Sankt Martin besucht die fromme Helene

Hoher Besuch.                                                                                                                                                                                  Foto: pr

Kanzlerkandidat in der Helene-Nathan-Bibliothek

Einen solchen Menschenauflauf hat die Helene-Nathan-Bibliothek sicherlich noch nie gesehen, wie an dem Tag, als der Bundeskanzlerkandidat Martin Schulz, gefolgt von Bodyguards und Kamerateams, ein­lief, um sein Bildungsprogramm vorzustellen.
Der gelernte Buchhändler fühlte sich zwischen den Buchstaben sichtlich wohl. Begleitet wurde er von Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey, dem Bundestagsabgeordneten Fritz Felgentreu, Bildungsstadtrat Jan-Christopher Rämer und dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Hubertus Heil (alle SPD).
In ihrer Begrüßungsrede wies Giffey auf die Bildungsmissstände in Neukölln hin und appellierte an die gemeinsame Verantwortung »für unsere Berliner Kinder«.
Schulz, der selbst die Schule abgebrochen hat und über den Weg der Berufsausbildung gerettet wurde, wie er sagt, erkennt die »epochale Bedeutung des Themas«. Er sieht das Bildungssystem als sozial ungerecht und will viel Geld in die Hand nehmen, um das zu ändern.
Deutschland gibt im Vergleich zu anderen Ländern sehr viel weniger Geld für Bildung aus. In einem so reichen Land muss in seinen Augen mehr möglich sein. Im ersten Schritt will Schulz das Kooperationsverbot aufheben, das verhindert, dass der Bund direkt in Schulen investiert. Er vertritt die Meinung, dass mehr Zeit zum Lernen aufgewendet werden muss und fordert eine Million neuer Ganztagsschulplätze und das Abitur nach 13 Jahren. Schule soll die Menschen nicht einfach nur für den Arbeitsmarkt verwertbar machen, sondern die Grundlage dafür schaffen, das Leben zu meistern.
Aufgrund seiner persönlichen Erfahrung hat Schulz auch die Berufsbildung im Blick. Internationale Austauschprogramme, die im Hochschulbereich schon gut funktionieren, sollen auch in der beruflichen Bildung gefördert werden. Das sei in einer globalisierten Welt unerlässlich. Neben einer nationalen Bildungsallianz fordert er daher auch eine bundesweite Berufsschul­initiative.
Mit dieser weitreichenden Reform soll nicht weiter »herumgedoktert«, sondern klare Vereinbarungen geschaffen werden. »Ich bin Föderalist, aber auch für gleiche Lebens- und Lernbedingungen.« Damit beschreibt er das Spannungsverhältnis zwischen Bund und Ländern.
Um so ein kostspieliges Programm zu finanzieren, sind Steuergeschenke ausgeschlossen. Allerdings würden durch diese Investitionen wiederum viele Menschen entlastet werden, vor allem Familien. »Arbeit und Familie darf keine doppelte Last sein, sondern eine doppelte Freude.« Das Geld sei ohnehin besser in der Bildung als in der Rüstung aufgehoben.
Dass gute Erfahrungen mit dem Bildungssystem auch das Vertrauen in den Staat stärken, berichtete Bildungsstadtrat Rämer. Er konnte Dank BAföG studieren und appelliert daher vor allem an die »Schulpflicht« des Bundes. Bildung sei kein optionales Angebot, sondern oberste staatliche Pflicht.

jt/ro