Welches Milieu schützt der Milieuschutz?

Mahlower Block verkauft.                                                                                                                                  Foto: fh

200 Mietparteien von Umwandlung betroffen

Erst im Jahre 2016 wurde der Schillerkiez als Milieuschutzgebiet ausgewiesen. Nach Meinung vieler Mieter viel zu spät, denn die Verdrängung der alteingesessenen, meist nicht sehr begüterten Bevölkerung ist seit Jahren im Gange. Zum Teil durch horrend gestiegene Mieten, zum Teil durch Umwandlung in Eigentum und durch Eigenbedarfskündigungen.
Derzeit sehen sich 200 Mietparteien des »Mahlower Block« mit der Umwandlung ihrer Mietwohnungen in Eigentumswohnungen konfrontiert. Dies betrifft mehrere Häuser in der Mahlower und Lichtenrader Straße sowie der Fontanestraße.
Die entsprechenden Schreiben des Stadtentwicklungsamtes erreichten die Mieter im Juli und August. Der Eigentümer, die »convivo Lux Residential« (vormals »Immeo Lux S.a.r.l.«) hatte einen Antrag auf Begründung von Wohn- und Teileigentum gestellt.
Das Bundes-Baugesetzbuch (BauGB), das auch für Berlin gilt, sieht vor, dass solche Beantragungen im Regelfall innerhalb eines Monats zu gewähren sind.
Gleichzeitig sieht das BauGB § 172 ebenso die »Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung« vor; in Neukölln also den Erhalt der berühmten »Berliner Mischung«, in der schon immer Arbeiter, Beamte und Akademiker Tür an Tür wohnten. Die betroffenen Mieter fragen sich, ob dieser Umwandlungsantrag nicht mit Verweis auf eben diesen Paragraphen hätte abgewiesen werden können.
Dies kann per Gesetz jedoch umgangen werden, wenn sich der Eigentümer notariell beglaubigt verpflichtet, innerhalb der kommenden sieben Jahre die Wohnungen nur an die betroffenen Mieter zu verkaufen.
»Wie soll ick dit in meinem Alter denn machen?«, fragt eine Mieterin verzweifelt, »ick bin 72 Jahre, wohne hier seit Jahrzehnten und komm mal grade so zurecht mit meene Rente. Mir jibt doch keener mehr nen Kredit. Und alte Bäume soll man ooch nich vaflanzen, dit wees doch jeda.«
»Meine Kinder gehen hier in die Kita und freuen sich auf die Schule, die sie gemeinsam mit Freunden besuchen werden«, sagt ein Nachbar. »Ich hab in der Nähe meine Arbeit. Wenn ich quer durch die Stadt fahren muss, bricht unsere Familienorganisation in großen Teilen zusammen. Meine Frau arbeitet drei bis vier Tage in der Woche in einem anderen Bundesland. Und unser Kreditrahmen ist begrenzt, mit drei Kindern können wir keine großen Sprünge machen.«
Dies wurde von den betroffenen Mietern auch in der Anwohnerfragestunde der letzten Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zur Sprache gebracht. Was taugen Gesetze und Paragraphen, wenn sie in ausgewiesenen Milieuschutzgebieten nicht verhindern, dass Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden können? Auch die geforderte Nutzung des Vorkaufsrechts, dass der Stadtrat für Stadtentwicklung, Soziales und Bürgerdienste, Jochen Biedermann (Grüne), gerne ausübt, wo es möglich ist, ist in diesem Fall nicht anwendbar. Es ist nur für den Verkauf von Häusern nutzbar und nicht für die Umwandlung einzelner Wohnungen.
Diesen Trick machte und macht sich »convivo« in anderen Teilen Neuköllns ebenfalls schon zunutze, unter anderem in der Weisestraße, Herrfurthstraße, Kopfstraße, Briesestraße sowie Emser, Bornsdorfer und Neuwedeller Straße.
Da können selbst die gutwilligsten Neuköllner Stadträte und Bezirksverordneten nichts ausrichten, außer sich zusammen mit den Mietern auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass in Milieuschutzgebieten ein generelles Verbot der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gesetzlich festgeschrieben wird. Und das möglichst schnell!

bs