Der Dialog der Betrachtung

Anaïs Edely schult die Wahrnehmung in Zeichen-Workshops

Gerade ist sie aus Marokko zurückgekommen, doch Urlaub anderswo ist bei Anaïs Edely nicht einfach nur Wegfahren und am Strand liegen – ob auf den Philippinen, in der Ukraine, in den Niederlanden – sie verknüpft ihre Reisen immer mit einem Projekt.

Druck.                                                                                                                                                            © Anaïs Edely

Sie ist vor zehn Jahren aus Frankreich nach Deutschland gezogen und lebt als Zeichnerin und Grafikerin in Neukölln. Für sie sind die Workshops, die sie auf ihren Reisen in Schulen und anderen Institutionen gibt, eine Art anzukommen und nicht nur Touristin zu bleiben, sondern direkt »mit den Menschen vor Ort zusammen zu arbeiten, Erfahrungen zu teilen und einen kreativen Austausch entstehen zu lassen«. In ihren Zeichen-Workshops mit Kindern und Erwachsenen schult sie deren Wahrnehmung der eigenen Umgebung. Das geschieht spielerisch mit Hilfe von Improvisationstheatermethoden, damit die Teilnehmer loslassen und eine kreative Gruppendynamik entstehen kann. Das schnelle Zeichnen unter Zeitdruck lässt keinen Raum zum Nachdenken, es muss spontan gehandelt werden, und es bleibt keine Zeit für Perfektionismus. Für Anaïs liegt darin »viel Kraft, und die eigene Ausdrucksstärke wird schnell erlebbar«.
Was sie am meisten begeistert, ist der Moment, wenn die Kinder nach den gemeinsamen Übungen von ganz allein beginnen, sich mit ihrem Skizzenbuch von der Gruppe zu lösen und einen ganz eigenen Blick für ihre Umgebung finden und zeichnen.
In ihrer eigenen künstlerischen Arbeit setzt sie sich mit der Abstraktion des menschlichen Körpers und dessen Gewichtung in unserer Gesellschaft auseinander. Aus Zeichnungen von Körpern in Bewegung entsteht durch das fragmentarische Zusammensetzen und Auseinandernehmen einzelner Teile in Drucken und Installationen eine ganz neue Art des Dialogs der Betrachtung. Die einzelnen Formen erinnern vage an die Momentaufnahme von Körperteilen, und der Betrachter sucht den Ursprung des Menschen dahinter. Kleinformatige Drucke und große Rauminstallationen setzten ihre Recherche fort. Nach Ausstellungen in Kiew und Montreal sind ihre Drucke in der aktuellen Ausstellung mit den Kaltnadelspezialisten Puntasecca im »WW48« noch bis zum 10. Februar zu sehen.
Sie organisiert im Moment das internationale Skizzenfestival, vor zehn Jahren von Sylvain Mazas in Stralsund ins Leben gerufen. Dieses Jahr im Juli findet es erstmalig in der Uckermark in den Räumen des »Libken e.V.« statt. Professionelle Zeichnerinnen und Zeichner, überregional bekannte Illustratoren, Studierende und Laien werden eingeladen, zehn Tage lang an Workshops teilzunehmen, den Ort Böckenberg und das Umland dabei zeichnerisch zu erkunden und gemeinsam die Ergebnisse dieser intensiven Arbeitsperiode vor Ort zu präsentieren.

jr
www.anais-edely.com
WW48 Studio
Raum für Kunst und Dokumentation
EG, Weichselstraße 48
12045 Berlin
Fr – So 16 bis 19 Uhr