Zwangsheirat ist Menschenrechtsverletzung

Expertinnen berichten über Hilfestellung für Mädchen

Viele junge Mädchen dürfen nicht selber entscheiden, wen sie heiraten wollen. Ihre Eltern suchen den künftigen Ehemann aus, denn sie wissen am besten, was gut für die Kinder ist, so die Begründung. Außerdem sei es ihre Aufgabe, die Töchter vor schlechten Einflüssen zu schützen und die Familienehre zu sichern. Häufig werden Mädchen bereits mit 13, 14 oder 15 Jahren verheiratet. Um mehr über diese Problematik zu erfahren, hatte die Neuköllner Gleichstellungsbeauftragte Sylvia Edler am 9. März zu einem Podiumsgespräch mit Expertinnen aus der Jugendarbeit ins Rathaus geladen.

Sechsfache Frauenpower.                                                                                                                                                      Foto: mr

Begrüßt wurden die Anwesenden von Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey, die die Gelegenheit nutzte, einer Mitarbeiterin von »Madonna Mädchentreff« einen Scheck über 500 Euro zu überreichen, ihr Honorar für den »Hauptstadtbrief«, in dem sie sich bereits 2015 zu dem Thema äußerte. »Zwangsverheiratung ist eine Form von Gewalt, die gegen die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, verstößt, und keine kulturell bedingte Tradition, die zu tolerieren ist. Das ist nicht das Modell, von dem wir glauben, dass Mädchen danach leben sollten«, sagte sie.

Unterstützung für Mädchenarbeit. Foto:mr

Kinderehen in Flüchtlings- und Migrantenfamilien in Deutschland, legitimiert von Imamen, seien keine Einzelfälle, sagte die Soziologin und Frauenrechtlerin Necla Kelek. Sie bestehen nicht einmal außerhalb der deutschen Gesetze, denn es gelte der juristische Grundsatz, dass Verträge oder Ehen, die im Ausland geschlossen werden, nach den Gesetzen der Herkunftsländer zu beurteilen seien. Außerdem wurde 2009 das Gebot »keine kirchliche Trauung ohne vorherige standesamtliche Trauung« aufgehoben. Das erlaubt Kirchen, Paaren, bei denen die Partner jeweils verwitwet sind, den kirchlichen Segen zukommen zu lassen, ohne dass sie staatlich getraut werden müssen. Damit gilt aber auch für Muslime und ihre Imam-Ehen die Standesamtspflicht nicht mehr. Sie fordert deshalb, dass beide ehewilligen Partner volljährig, also mindestens 18 Jahre alt sein müssen, Ehen nur anerkannt werden dürfen, wenn sie freiwillig und vor einem Standesbeamten geschlossen werden, und religiöse Eheschließungen wie Imam-Ehen ohne vorherige standesamtliche Registrierung als nichtig anzusehen seien.
Marion Thurley vom Neuköllner Jugendamt beschrieb die Zwickmühle, in der Mädchen aus Migrantenfamilien stecken, so: »Die Mädchen haben oftmals so starke familiäre Bindungen, dass sie gar keine Möglichkeit sehen auszubrechen. Sie entwickeln kein Selbstbewusstsein.«
Mädchen stark machen für ein selbstbestimmtes Leben will der Verein »Boxgirls Berlin e.V.«. Wir wollen die Mädchen dafür sensibilisieren, dass es nicht normal ist, dass in den Familien geschlagen wird, und dass es nicht normal ist, dass die Mädchen zu Hause putzen und die Betreuung der jüngeren Kinder übernehmen, während die Jungs ihre Freiheit genießen«, sagte Boxtrainerin Linos Bitterling. Gerade der Boxsport könne lehren, wie Grenzen gesetzt werden.
Mädchen, die Hilfe suchen, können sich an die Kriseneinrichtung »Papatya« wenden. »Viele der Mädchen haben bereits einen Freund«, berichtete die Vertreterin der Einrichtung. »Wenn das auffliegt, kann es Lebensgefahr bedeuten.« Häufig hilft dann nur der radikale Bruch mit der Familie, möglicherweise sogar eine neue Identität. 

mr