Jochen Biedermann berichtet über seine Arbeit

»Wohnungsstadtrat« im Gespräch mit Kiez und Kneipe

Lange wollte er gar nicht hauptamtlich in die Politik, jetzt hat er gleich drei Ressorts in einem Stadtratsposten vereint: Jochen Biedermann von den Grünen ist seit Oktober 2016 verantwortlich für Stadtentwicklung, Soziales und Bürgerdienste. Vom Jobcenter bis Senioren, Ehrenamt und Hilfen für Asylbewerber fällt so einiges in seine Zuständigkeit. Die Schnittstelle all dieser Bereiche ist die Wohnungspolitik, und das ist auch gut so, meint Biedermann, der sich selbst »Wohnungsstadtrat« nennt. Der besondere Ressortzuschnitt hat einen politischen Grund: »Wir haben uns aufgrund der Wahlergebnisse dafür entschieden, dass eine bestimmte Partei wenig Gestaltungsspielraum kriegen soll«, erklärt Biedermann.Dafür mussten die anderen Stadträte mehr Ressorts übernehmen. Der »Wohnungsstadtrat« ist mit Neuköllns wahrscheinlich größter Herausforderung betraut, der Verdrängung und Wohnungsnot. »Wöchentlich erreichen uns Hilferufe von sozialen Einrichtungen, kleinen Handwerks- und Gewerbebetrieben, die entweder gar keinen Mietvertrag mehr bekommen oder 300 Prozent höhere Mieten zahlen sollen. Die daraus entstehende Monokultur ist verheerend«, erzählt der Stadtrat. Noch dazu handle es sich oft um Eigentümerstrukturen, die »man nicht mal eben an den Tisch holen kann«, wie Fondsgesellschaften, die dann Berater zu Verhandlungen vorschicken. Vom Milieuschutz zu erwarten, dass er effektiv etwas gegen diese Probleme bewirken könne, sei so, als wolle man »Krebs mit Aspirin heilen«. »Im Moment führen wir auf Bezirks­ebene an vielen Stellen einen Abwehrkampf, um Schlimmeres zu verhindern, und das ist frustrierend.« Er fordert große Maßnahmen, die von Bundesebene kommen müssten, etwa eine funktionierende Mietpreisbremse, denn »die jetzige tut alles, nur nicht bremsen«. Aber was für Möglichkeiten hat der »Wohnungsstadtrat« auf Bezirksebene? Bei verschiedenen Neubauprojekten (Mariendorfer Weg Süd, alter Güterbahnhof) konnte Biedermann das »Berliner Modell« durchsetzen und für einen Sozialwohnungsanteil von 25 bis 30 Prozent sorgen. Das bezirkliche Vorkaufsrecht für Wohnhäuser, laut Biedermann ein komplexer und langwieriger Prozess, wurde insgesamt dreimal ausgeübt, wovon ein Fall noch nicht ganz durch ist. Ein großes Problem sind auch lange Wartezeiten von bis zu sechs Monaten auf Wohnberechtigungsscheine (WBS). Hier konnte Biedermann personell Abhilfe schaffen: Zwei neue Stellen allein für die Bearbeitung der WBS-Anträge sind eingerichtet.
Bei einem anderen Thema schüttelt Biedermann nur den Kopf. Die Endlos-Baustellen für Flüchtlingsunterkünfte in der Haarlemer Straße und insbesondere die auf dem Bewag-Sportplatz sei eine »Posse, die man niemandem erklären kann.« Die Sozialverwaltung der letzten Wahlperiode unter Mario Czaja (CDU) habe »diese Sachen durch Unfähigkeit oder Sabotage in großer Anzahl gegen die Wand gefahren«, meint Biedermann sichtlich verärgert. Mit Notunterkünften werde aktuell viel Schindluder auf dem Rücken der Betroffenen getrieben und auf staatliche Kosten richtig Kasse gemacht. Sozialneid sei aber nach wie vor unangebracht: »Alle die denken, Flüchtlinge bekommen so tolle Sachen, die man selbst auch gerne hätte, sind herzlich eingeladen, eine Nacht im »C&A« zu verbringen«.
Neukölln sei »ein Experimentierlabor für die Republik«, hier würden Konflikte schon immer direkter und härter ausgetragen als in anderen Ecken dieses Landes, sagt Biedermann. Für die Zukunft wünscht er sich »ein solidarisches, gemeinschaftliches Neukölln, das auf sich aufpasst, zusammenhält, gemeinsam Freiräume nutzt, und das wir nicht den Profitmaximierern und Spekulanten überlassen«. Und wo sieht Biedermann Neukölln in zehn Jahren? »Hoffentlich genau da!«, antwortet der Stadtrat, das sei zwar utopisch, aber man werde doch mal träumen dürfen.

jt Zeichnungen: jr