Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllner Tageblatt – Donnerstag, 4. 12. 1919
Böswillige Alarmierung der Feuerwehr. Am Dienstag abend gegen 9 Uhr wurde der Feuermelder auf der Schillerpromenade gezogen und der Feuerwehr ein Dachstuhlbrand gemeldet. Beide Löschzüge rückten sofort aus, doch erwies sich die Meldung als böswilliger Alarm, wie dies in letzter Zeit wiederholt der Fall gewesen ist. Leider ist es bisher noch nicht gelungen, den Urheber dieses schädlichen Streiches zu ermitteln.

Neuköllnische Zeitung – Sonnabend, 6.12.1919
Eine sechsköpfige Falsch­münzerbande ist von der Neuköllner Kriminalpolizei in Haft gesetzt worden. Unter ihnen befanden sich ein Lithograph, ein Schlosser, ein Techniker u. a. Die Falschmünzer haben sich ausschließlich auf die Fabrikation von gefälschten Zwanzigmarkscheinen gelegt und einen großen Teil davon in den Verkehr gebracht. Es konnten noch für 58 000 Mark falscher Zwanzigmarkscheine bei ihnen beschlagnahmt werden. Einem der Fälscher gelang es noch im letzten Augenblick, einen großen Posten der Falschscheine zu vernichten. Die Festgenommenen sind dem Gerichtsgefängnis zugeführt worden.

Neuköllner Tageblatt – Freitag, 12.12.1919
Die Namensstickerinnen, die bisher am schlechtesten bezahlt wurden, haben jetzt auch eine Verbesserung ihrer Löhne erreicht. Sie haben, vertreten durch den Gewerkverein der Heimarbeiterinnen Deutschlands, einen Tarifvertrag mit den Wäschegeschäften abgeschlossen, der ihnen einen den heutigen Lebensumständen angemessenen Verdienst sichert.

Neuköllnische Zeitung – Freitag, 12.12.1919
Eine wirkliche »Zeitungsente«. In verschiedene städtische Büros Berlins kam eine Händlerin mit geschlachteten Enten und bot dieselben das Pfund zu 9 M. an, was in dieser Zeit nicht zu teuer genannt werden kann. Natürlich fanden die Enten schnell und viel Abnehmer. Als aber die Beamten aus dem Dienst nach Hause kamen und die Enten geöffnet wurden, stellte sich heraus, daß sie mit Zeitungspapier, das in Wasser getränkt war, gefüllt waren. Lunge, Magen und Därme waren nach oben in den Brustkasten gedrückt und das Papier derartig fest eingepackt, daß jede Ente 600 Gramm Papier enthielt. Alles Fett war natürlich entfernt.

Neuköllner Tageblatt – Sonnabend, 13.12.1919
Einführung des Bürgermeisters Scholz. Anstelle des zum Bürgermeister gewählten Stadtv.=Vst. Scholz wurde Stadtv. Redakteur Karl Wermuth durch Zuruf zum Stadtverordneten=Vorsteher gewählt. Es folgte nunmehr die Einführung des neuen Bürgermeisters Scholz und der neugewählten Stadträte Lange und Dr. Fölsch. Zuvor verließen die Unabhängigen demonstrierend den Saal, was allgemeine Heiterkeit auslöste.

Neuköllnische Zeitung – Montag, 15.12.1919
Flüchtlingsbaracken auf dem Tempelhofer Feld. Der Wohnungsverband Groß=Berlin läßt gegenwärtig auf der Südseite des östlichen Tempelhofer Feldes an der Ringbahn eine Reihe von Holzbaracken aufführen, die zunächst etwa 200 Kleinwohnungen zur Aufnahme von Flüchtlingsfamilien enthalten. Es handelt sich um einfache Notbauten, die dem dringendsten Bedürfnis abhelfen sollen. In Groß=Berlin hat der Wohnungsverband außerdem zur Unterbringung der aus dem Osten geflüchteten Familien eine gleiche Siedlung in Adlershof angelegt wo Militärbaracken verwendet werden konnten. Eine weitere Siedlung soll auf dem freien Gelände an der Müllerstraße folgen. Der Flüchtlingszustrom nach Groß=Berlin hält trotz allen Warnungen und Vorstellungen an. Er beträgt noch immer 70-90 Familien täglich, die auf die einzelnen Gemeinden verteilt werden. Neben den Holzbaracken hat der Wohnungsverband eine große Anzahl von Holzhäusern mit Lehmstampffüllung in verschiedenen Teilen Groß=Berlins errichtet, die sich jetzt der Fertigstellung nähern. – Schon nach dem Kriege 1870-71 gab es während der Gründerzeit eine Barackenstadt auf dem Tempelhofer Feld.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1919 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek,
Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Alfred Scholz

Letzter Bürgermeister der Stadt Neukölln und erster Neuköllner Bezirksbürgermeister

Alfred Scholz. Foto: historisch

Alfred Scholz wurde am 15. Mai 1875 in Berlin geboren und lebte seit 1902 in Neukölln. 1919 wurde er zum ersten sozialdemokratischen Bürgermeister Neuköllns gewählt. Er folgte in diesem Amt auf Kurt Kaiser, der zum 1. Oktober 1919 zurückgetreten war, um den Posten des Generaldirektors der Bergwerke, Ziegeleien, Güter und industriellen Unternehmungen im Kreis Luckau, die der Stadt Neukölln gehörten, anzutreten.
Die »Neuköllnische Zeitung« schrieb über seine Einführung am 12. Dezember 1919: »Als Vertreter des Regierungspräsidenten ergriff Oberregierungsrat v. Bergenthal das Wort: Ihnen ist bekannt, welche tüchtige Kraft Sie in dem neuen Bürgermeister gewählt haben. Er hat als langjähriger Stadtverordneter und als Stadtverordnetenvorsteher Gelegenheit gehabt, tiefe Einblicke in die Kommunalverwaltung Neuköllns zu tun. Große Verdienste hat er sich um das Zustandekommen mancher Einrichtungen dieser Stadt erworben, z. B. um den Erwerb des Kohlenbergwerks.«
Da in seine Amtszeit die Gründung Groß-Berlins fiel, war er der letzte Bürgermeister der Stadt Neukölln und der erste Neuköllner Bezirksbürgermeister.
Alfred Scholz setzte sich besonders für eine bessere Gesundheitsfürsorge, ein gerechteres Bildungssystem, den Ausbau des U-Bahnnetzes und den sozialen Wohnungsbau ein.
Als SA-Männer am 5. März 1933 die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus Neukölln hissen wollten, protestierte er erfolglos dagegen. Zehn Tage später wurde er von den Nationalsozialisten abgesetzt und noch im selben Jahr aus dem Staatsdienst entlassen.
Am 2. November 1944 ist Alfred Scholz in Woltersdorf gestorben.
2014 wurde der »Platz der Stadt Hof« an der Karl-Marx-Straße zu seinen Ehren in »Alfred-Scholz-Platz« umbe­nannt.

mr