Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 209 – Freitag, 12. September 1919
Hilferufe durch Fernsprecher. Die Hilferufe durch Fernsprecher sind zunächst im Bereich der Fernsprechämter 1 und 2 in Charlottenburg (Fernsprech=Vermittlungsstellen Wilhelm und Steinplatz) eingeführt worden. Ein an diese Vermittlungsstelle angeschlossener Teilnehmer, der bei Einbruch, Ueberfall usw. polizeiliche Hilfe herbeirufen will, hat nur nötig, bei der Meldung der Vermittlungsbeamtin das Kennwort »Ueberfall« zu nennen. Er wird dann ohne weiteres mit der zur Hilfeleistung verpflichteten Stelle der Polizei verbunden, welcher er auf Meldung seine Wünsche mitzuteilen hat. Bei den übrigen Vermittlungsstellen Großberlins kann das Verfahren z. Zt. leider noch nicht eingeführt werden, weil die Umgestaltung der Polizei dies noch nicht gestattet.

Nr. 214 – Donnerstag, 18. September 1919
Neues über religiöse Feiern in der Schule. Der Unterrichtsminister hat in einem neueren Erlaß bestimmt, daß zu den Schulfeiern mit religiösem Charakter, an denen teilzunehmen Lehrer und Schüler nicht verpflichtet sind, auch die herkömmlich von der Schule veranstalteten Morgenandachten und Schulgottesdienste sowie Schulmessen gehören, gleichviel ob sie in der Schule selbst oder an Sonntagen abgehalten werden. Schüler, die vom Religionsunterricht befreit sind, brauchen daran nicht teilzunehmen. Auch die übrigen Schüler sind nicht durch disziplinarische Mittel zum Besuch dieser kirchlichen Veranstaltungen anzuhalten. Die Befreiung vom Religionsunterricht findet zu Beginn des Schulhalbjahres für das Schulhalbjahr statt.

Nr. 220 – Donnerstag, 25. September 1919
Das Ende eines ehelichen Zwistes. Dienstag mittag erschien auf der Wache des 75. Polizeireviers die 40 Jahre alte Kellnersfrau Anna Trautmann und verlangte die Abstempelung eines Totenscheins, da ihr 44 Jahre alter Ehemann, der Kellner Bruno Trautmann, plötzlich verstorben sei. Das Attest, das als Todesursache Herzschlag angab, war jedoch so merkwürdig abgefaßt, daß es sofort als Fälschung erkannt wurde. Polizeibeamte begaben sich nun mit der Frau nach ihrer Dreyschstraße 8 belegenen Wohnung. Hier ergab sich, daß der Tote eine klaffende Kopfwunde hatte. Schließlich gestand die Frau, mit ihrem Manne in Streit geraten zu sein. In ihrer Notwehr habe sie eine große Feile ergriffen und gegen den Mann einen Schlag geführt, so daß er zu Boden sank. Die Frau wurde festgenommen.

Nr. 223 – Sonntag,  28. September 1919
Oberbürgermeister Kaiser verläßt, wie wir erfahren, am 1. Oktober Neukölln, wenigstens als Oberbürgermeister der Stadt, und wird Generaldirektor der im Kreise Luckau belegenen Bergwerke, Ziegeleien, Güter und industriellen Unternehmungen, die der Stadt Neukölln gehören. Oberbürgermeister Kurt Kaiser, der im 55. Lebensjahre steht, gehört seit 1907 dem Neuköllner Magistrat als Bürgermeister und Oberbürgermeister an. Ueber ein Jahrzehnt hat er in die Geschicke Großberlins maßgebend eingegriffen. Er war der stärkste und begabteste Gegner der Eingemeindung der Vororte in Berlin – nicht aus kleinlicher Kirchtumspolitik, sondern weil er glaubte, daß aus sozialen Gründen eine Umschichtung der reichen, westlichen und der armen östlichen Bevölkerungsschichten notwendig und gangbar sei. Aus diesem Bestreben ergab sich für Oberbürgermeister Kaiser der Wille, die östlichen Vororte, insbesondere Neukölln, zu stärken. Und hier hat er auf gemeindepolitischem Gebiete Leistungen vollbracht, die ihresgleichen suchen. Mit Willenskraft und Diplomatie erreichte er es, daß veraltete Baupläne umgestaltet und ein Schiffahrtskanal und Hafen in Neukölln angelegt wurden, öffentliche Anstalten sich dort ansiedelten und daß die Abneigung gegen das dörfliche Rixdorf (auch die Umänderung des Namens ist Oberbürgermeister Kaisers Anregung zu verdanken) beseitigt wurde. Auf dem Wege, das finanziell schwache Neukölln leistungsfähig zu machen, kam Oberbürgermeister Kaiser lange vor den gegenwärtigen Theoretikern zu praktischen Kommunalisierungsmaßnahmen. Städtisches Gas= und Elektrizitätswerk, städtische Druckerei, Plakatwesen, städtisches Bergwerk, Lebens= und Futtermittelwerke, Eiswerk, Stadtbank und andere Unternehmungen blühen seit langem in Neukölln als das Werk des jetzt scheidenden Oberbürgermeisters. Sein kraftvolles Wirken und seine Taten werden in Neukölln so leicht nicht vergessen werden.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1919 übernommen. Das Original befindet sich in der Zentral- und Landesbibliothek,
Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Polizeiruf 110

Vom »Fräulein vom Amt« bis zur einheitlichen Notrufnummer

Heutzutage hat fast jeder ein Mobiltelefon, um im Notfall Polizei oder Rettungsdienste zu rufen.
In den Anfangsjahren des Fernsprechens brauchte jeder, der telefonieren wollte, das »Fräulein vom Amt«, das die Verbindung herstellte. Das galt auch für Notrufe.

Fräulein vom Amt.   Foto: historisch

In den Straßen Berlins wurden ab dem Jahr 1924 erstmals 30 Polizeistraßenmelder installiert, mit denen Polizeibeamte im Straßenaufsichtsdienst mit dem zuständigen Polizeirevier Kontakt aufnehmen konnten. Dies diente beispielsweise der Anforderung von Unterstützung durch ein Überfallkommando, von denen in Berlin 18 in Bereitschaft standen.
Als Weiterentwicklung derartiger Straßenmelder aus der Weimarer Republik wurde 1956 der »eiserne Schutzmann«, eine Notrufeinrichtung zur kostenlosen Alarmierung der Polizei durch die Bevölkerung vorgestellt. Ein Dreh am Knopf und man war sofort mit der nächsten Polizeidienststelle oder Feuerwehr verbunden. Wer Opfer oder Zeuge eines Unfalls wurde, oder einen Brand melden wollte, konnte so schnell und einfach die Polizei oder Feuerwehr benachrichtigen.
War eine solche Notrufsäule nicht in der Nähe, musste, wer einen Notfall melden wollte, im Telefonbuch nach einer Polizeidienststelle oder dem nächsten Krankenhaus suchen. Erst 1973 wurden die Nummern 110 und 112 bundesweit verbindlich. Veranlasst wurde dies durch den Tod des achtjährigen Björn Steiger, der 1969 nach einem Verkehrsunfall starb, weil die Rettungskräfte zu spät eintrafen. Der Vater des Unfallopfers engagierte sich später für eine Verbesserung des Notrufs und gründete die Björn-Steiger-Stiftung.

mr