Petras Tagebuch

Wirkungslose Patientenverfügung

Bis November letzten Jahres wohnte meine Schwester auf Usedom. Sie hatte sich vor etwa zehn Jahren dazu entschlossen, weil das dortige Klima ihrer Gesundheit sehr entgegen kam.
Mit ihren 78 Jahren entschloss sie sich dann, nach Bad Reichenhall an der österreichischen Grenze zu ziehen. Sie hatte eine schöne Wohnung gefunden, traf sehr nette Menschen und fing wieder an, Pläne zu schmieden.
Sie wollte sich auch mehr um ihre Gesundheit kümmern und suchte einen Arzt auf. Mit der Diagnose, die sie sich anhören musste, begann eine unsägliche Geschichte. Ihr wurde erzählt, dass sie eine schwerkranke Frau sei und sich einer Herzuntersuchung unterziehen solle. Am Abend vor dem Eingriff erzählte sie mir, dass sie eine Patientenaufklärung unterschreiben musste und sagte: »Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich mit einer solchen Untersuchung so viele Risiken, die mein Leben beenden könnten, eingehe.«
Ich machte mir Sorgen. Das half allerdings nichts. Es kam, wie meine Schwester befürchtete. Während der Behandlung hatte sie einen Herzinfarkt, und die Ärzte mussten Erste Hilfe leisten. Dazu wurde ein Spezialist aus Traunstein eingeflogen, der ihr Leben rettete und sie mit nach Traunstein nahm. Meine Tochter und ich wurden über den kritischen Zustand informiert. Ich setzte mich gleich am nächsten Tag in den Zug nach Traunstein. Dort traf ich meine Tochter, die mich mit der notariell beglaubigten Patientenverfügung meiner Schwester erwartete. Die besagt, dass sie lebensverlängernde Maßnahmen wie Reanimierungen ablehnt.
Leider hatte meine Schwester auf einem Spickzettel am Abend vor dem Eingriff alle Vollmachten von mir auf meine Tochter übertragen, wohl, weil sie näher an Traunstein wohnt als ich.
Das wiederum nahmen die Anwälte des Krankenhauses zum Anlass, uns sämtlicher Vollmachten zu entheben. Es könnte sich ja um Erbschleicherei handeln.
Inzwischen ist meine Schwester, ungeachtet der Verfügung, mehrfach reanimiert worden, wurde von der Herzlungenmaschine abgemacht und aus dem künstlichen Koma geweckt, und die Patientenverfügung liegt beim Amtsgericht. Eine Entscheidung wurde noch nicht getroffen.
Nun ist meine Schwester halbseitig gelähmt, kann nur ja und nein sagen, ist orientierungslos. Das muss noch nichts bedeuten, denn Therapien können ihren Zustand noch lindern. Und dennoch: Es ist das passiert, was sie nie wollte. Sie wird zum Pflegefall.