Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 161 – Mittwoch, 10. Juli 1918
Keine Frauen als Standesbeamte. Der Minister des Innern hat, wie wir erfahren, durch einen kürzlich den Regierungen mitgeteilten Erlaß dahin entschieden, daß die Ernennung weiblicher Personen zu Standesbeamten und Stellvertretern unzulässig sei. Die Verwaltungsbehörden der Stadt= und Landkreise sind infolgedessen ersucht worden, diese Entscheidung bei künftigen Vorschlägen für diese Aemter zu beachten.

Nr. 161 – Mittwoch, 10. Juli 1918
Oeffentliche Meinung. In Nr. 155 des »Neuköllner Tageblatt« ist ein Artikel über »Morgentrank« erschienen, der dies Getränk als sehr nahrhaft und praktisch allen Hausfrauen empfiehlt. Gar viele Hausfrauen würden nun gewiß gleich mir, den Morgentrank gern versuchen, allein, wo ist derselbe erhältlich? Fordert man ihn bei seinem Lieferanten, so heißt es: »Ja, den bekommen Sie nicht, da Sie nur zwei Personen sind in Ihrem Haushalt, den bekommen nur Familien mit 3 und mehr Personen!« – Fordert man Malzkaffee, heißt es wieder: »Ja, Sie sind nur zwei Personen, den bekommen nur größere Familien.« – Kommen wir zum Schlächter und bitten um Rotwurst oder gar Breslauer, heißt‘s wieder: »Sie sind nur zwei Personen, Sie können nur Leberwurst bekommen« (die oft recht minderwertig ist). Nun frage ich, weshalb kleinere Familien oder Haushalte, die nur aus ein oder zwei Personen bestehen, auf Lebensmittel verzichten sollen, auf die ihnen dasselbe Recht zusteht, wie den mehrköpfigen Familien. Darin liegt eine Härte und Ungerechtigkeit, die nur bitter macht. Ich meine, es soll doch eine möglichst gleichmäßige Verteilung aller Lebensmittel stattfinden. Weshalb wird nun solch böser Unterschied gemacht? Könnte darin nicht endlich Abhilfe geschaffen werden?
Eine für Viele

Nr. 163 – Freitag, 12. Juli 1918
Die fleischlosen Wochen in den nächsten Monaten sind jetzt festgesetzt worden. Wir werden in den folgenden Wochen ganz auf den Bezug von Fleisch verzichten müssen: 19. bis 25. August, 9. bis 15. September, 29. September bis 6. Oktober und 20. bis 27. Oktober. Die augenblickliche Ration von 250 Gramm Fleisch soll nur noch bis zur zweiten Hälfte des August geliefert werden. Dann tritt die angekündigte Herabsetzung auf 200 Gramm, und zwar für Städte mit über 100 000 Einwohnern in Kraft; die kleineren Städte sollen noch weniger Fleisch erhalten.

Nr. 175 – Freitag, 26. Juli 1918
Gesegnetes Wachstum der Kriegsgesellschaften. Die Zahl der Kriegsgesellschaften nimmt noch immer zu und die älteren werden vergrößert. So hat sich die »Kriegsledergesellschaft« kürzlich abermals bedeutend erweitert. Da die Räume im Palast=Hotel am Potsdamer Platz nicht mehr ausreichten und die in der Budapester Straße 10=12 sich zu klein erwiesen, sind die Häuser 29=30 in der Königgrätzer Straße hinzugemietet worden. Bei den übrigen Kriegsstellen kann man dieselbe Beobachtung machen. Einige, die mit wenigen Abteilungen begannen, haben jetzt schon 60 und mehr Abteilungen und werden, wenn der Krieg noch länger dauert, über 100 Abteilungen, Unterabteilungen usw. haben. Ganze Straßenzüge sind heute schon nur von Kriegsgesellschaften okkupiert worden. Wenn alle die Hotels und Wohnungen, die von den Kriegsgesellschaften benutzt werden, gleich nach Friedensschluß geräumt werden könnten, wäre – so schreibt die »Tgl. Rundsch.« – in Berlin kein Wohnungsmangel zu befürchten.

Nr. 177 – Sonntag, 28. Juli 1918
Winnetou an der Westfront. Wie der amerikanische Pressedienst aus Newyork meldet, verwenden die Amerikaner in Frankreich außer den Negertruppen eine Abteilung von roten Indianern vom Stamme der Apachen als Aufklärer. Sie wurden aus einer Gebirgsreservation im Osten von Arizona rekrutiert. Wenn Winnetous kriegerischer Stamm jetzt gegen uns aufgeboten wird, da bleibt uns nichts übrig, als schleunigst – Old Shatterhand für uns zu engagieren.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1918 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Der unknackbare Geheimcode

Indianer dienten als lebende Chiffriermaschinen in beiden Weltkriegen

Als im Jahr 1917 die USA den Mittelmächten den Krieg erklärten, meldeten sich auch sehr viele Angehörige von Minderheiten zu den Waffen – Indianer und Schwarze. Knapp 15.000 Indianer nahmen auf Seiten der alliierten Streitkräfte Kanadas und der USA am Krieg teil.

Indianischer Veteran.                      Foto: historisch

Im Gegensatz zu den schwarzen Soldaten, für die wegen der strengen Rassentrennung in der US Armee eigene Regimenter aufgestellt wurden, wurden die indianischen Freiwilligen in die weißen Regimenter integriert, in denen sie sich an der Westfront als Späher, Kundschafter und Experten für den Nachtkampf bewährten. Außerdem begriffen die amerikanischen Militärs bald, dass die Indianer eine Fähigkeit besaßen, die selbst im modernen Maschinenkrieg einen unschätzbaren Vorteil darstellte: Ihre Sprache. Sie bot militärischen Geheimnissen einen praktisch perfekten Schutz.
Indianersprachen werden nur auf dem Gebiet der USA und Kanadas gesprochen. Zur Zeit des Ersten Weltkrieges waren sie außerdem kaum verschriftlicht, nur wenige Linguisten kannten sich mit Wortschatz und Grammatik aus. Während europäische Armeen auf komplizierte Verschlüsselungs­codes zurückgreifen mussten, konnte ein Indianer daher über Funk sprechen, wie er wollte. Kein Feind konnte ihn verstehen.
Eine Generation später, im Zweiten Weltkrieg, spielten die »Codetalker« dann eine wichtige Rolle bei den Schlachten in Europa gegen Nazi-Deutschland und gegen Japan im Pazifik.
In Deutschland sorgte der Einsatz afrikanischer und afroamerikanischer Soldaten auf Seiten der Alliierten für Empörung. Die Indianer dagegen wurden als »tapfere, freiheitsliebende und edle Wilde« betrachtet und wegen ihres Kampfgeistes gefürchtet wiegepriesen, was auch auf den Einfluss Karl Mays und seiner Romane um den edlen Apatschenhäuptling Winnetou und seinen Blutsbruder Old Shatterhand zurückgeführt wurde. mr