Sichtungen vor den Toren Neuköllns

Es muss nicht immer ‚Malle‘ sein

EHEMALIGES Kreisgericht Angermünde.                                                                                                  Foto: bs

Raus aus Neukölln, rein in die Uckermark, das statistisch sonnenreichste Gebiet Deutschlands, das ihr die Bezeichnung »Toskana des Nordens« beschert hat. Innerhalb von maximal 90 Minuten per Bahn oder Auto lassen sich Schwedt, Prenzlau, Oberes und Unteres Odertal, Lychen, Templin, Kloster Chorin erreichen, zeitmässig vergleichbar etwa der Strecke mit der U7 von Rudow nach Spandau.
Sinn und Zweck des Ausfalls aus Berlin waren erstens Natursichtungen aller Art und zweitens Entschleunigung.
Erste Sichtungen innerhalb der ersten dreissig Minuten waren etliche Berliner Autos, ein Buddy-Bär und eine weibliche Neuköllner Pflanze, der Liebe wegen in Schwedt gelandet. Ok, Neukölln ist überall, Neuköllner auch – und Fahrräder. Diese können an sich überall gemietet werden, nur nicht wirklich in der Vorsaison. Die Saison beginnt am 1. Mai, basta, schönes Wetter, Osterferien, Touris und vor allem hervorragend ausgebaute Fahrradwege, egal. So geht Entschleunigung natürlich auch, also per pedes durch die brandenburgische Streusandbüchse und strategisch günstige Auf- und Abspringpunkte der Regionalbusse ausfindig machen. Und alle paar Meter liegen Findlinge herum, vor historischen Sehenswürdigkeiten teilweise kunstvoll drapiert. Und, das Highlight der Entschleunigung, in Neukölln und Restberlin längst aus der Mode gekommen: Mittagspause, zwischen 13 und 15 Uhr sind alle Einzelhandelsgeschäfte geschlossen und um 18 Uhr ist Feierabend. Stehste da, als gewöhnlicher Neuköllner!
Kneipen gibt es so gut wie keine, also werden Brauclubs gegründet, ein Braukeller eingerichtet und leckeres Bier wird mit gesundheitsbehördlicher Genehmigung in Eigenregie gebraut. Selbst ist der Uckermärker.
Einen besonderen Bezug hat Neukölln zu Angermünde. Dort saß der Schustergeselle Friedrich Wilhelm Voigt, der spätere Hauptmann von Köpenick, wegen Scheckbetrugs in der Zelle Nr. 17 des damaligen Kreisgerichts, bevor er 1906 nach Rixdorf zu seiner Schwester in die Kopfstraße zog. Die Zelle ist bis heute unverändert erhalten, das ehemalige Kreisgericht beherbergt jetzt die Polizei. So, wissta Bescheid.

bs
Wer mehr wissen möchte: WDR vom 07.04.2019
https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/wunderschoen/video-wunderschoen-eine-reise-durch-die-uckermark-100.html