Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 80 – Donnerstag, 4. April
Oeffentliche Meinung. Die Wohnungsnot. Von allen Stadtverwaltungen werden jetzt Mittel und Wege gesucht, um der Wohnungsnot zu steuern, und zwar handelt es sich um kleinere Wohnungen. Allerdings sind nun schon die Dach= und Kellerwohnungen freigegeben, aber trotzdem mangelt es immer noch an 1=, 2= und 3=Zimmerwohnungen, was allerdings nur derjenige empfindet, der gezwungen ist, auf die Wohnungssuche zu gehen. Es ist nun recht unverständlich, daß der hiesige Magistrat so wenig Rücksicht auf die bestehende Wohnungsnot nimmt und innerhalb eines halben Jahres sämtlichen Mietern eines Hauses kündigt, angeblich für Zwecke der Kleidungsstelle. Ein Teil der geräumten Wohnungen ist diesem Zwecke schon übergeben und jeden Tag kommen Wagen mit alten Möbeln, Betten usw., welche darin untergebracht werden, um dann wieder hergerichtet und später an die heimkehrenden Krieger billig verkauft zu werden. Die Vorsorge des Magistrats in dieser Beziehung ist sehr anerkennenswert, aber ist es nun gerade nötig, zu diesem Zwecke ein Dutzend kleine Wohnungen mit Beschlag zu belegen und der Bevölkerung die Wohnungen zu entziehen? Dadurch wird die Wohnungsnot nur erhöht. Vorteilhafter wäre es doch, für die alten Möbel usw. auf dem geräumigen Hintergelände des Hauses Schuppen oder Baracken zu bauen und dieselben darin unterzubringen, als wie schließlich infolge der sich immer mehr steigenden Wohnungsnot die Familien in Baracken unterzubringen.
Mehrere Mieter.

Nr. 86 – Donnerstag, 11. April
Berufsschwestern als Schwerarbeiter. Der Chef des Kriegsernährungsamtes Herr v. Waldow hat bestimmt, diejenigen Berufsschwestern, welche nicht in Krankenhäusern, Lazaretten und dergleichen verpflegt werden, als Schwerarbeiterinnen anzuerkennen und dort, wo nach diesem Gesichtspunkte bisher noch nicht verfahren worden ist, nunmehr die entsprechenden anordnungen tunlichst umgehend zu treffen.

Nr. 91 – Mittwoch, 17. April
Im Neuköllner=Volks= Theater fand Montag abend nach 35jährigem Bestehen die letzte Vorstellung statt, deren Reinertrag Frau Direktor Maue für die Neuköllner Kriegerwaisen bestimmt hat. Es war daher besonders erfreulich, daß das Theater fast ausverkauft war. Das im Saale hängende Bild des Direktors Eugen Maue, der bekanntlich den Heldentod fürs Vaterland gefunden hat, war mit einem Riesenlorbeerkranz geschmückt, während auf einer langen Tafel unter dem Bilde die vielen Blumenspenden Aufstellung fanden, welche Frau Dir. Mauer von den langjährigen Besuchern des Theaters gestiftet worden waren. Zur Aufführung gelangte unter Leitung des früheren langjährigen Spielleiters des Volkstheaters Herrn Karl Töpfer die dreiaktige Operette »Der fidele Bauer« von L. Fall. Es war eine der gelungensten Vorstellungen, die wir im Volkstheater gesehen haben; sämtliche Mitwirkenden gaben ihr Bestes, so daß eine gute, abgerundete und eindrucksvolle Aufführung zustande kam. Das Publikum kargte denn auch nicht mit Beifall und zeichnete am Schlusse der Darstellung sämtliche Darsteller durch zahlreiche Hervorrufe aus. – Nach erfolgtem Umbau soll das Theater im September d. J. als Lichtspieltheater wieder eröffnet werden.

Nr. 91 – Mittwoch, 17. April
Schutz der Baumblüte. Zur Sicherung der diesjährigen Obsternte hat der Oberbefehlshaber in den Marken für Berlin und die Provinz Brandenburg folgende Bekanntmachung erlassen: Es ist verboten, blühende Obstbaumzweige abzupflücken, blühende Obstbaumzweige entgeltlich oder unentgeltlich abzugeben, blühende Obstbaumzweige zu erwerben oder mit sich zu führen. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis bis zu einem Jahr, mit Haft oder Geldstrafe bis zu 1500 Mark bestraft.

Nr. 102 – Dienstag, 30. April
Potsdam. Die 40jährige Schuldienerfrau Auguste Oppermann besaß zwei wertvolle Ziegen. Als sie Sonnabend früh den Garten betrat, sah sie, daß die Ziegenköpfe am Stalle aufgespießt waren. Die Tiere waren im Stall von Einbrechern geschlachtet worden, nur die Köpfe und Eingeweide hatten sie zurückgelassen. Frau Oppermann ist vor Aufregung an einem Herzschlage gestorben.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1918 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Vom Theater zum Kino

Die wechselvolle Geschichte des »Neues Off«

Im Hermannstraßenkiez um die Wissmann- und Karlsgartenstraße am Volkspark Hasenheide entstand in der Gründerzeit ein Vergnügungsviertel mit Biergärten, Theatern und Tanzsälen. Das Kino »Neues Off« an der Hermannstraße 20 ist ein Überbleibsel aus dieser Zeit.

Kino mit Geschichte.                                                                                                                                           Foto: mr

Das Kino ist Teil eines vierstöckigen Wohnhauses und eines der letzten alten Lichtspielhäuser, die in Berlin bis heute überleben konnten.
Die Geschichte des Ortes als Theater und Kino hat bereits Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts begonnen, als Julius Maue hier das »Variété-Theater« gründete, das bald zu einer beliebten Vergnügungsstätte wurde, wie das »Neuköllner Tageblatt« zu berichten wußte. Im Sommer fanden die Aufführungen im Garten statt, der aber später dem Bau der Wissmannstraße zum Opfer fiel.
Mit dem Ausbruch des Weltkrieges erwuchs dem Theater durch das Kino eine starke Konkurrenz, denn zur Unterhaltungsfunktion von Filmen trat die Informationsvermittlung in den Wochenschauen.
1918 wurde das Theater daher zum Lichtspielhaus umgebaut. Anfangs als »Rixdorfer Lichtspiele«, später als »Rixi« wurde es populär, und auch eine längere Periode als »Eros-Cine-Center« gehört zu seiner Geschichte. Am 4. Mai 1979 wurde es unter dem Namen »Off« als drittes Haus der Yorck-Kinogruppe wiedereröffnet.
Den Namenszusatz »Neues« erhielt es in den neunziger Jahren nach einer Sanierung, die aber den Charme vergangener Zeiten bewahrte. So dominiert das Foyer ein roter Sarotti-Tresen im Design der 1950er-Jahre, stilvoll kombiniert mit einem schwarzweißen Bistroboden.

mr