Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 206 – Dienstag, 4. September 1917
Gegen die hohen Absätze. Mit Rücksicht auf die in letzter Zeit vorgekommenen schweren Unfälle, bei denen Schaffnerinnen überfahren, getötet oder schwer verletzt worden sind, haben die Preußischen Eisenbahnverwaltungen den Schaffnerinnen das Tragen von Schuhen mit hohen Absätzen verboten.

Nr. 212 – Dienstag, 11. September 1917
Die Vorschriften für die feindlichen Ausländer werden jetzt in Berlin auch für die chinesischen Staatsangehörigen angewendet, nachdem uns China den Krieg erklärt hat.

Nr. 218 – Dienstag, 18. September 1917
Kritik verbeten. Im Neuköllner Magistrat hatte man wiederholt scharfe, aber nicht unberechtigte Kritik an der Art und Weise geübt, wie verschiedene Reichsstellen für die Lebensmittelversorgung der Städte, insbesondere des arbeiter= und kinderreichen Neukölln, sorgen. Man hatte sich deswegen auch an das Kriegsernährungs­amt gewandt. Dieses gab dem Magistrat kurzerhand den Bescheid, die Stadt habe sich nur an die Verteilungsstelle Großberlin zu wenden. Jetzt ist auch ein Schreiben des Ministers des Innern eingetroffen, aus dem hervorgeht, daß die Reichs=Lebensmittelstellen sich in einer Eingabe an den Minister die Kritik der Stadt Neukölln verbeten haben. Der Minister des Innern fordert nun den Neuköllner Magistrat zur Rückäußerung auf. Wie mitgeteilt wird, ist der Magistrat nicht geneigt, sich seine freie Meinungsäußerung verbieten zu lassen, sondern ist in einer kräftigen Rückäußerung, worin er in entschiedenen Worten sein Verhalten verteidigt, nichts schuldig geblieben.

Nr. 225 – Dienstag, 25. September 1917
Saure Milch. Die Lebensmittelversorgung der vergangenen Woche war in Großberlin besonders schlecht. Nicht nur, daß es an Fleisch fehlte, auch Gemüse gab es so gut wie gar nicht. Außerdem aber ist die gelieferte Vollmilch, wie uns von zahlreichen Kleinhändlern und auch aus den Kreisen der Verbraucher gemeldet wird, zum großen Teil sauer und zur Kinderernährung ungeeignet gewesen. Bei der allgemeinen ungünstigen Lage des Großberliner Lebensmittelmarktes ist das sehr bedauerlich. Gerade jetzt wird jeder Tropfen Milch für die Kinder gebraucht. Die Fettstelle Großberlin wird sich zu den Beschwerden äußern müssen. Es ist schon angeregt worden, diese Mißstände, die sich in den letzten Wochen mehrfach gezeigt haben, in den Stadtverordneten=Versammlungen zur Sprache zu bringen.

Nr. 226 – Mittwoch, 26. September 1917
Wo bleibt das Gemüse? Wir leben jetzt in der Zeit des besten Herbstgemüses. Es ist bei der günstigen Witterung der zweiten Hälfte des Sommers viel davon gewachsen und gut gereift. Bloß auf dem Markte der Großstädte ist keins zu finden. Auch hier das häßliche Versagen der Organisation. – Dann die Fische! Vor längerer Zeit wurden »Fischgesellschaften« gegründet, Sammelgesellschaften, Verteilungsgesellschaften oder so ähnlich. Sie sollten sogar, wie mitgeteilt wurde, bei der Verteilung und Zuweisung der Fischarten auf den »Geschmack« der Bevölkerung Rücksicht nehmen. Seit dieser Gründung haben aber Berlin und Umgebung von Fischen noch erheblich weniger zu sehen bekommen als früher. Wenn die Fischgesellschaften der Bevölkerung dauernd gar nichts liefern können, so daß der Zustand jetzt bedeutend schlechter ist als vor dem Bestehen dieser staatlichen Gründung, dann hält es wirklich sehr schwer, den Zweck der wahrscheinlich kostspieligen Organisation einzusehen. Die dort beschäftigten Herrschaften könnten dann vielleicht dem Vaterlande in anderer, nützlicher Weise dienen.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1917 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Vom Feld in die Kriegshölle

China half, die Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten

Der erste Weltkrieg war vor allem ein europäischer Krieg, doch auch die Chinesen bestimmten den Verlauf mit. Dabei war China selbst gar nicht an den militärischen Auseinandersetzungen beteiligt. Zu sehr war das Reich mit inneren Unruhen beschäftigt, nachdem 1911/12 die Monarchie gestürzt wurde und der Revolutionär Sun Yat-sen die Republik China ausgerufen hatte. Durch den Kriegseintritt 1917 hoffte China auf den Beistand seiner europäischen und amerikanischen Alliierten bei der Sicherung seines Territoriums gegen Japan. Die Japaner hatten schon im November 1914 die deutsche Kolonie Kiautschou eingenommen und auch auf andere Gebiete Chinas ein Auge geworfen.
In Europa zeichnete sich schon früh ab, dass der militärische Konflikt in einen langen, zähen und verlustreichen Stellungskrieg münden würde. Um die Soldaten zu unterstützen, griffen vor allem die Briten und Franzosen auf ausländische Arbeitskräfte zurück, die im Hinterland materielle und logistische Aufgaben übernahmen. Die meisten wurden zwangsweise aus den Kolonien der beiden Großmächte herangezogen. Bis zu 140.000 von ihnen waren jedoch freiwillige Arbeiter aus China.

Ein chinesischer Arbeiter in der Nähe der Front gönnt sich eine kleine Auszeit.       Foto: historisch

Die meisten dieser Chinesen waren verarmte Bauern, die weder lesen noch schreiben konnten. Sie kamen vor allem aus der mandschurischen Provinz Shandong und waren in China schlechte Lebensbedingungen gewohnt. Fast alle waren jung – zwischen 20 und 40 Jahre alt – und kannten nichts anderes als harte körperliche Arbeit. Viele wurden gnadenlos ausgebeutet. Sie mussten Schützengräben ausheben oder arbeiteten direkt hinter der Frontlinie, während um sie herum die Bomben einschlugen. Andere halfen in der Rüstungsindustrie, auf Schiffswerften und in Maschinen- und Flugzeugfabriken. Sie hielten Straßen und Eisenbahnlinien instand, bewirtschafteten Wälder, schufteten in den Kohleminen und leisteten so einen immensen Beitrag dafür, die Kriegswirtschaft in Frankreich in den Jahren 1916 bis 1918 aufrechtzuerhalten.

mr