Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 56 – Dienstag, 11. März 1919
Die Straßenbahner streiken weiter. Infolgedessen mußte die werktätige Bevölkerung Großberlins sich gestern entweder zu Fuß zur Arbeit begeben oder war auf die Hochbahn angewiesen, die einem derartigen Ansturm, wie er gestern morgen einsetzte, nicht im entferntesten gewachsen ist. Die Wiederaufnahme der Arbeit litt in fast sämtlichen Betrieben erheblich unter diesen durch den Straßenbahnerausstand veranlaßten Verkehrsschwierigkeiten und die Folge davon war, daß die Stimmung im arbeitenden Berlin, die während des Lohnstreiks für die Straßenbahner gewesen war, sich überall gegen die Aufständischen wandte.

Nr. 57 – Mittwoch, 12. März 1919
Mordversuch im Weinlokal. Der 24 Jahre alte Leutnant der Reserve Rudolf Monte versuchte in einem Weinlokal in der Taubenstraße 8=9 die 27 Jahre alte Kontoristin Frieda Mischke mit einer Pistole zu erschießen und verletzte sie schwer an der linken Kopfseite. Dann feuerte er zwei Kugeln auf sich selbst ab, die ihm in die linke Brust drangen. Beide wurden in hoffnungslosem Zustand nach der Charité gebracht. Der Beweggrund ist verschmähte Liebe.

Nr. 58 – Sonnabend, 13. März 1919
Ein neuer Volkspark in Neukölln. Die Stadt Neukölln war bereits vor dem Kriege dazu übergegangen, auf dem östlichen Teil des Tempelhofer Feldes längs der Neuköllner Weichbildgrenze einen 80 Meter breiten Park= und Gehölzstreifen zu schaffen. Nachdem mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, daß das Tempelhofer Feld zum größten Teil seiner Bestimmung als Exerzierplatz entzogen werden dürfte, trägt sich Neukölln mit dem Plan, im Einvernehmen mit dem Fiskus das östliche Tempelhofer Feld zu einem öffentlichen Volkspark auszugestalten. Die Stadtverwaltung hält nach wie vor daran fest, daß im Interesse der durch die lange Kriegsdauer ohnehin schwer geschädigten Volksgesundheit das Tempelhofer Feld nicht bebaut werden darf, sondern in eine Grünfläche umgewandelt werden muß. Mit dem weiteren Ausbau des bisherigen Parkstreifens wird die Stadt Neukölln schon in den nächsten Wochen beginnen.

Nr. 60 – Sonnabend, 15. März 1919
Gefährliches »Spielzeug«. Vor dem Hause Wanzlikstraße 8 hierselbst spielten Kinder Triesel mit einer – Handgranate, bis dieselbe explodierte! Hierdurch erlitt eine ganze Anzahl von Kindern Verletzungen. Die vierjährige Hildegard Amelung aus der Wanzlikstraße 32 wurde schwer verletzt nach Hause getragen.

Nr. 71 – Freitag, 28. März 1919
Das Tempelhofer Feld als Flughafen. Von Dr. Max Breslauer, Privatdozent an der Technischen Hochschule Charlottenburg, erhält das »Berl. Tgbl.« folgende zeitgemäße Anregung: Durch die Presse ging letzthin wiederholt die Meldung, daß das Tempelhofer Feld zu einem Park ausgestaltet werden soll. Ich weise darauf hin, daß Berlin in dieser gewaltigen Freifläche einen einzigartigen Besitz aufweist, der für seine Stellung als Reichsmittelpunkt entscheidend werden kann. Das Tempelhofer Feld ist der gegebene Flughafen für Berlin, wie er idealer und zweckentsprechender wegen seiner Ausdehnung und wegen seiner Lage nahe dem Mittelpunkt der Stadt nicht gedacht werden kann. Bevor also endgültige Entschlüsse gefaßt werden, sollten die berufenen Vertreter des Flugwesens in erster Linie gehört werden. Entscheidend für Berlins Stellung als Reichshauptstadt kann diese Frage dadurch werden, daß das Flugwesen als Post=, Güter= und Personenbeförderungsmittel immer mehr in den Vordergrund treten wird. Nur diejenigen Städte können aber als Verkehrsmittelpunkte in Frage kommen, die rechtzeitig Maßregeln zur Herstellung geeigneter und geeignet gelegener Flughäfen Sorge getragen haben.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1919 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Der Kampf um das Tempelhofer Feld

Exerzierplatz – Flugplatz – Freizeitfläche

Über das Tempelhofer Feld wird nicht erst seit 2014 gestritten, als sich die Berliner Bevölkerung in einem Volksentscheid gegen eine Randbebauung und für den überwiegenden Erhalt des Tempelhofer Feldes im derzeitigen Zustand aussprach. Was die Stimmen, die sich weiterhin für eine Bebauung aussprechen aber nicht verstummen ließ.
Schon 1910 kämpfte der »Ansiedlungsverein von Groß-Berlin« gegen die Bebauung des damals noch viel größeren Tempelhofer Feldes. Die infolge der Industrialisierung Berlins hohe Wohndichte mit überbelegten Hinterhöfen und Luftverschmutzung schrie geradezu nach Erholungsflächen.
Trotzdem wurde von 1912 bis 1914 die Fläche westlich des Tempelhofer Dammes zu einem Neubaugebiet umgewandelt.
Der Kernbereich des späteren Flughafengeländes wurde bis 1918 militärisch genutzt, mit der »Paradepappel« als Mittelpunkt, an dem die jeweiligen Heerführer den Vorbeizug ihrer Heerscharen inspizierten.
Der Aufschwung der zivilen Luftfahrt nach dem Ersten Weltkrieg führte dazu, dass die im Berliner Randgebiet Johannistal und Staaken ansässigen Luftverkehrsgesellschaften Junkers und Aero Lloyd sich um einen zentraler gelegenen Flugplatz bemühten und dabei das Tempelhofer Feld ins Auge fassten.

Das Tempelhofer Feld 1923. Bauarbeiten für den Flugplatz.                                 Foto: Archiv Junkers

Dagegen setzten sich die Gemeindevertreter von Tempelhof vehement zur Wehr. Sie fürchteten, ein Flughafen würde sich negativ auf die Wohnqualität in Tempelhof auswirken. Sie forderten statt dessen einen großen Park.
1920 kam das Areal mit der Bildung von Groß-Berlin unter städtischen Einfluss. Leonhard Adler, Stadtbaurat für Verkehr, setzte auf einen stadtnahen Flughafen und hatte damit Erfolg. Am 8. Oktober 1923 ging mit der Verbindung Berlin–Königsberg der winzige, noch provisorische Flughafen Berlin in Betrieb. Es folgte ein massiver Anstieg der Flugbewegungen; schon im ersten Jahr waren es 100 mit rund 150 Passagieren.
2008 wurde der Flughafen endgültig stillgelegt und als Freizeitgelände freigegeben.

mr