus die Möglichkeit einer tatsächlichen »sozialen Distanzierung«, nämlich in Bezug auf unser Verhalten.

Keine Kommunikation.     Foto: me

In unseren kleinen sozialen Einheiten wie Familie, Freundeskreis und Arbeit wird im Moment computergestützte Kommunikation genutzt. Was fällt bei einem Zoom-Call auf? Eine Person spricht. Alle anderen hören zu oder tun so als ob. Unterbrechungen stören so sehr, dass Gespräche zum Erliegen kommen, der gegenseitige Austausch ist frei von Dynamik. Ein Vorteil davon ist wiederum ein effizienter Informationsfluss.
Diskurse haben hierbei allerdings keine große Chance zur Entfaltung. Während zwei bis drei Teilnehmende Diskussionen anstoßen, wandern die Blicke vieler anderer durch die Privaträume ihrer Kollegen und huch, was war das denn für eine süße Katze, und seit wann hat Inge denn so eine tolle Espressomaschine?
Als Instrument sozialer Interaktion ändert sich Kommunikation drastisch mit der Entfernung zueinander und der Art, wie Informationen mitgeteilt werden. Der Stammtisch geht anders miteinander um als das Internetforum. Sitzen wir zusammen, dann sprechen wir, zeigen Mimik und Gestik und kommunizieren auf vielen Ebenen. Das verbindet uns, weil wir Einblicke in unsere Gefühlswelten schaffen. Am Stammtisch wird ein Streitgespräch über das Versagen des Lieblingsvereins offen ausgetragen und im Anschluss ein Bier gekippt. Im Internet passiert das nicht. Hier greifen Filterblasen, Zugehörigkeit, gleiche Meinungen und das »Ich«.
Wir wenden uns ab vom Kollektiv, vom zusammen nach Lösungen suchen und hin zum Konnektiv. Wir suchen Verbindungen mit Gleichgesinnten und schaffen uns den Platz für unsere Meinung. Ist das problematisch? Nicht immer. Durch diese eher losen Bindungen und die Bestärkung individueller Bedürfnisse haben wir dank des Internets ein großartiges Instrument zur Mitbestimmung und Gestaltung.
So ein Spielraum bedeutet aber auch eine gewisse Verantwortung. So isoliert wir auch sein mögen, wir müssen unsere Meinungen hinterfragen und abwägen. Sich sein eigenes Bild von der Welt zu machen ist gut, nur steht unser aller Wohl immer vor dem Eigenen oder dem einer kleinen Gruppe. Das »Wir« macht uns stark. Ich schlage deshalb »distant socializing«, statt »social distancing« vor – entfernt und doch zusammen, statt zusammen vonein­ander entfernt.

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