Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 150 – Sonnabend, 5. Juli 1919
Die Reichsfarben: Schwarz=Rot=Gold. In der Donnerstag=Sitzung der Nationalversammlung wurde der Kompromißantrag der Mehrheitssozialisten und des Zentrums: »Die Reichsfarben sind schwarz=rot=gold, die Handelsflagge ist schwarz=weiß=rot mit einer Goesch in schwarz=rot=gold in der oberen inneren Ecke« in namentlicher Abstimmung mit 211 gegen 89 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen. Der Antrag der Rechtsparteien; »Die Reichsfarben sind schwarz=weiß=rot« wurde in namentlicher Abstimmung mit 190 gegen 110 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen abgelehnt. Gegen den Antrag stimmten die beiden sozialdemokratischen Parteien, ein Teil des Zentrums und die Minderheit der Demokraten. Der Antrag der nUabhängigen: »Die Reichsfarbe ist rot« wurde gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.

Nr. 150 – Sonnabend, 5. Juli 1919
Beschädigungen des Bürgersteigpflasters. Mit Eintritt der wärmeren Jahreszeit nehmen alljährlich die mutwilligen Pflasterbeschädigungen durch spielende Kinder zu. Infolge Mangel an Schutzleuten und elterlicher Aufsicht ist besonders in jetziger Zeit dem Hang der Jugend zu allerhand Unfug freie Bahn geöffnet. Einesteils führt dies zu tätlichen Angriffen auf Straßenanwohner und Passanten, andernteils muß die Stadtgemeinde für Wiederinstandsetzung des Pflasters infolge der um das Mehrfache gestiegenen Kosten entsprechend höhere Mittel aufwenden. So wurden im Kalenderjahr 1918 für die Ausbesserung des durch spielende Kinder beschädigten Pflasters 13 381 M. verausgabt. Wir richten daher an die Eltern, Lehrer und alle jeweilig die Straßenaufsicht ausübende Personen die Bitte, dem Zerstörungswerk der Kinder mit ermahnenden Worten entgegenzutreten, die Jugend auf die Folgen ihrer Handlungsweise hinzuweisen und sie zu einem gesitteten Betragen auf der Straße zu erziehen, damit in Zukunft derart kostspielige Beschädigungen nach Möglichkeit vermieden werden.

Nr. 163 – Sonntag, 20. Juli 1919
Rudow. Ein schwerer Raubüberfall ist von drei Berliner Einbrechern hier verübt worden. Zwei Täter sind bereits ermittelt und festgenommen worden. Die drei Einbrecher waren in Waßmannsdorf in das Stallgebäude des Rieselwärters Karl Libitz eingedrungen, hatten darin mehrere Hühner, Karnickel und eine Ziege abgeschlachtet, die Tiere auf einen auf dem Hof stehenden Wagen geladen und fuhren damit davon. Libitz, der durch ein Geräusch aufwachte, setzte sich auf sein Zweirad und fuhr der Wagenspur nach. Die Spur endete schließlich in einem Haferfeld. Dort sprangen die Einbrecher plötzlich aus ihrem Versteck hervor, fielen über L. her und richteten ihn übel zu. Einer der Rohlinge schlug mit einem Stein auf den mit dem Gesicht auf der Erde liegenden Mann ein. Als der Überfallene flehentlich um sein Leben bat, ließen sie endlich von ihm ab und fuhren mit seinem Rad und der Beute davon. Die Ermittlungen ergaben bald, daß es sich um den Monteur Alfred Schwarz aus Lichtenberg und den Sattler Eitel Schawe handelt, die festgenommen werden konnten. Der dritte Verbrecher, ein 25 Jahre alter Arbeiter Karl Görsdorf, der zuletzt in Neukölln wohnte, wird noch gesucht.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1919 übernommen. Das Original befindet sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Schwarz-Rot-Gold

Die Farben der Demokratie

Schwarz, Rot und Gold sind seit mehr als 50 Jahren die Farben der deutschen Flaggen. Ihre Bedeutung als Symbol für Einigkeit, Freiheit und Demokratie geht aber auf das 19. Jahrhundert zurück.
Ausschließlich aus praktischen Erwägungen entschloss sich 1813 der preußische Major Adolf von Lützow, seinem berühmten Freikorps, das sich vom Kampf gegen Napoleon die Einheit Deutschlands erhoffte, die Uniformfarben Schwarz und Rot zu geben. Aus Geldmangel wurden die mitgebrachten Uniformteile schwarz gefärbt, mit roten Aufschlägen und goldenen Knöpfen versehen.
Zum ersten Mal wurde eine Fahne mit schwarz-rot-goldenen Querbalken gezeigt, als sich mehrere tausend Menschen 1832 auf den Weg zum Hambacher Schloss machten, um dort für demokratische und nationale Ziele zu demonstrieren.
Nach 1919 spaltete die Festlegung der Flaggenfarben nicht nur die Weimarer Nationalversammlung, sondern auch die deutsche Öffentlichkeit. Die Radikalen wollen entweder zurück zum schwarz-weiß-rot der Kaiserzeit oder eine Zukunft nach russischem Modell ganz in Rot.

Deutscher Michel nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg.

Die Nationalversammlung einigte sich schließlich auf einen Kompromiss: »Die Reichsfarben sind Schwarz-Rot-Gold, die Handelsflagge ist Schwarz-Weiß-Rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.« Mit ihrer neuen Fahne konnte sich die Weimarer Republik jedoch genauso wenig identifizieren wie mit ihrer Verfassung. Die Nationalsozialisten entsorgten beides: Verfassung und Fahne.
Nach der Befreiung 1945 liessen deutsche Politiker sowohl in der westlichen als auch in der sowjetischen Besatzungszone keinen Zweifel daran, dass nur Schwarz-Rot-Gold für die deutsche Nation infrage komme. Selbst dann noch, als klar war, dass sich 1949 zwei deutsche Republiken gründen werden. Die Gründer der Bundesrepublik legten im Grundgesetzartikel 22 kurz und bündig fest: »Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.«Die DDR entschied sich ebenfalls für Schwarz-Rot-Gold, fügte jedoch ab 1959 das von einem Ährenkranz umgebene Hammer-und-Zirkel-Emblem ein.
Seit dem 3. Oktober 1990 wurde die schwarz-rot-goldene Flagge zur Fahne des wiedervereinigten Deutschlands.
Aus Anlass des 100. Jubiläums der Nationalfarben sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: »Den Verächtern der Freiheit dürfen wir diese Farben niemals überlassen, sondern lassen Sie uns stolz sein auf die Traditionslinien, für die sie stehen: Schwarz-Rot-Gold, das sind Demokratie und Recht und Freiheit!«

mr