Gestohlene Würde

Denkmale des Leids.                                                                                                                                             Foto:mr

Unbekannte stehlen Stolpersteine, Spenden ermöglichen neue Verlegung

Es wurde sehr still in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), als Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey die Namen der Nazi-Opfer verlas, deren Stolpersteine gestohlen wurden. In der Nacht vom 5. zum 6. November, kurz vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht, wurden die kleinen Gedenktafeln in der Hufeisensiedlung und in Neubritz aus dem Pflaster der Bürgersteige gerissen und entwendet. 16 dieser Steine sind seither verschwunden, vier wurden beschädigt.
Besonders in der Hufeisensiedlung gibt es immer wieder Probleme mit Übergriffen von Nazis. Hier wurden auch die meisten Gedenktafeln entfernt.
»Sich am größten Flächendenkmal Europas zu vergreifen, ist an Dummheit, Geschichtsvergessenheit und Menschenverachtung kaum zu überbieten. Es ist einfach nur erschütternd. Wir werden gemeinsam mit den politisch Engagierten im Bezirk und der Neuköllner Zivilgesellschaft alles dafür tun, dass die Lücken so schnell wie möglich wieder mit neuen Stolpersteinen geschlossen werden können«, sagte Giffey in ihrer Ansprache.»Stolpersteine« ist ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Es sind kleine Betonquader, zehn mal zehn Zentimeter groß, die in den Gehweg vor dem letzten frei gewählten Wohnort von Verfolgten des Nationalsozialismus eingelassen werden. Auf der Oberfläche sind sie mit einer hauchdünnen Messingschicht überzogen. Auf den Steinen steht geschrieben: HIER WOHNTE. Es folgen der Name, das Geburtsjahr, Deportationsjahr und -ort und Angaben zum weiteren Schicksal.
Stolpersteine erinnern an in Konzentrationslager deportierte Juden, an Sinti und Roma, an Menschen aus dem politischen oder religiös motivierten Widerstand, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Opfer der »Euthanasie«-Morde und an Menschen, die als vermeintlich »Asoziale« verfolgt wurden.
Die Schändung der Steine hatte eine überwältigende Solidarität der Neuköllner zur Folge. Direkt nachdem die ersten Stolpersteine verschwunden waren, startete die Initiative »Hufeisern gegen Rechts« eine Spendenaktion, um die Messingtafeln so schnell wie möglich zu ersetzen. Dadurch sei inzwischen so viel Geld zusammen gekommen, berichtete Giffey, dass nicht nur die gestohlenen Steine ersetzt, sondern die Verlegung weiterer Steine finanziert werden könne. Inzwischen hat auch das Immobilienunternehmen »Deutsche Wohnen«, dem ein Großteil der Häuser in der Hufeisen-Siedlung gehört, angekündigt, die Kosten für den Ersatz der dort entwendeten Gedenksteine zu übernehmen. Damit haben die Täter vor allem eines erreicht: In Neukölln wird es ab Mitte Dezember mehr Stolpersteine geben als vorher.
Grüne, SPD und Linke brachten einen Entschließungsantrag mit dem Titel »BVV Neukölln verurteilt Zerstörung und Diebstahl von Stolpersteinen« ein. An die Täter gerichtet heißt es darin: »Ihr Verbrechen kann die Erinnerung nicht auslöschen. Wir werden der Opfer des Nationalsozialismus auch weiterhin ehrend gedenken«. Dem schlossen sich alle Bezirksverordnete an, nur ein AfD Mann ent­hielt sich der Stimme.

mr