In Geiselhaft

Junge Franzosen und die Präsidentschaftswahlen

»Ich bin wirklich furchtbar enttäuscht von den Ergebnissen. Heute habe ich das Gefühl, die Wahl zu haben zwischen einer, die Ausländerhass predigt und einem, der die Armen verachtet«. Während die deutschen Medien die Ergebnisse der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl mit Erleichterung, ja beinahe wohlwollend aufnahmen und Macrons Führung begrüßten, sind viele junge Franzosen am Rande der Verzweiflung. So auch Clémence, die gerade ein Erasmusjahr an der Freien Universität macht und in Neukölln wohnt.

Seine oder ihre Seine?                                                                                                                                                                  Foto: jt

Die Anfang Zwanzigjährige hat für den linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon gestimmt, wie viele in ihrem Alter, obwohl sie nicht mit allem, was er sagte, einverstanden war. Auch Hugo, der in Berlin Architektur studiert und mit seiner Freundin in Neukölln lebt, fühlte sich Mélenchon am nächsten, aber konnte sich mit dessen Europa­skepsis nicht anfreunden. So ging es den meisten jungen Franzosen. Sie entschieden im Ausschlussverfahren, wer für sie noch der akzeptabelste unter den Kandidaten war, ohne eine besondere Leidenschaft für diese Riege machterprobter weißer Männer mittleren Alters empfinden zu können.
Als die Ergebnisse bekannt gegeben wurden, hätte sie am liebsten geweint, sagt Clémence. Die Geschichtsstudentin wollte dann in der zweiten Runde eigentlich gar nicht wählen, wird Macron aber nun doch ihre Stimme geben, aus Angst, Le Pen könnte am Ende gegen ihn gewinnen. Das müsse unbedingt vermieden werden, denn »in Frank­reich mit unserem politischen System, wählen wir einen König«, sagt Clémence. Mélenchon hatte eine Verfassungsänderung angekündigt, das hatte ihr an seinem Programm gefallen.
Das ist auch der Unterschied zu Deutschland und der Grund, weshalb Clémence glaubt, dass es der AfD nie so einfach gelingen würde, an die Spitze des Staates zu gelangen. Dafür sei die Macht auf zu viele verschiedene Ebenen verteilt. In Frankreich sagen manche Beobachter, dass Macron heute Le Pen in fünf Jahren bedeutet. Hugo hofft, dass es zumindest Mélenchon in fünf Jahren sein wird.
Bei der nächsten Wahlrunde wird entscheidend sein, was die Mélenchon-Wähler tun: Nicht-wählen und wenn doch, wen? Der linke Kandidat hat keine Wahlempfehlung ausgesprochen. »Ich fühle mich, als wäre ich in Geiselhaft genommen», sagt Clémence. 
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