Petras Tagebuch

Ein Tiger in der Wohnung

Wenn ich mich am Sonnabendmorgen auf einen langen Arbeitstag vorbereite, brauche ich schlichtweg meine Ruhe, um alles nochmal durchzugehen, um nichts zu vergessen. Um 8:15 Uhr fahre ich dann los, um pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen.
An diesem Sonnabend war meine gewohnte Ruhe vorbei, als es an der Tür klingelte. Dort stand mein Nachbar und bat um Einlass. Ich bot ihm eine Tasse Tee an, und er sagte nur einen Satz: »In meiner Wohnung ist ein Tiger.« Ich entschuldigte mich mit den Worten: »Ich gehe nochmal schnell ins Bad und mache mich ausgehtauglich.« Dort konnte ich über diese Ungeheuerlichkeit nachdenken.
Natürlich glaubte ich nicht an einen lebendigen Tiger in einer Neuköllner Wohnung, der auf einmal aufgetaucht ist. Aber ich konnte die Ängste meines Nachbarn sehr gut nachvollziehen, denn ein Tiger in der Wohnung ist eine Bedrohung. Schließlich sind Tiger keine Kuscheltiere.
Nachdem ich mich wieder gefasst hatte, setzte ich mich zu meinem Nachbarn in die Küche, der sichtbar Angst hatte. Wir überlegten, was zu tun sei. Ich bot ihm an, mit in seine Wohnung zu kommen, ich ginge sogar vor und prüfe, ob die Gefahr tatsächlich vorhanden sei. Gesagt, getan. Ich packte die Sachen für den Tag, die Zeit für mich wurde schon knapp, aber dies war eindeutig ein Notfall. Unten an der Wohnung angekommen, stellte mein Nachbar fest, dass er in der Panik seinen Schlüssel in der Wohnung hat liegen lassen, und die Tür war zu. Er klingelte Sturm. »Hören Sie das Rascheln?« Nein, ich hörte nichts.
Mir fiel ein, dass seine Mutter in Berlin lebt und fragte den verängstigten Mann, ob er mir die Telefonnummer seiner Mutter geben könne. Ich wollte sie anrufen, denn sie hatte bestimmt einen Schlüssel für die Wohnung. Nein, die Telefonnummer läge in der Wohnung. Ich schlug dem Nachbarn vor, mit dem Taxi zu seiner Mutter zu fahren, denn in diesem Zustand war er nicht in der Lage, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Er nahm sich ein Taxi und fuhr zu seiner Mutter.
Als ich am Abend nach Hause kam, war ich in Sorge um den Nachbarn und klingelte. »Ist wieder alles in Ordnung? Hat sich alles geklärt?«
Mein Nachbar war deutlich entspannt. Seine Mutter hatte ihm die Tür geöffnet, und der Tiger sei ein Albtraum gewesen. Ich solle in meine Wohnung gehen, er hätte mir eine Nachricht hinterlassen.
Oben angekommen lag tatsächlich eine Nachricht in der Wohnung: »Vielen Dank, dass Sie sich um mich gekümmert haben. Der Tiger war ein Albtraum.«
Träume, das ist auch meine Erfahrung, können ganz schön durcheinanderbringen.