Litfaßsäulen in Gefahr?

Analoge Werbung im digitalen Wandel

Berlin ist und bleibt mit rund 3.000 Stück die Hauptstadt der Litfaßsäulen, und selbst nach 164 Jahren wird sich daran so schnell nichts ändern, obwohl gerade einige abgerissen oder ausgetauscht werden. Der bisherige Außenwerber Wall hatte die neue Ausschreibung der Säulen gegen eine Firma aus Stuttgart verloren und ist zudem vertraglich verpflichtet, nun alle Säulen abzureißen.

LItfaßsäule in Britz. Foto: rr

Der inzwischen angelaufene Austausch blieb nicht überall unkommentiert. Viele Berliner sahen plötzlich eine Institution in Gefahr, und bald trugen einige vom Abriss bedrohte Säulen Protest- oder Trauerbotschaften. Es wurde auch befürchtet, dass historisch bedeutende Litfaßsäulen ebenso verschwinden könnten. Für 24 kann das nun ausgeschlossen werden, da sie noch rechtzeitig unter Denkmalschutz gestellt wurden. Vom Abriss betroffen wären 2.500 Säulen, darunter auch solche, die wegen Mängel oder wegen einer Asbestbelastung sowieso ausgetauscht worden wären.
Der neue Betreiber stellt vorerst 1.500 neue an alter Stelle wieder auf. Die sind alle aus Beton, dicker, schnörkellos und tragen einen manchmal sogar beleuchteten, schlichten, schwarzen Kunststoffdeckel. Der neue Umfang bringt mehr Reklamefläche. Eigentlich sollten auch alle sich drehenden, zum Teil auch verzierten Säulen von Wall weichen, aber viele tragen inzwischen wieder neue Werbung und lassen vermuten, dass sich beide Firmen doch noch über eine Nachnutzung einigen konnten.
Ernst Theodor Amadeus Litfaß erhielt 1854 für Berlin die Erlaubnis zur »Errichtung einer Anzahl von Annoncier-Säulen«, die dem damals üblichen wilden Plakatieren Einhalt gebieten sollten. Dieses älteste Werbemedium im öffentlichen Raum erwies sich als so erfolgreich, dass bis heute lukrative Geschäfte damit gemacht werden können. Solange das gewährleistet ist, dürfte ihr Fortbestand in Berlin gesichert sein.
Dieses traditionelle, inzwischen als »Out of home« (OOH) bezeichnete Medium erfährt noch jährlich bis zu 4,5 Prozent Wachstum weltweit, in Deutschland sind es sogar fünf Prozent. Zu Zeiten des rasanten, digitalen Wandels überrascht das schon etwas. Die heutigen Verbraucher sind zunehmend mobiler, dennoch erfassen sie gut diese Art der Werbeform, wie die Firmen mit großem Werbebudget zufrieden feststellen, und daher macht diese Außenwerbung einen deutlichen Anteil ihrer Werbeausgaben aus. Mal sehen wie lange noch.

rr