Draußen vor der Tür

Zahl der Wohnungslosen steigt aufgrund des Wohnungsmarktes

Bis 2018 prognostiziert die Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungshilfe (BAG) einen Zuwachs an Wohnungslosen von 60 Prozent, sollte sich die Wohnungs- und Sozialpolitik nicht nachhaltig ändern. Die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, ist seit 2012 um 50 Prozent gestiegen. Vor allem in den Ballungszentren mit sozial schwächeren Vierteln wird sich der Anstieg bemerkbar machen.
Neukölln ist wesentlich von diesem Problem betroffen. Der angespannte Wohnungsmarkt in Berlin sorgt dafür, dass Menschen vermehrt in prekären Verhältnissen wohnen, ihre Wohnung leichter verlieren und dann den Sprung zurück auf den ersten Wohnungsmarkt nicht schaffen. Laut BAG spiele die wachsende Zuwanderung von EU-Bürgern und Asylbewerbern höchstens eine Rolle als Katalysator, die wesentlichen Ursachen lägen jedoch in einer seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik und einer unzureichenden Armutsbekämpfung.Das trifft auch auf Berlin zu. Nachdem massenweise kommunaler Wohnungsbestand verkauft und Stellen in der Verwaltung abgebaut wurden, haben die Bezirksämter weder genügend Wohnungen für Menschen mit sozial- oder ordnungsrechtlichem Anspruch auf Unterbringung, noch das nötige Personal, um die Fälle gründlich und zeitnah zu bearbeiten.
Um die Situation langfristig zu entspannen, muss schlichtweg mehr bezahlbarer und geschützter Wohnraum her. Auf der Fachtagung des »Amaro Foro e.V.« zum Thema Wohnungslosigkeit kündigte Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey den Bau von 20.000 Wohnungen in Neukölln an. Bis dahin müssen aber auch die Privateigentümer mehr in die Pflicht genommen werden, denn ihnen gehören 84 Prozent des Berliner Wohnbestands.
Die desolate Situation bekommen insbesondere Sozialarbeiter, Stadtteilmütter und Ehrenamtliche zu spüren. Ihre Arbeit ist frustrierend und mühsam. Das Gefühl, nicht mehr weiter zu wissen, abgewiesen zu werden oder mit rechtswidrigen Praktiken der Bezirksämter konfrontiert zu sein, gehört hier zum Alltag. Die Berliner Sozialarbeiterin Petra Schwaiger betont, dass es sich um ein strukturelles Problem handle und nicht um eine Vielzahl von Einzelfällen. »Obdachlosigkeit stellt per se eine Gefahr für die Gesundheit dar«, sagt Schwaiger, die beim Verein »Frostschutzengel« tätig ist. Obdachlose werden vermehrt Opfer von Übergriffen und Gewalt und sind die gesellschaftlich mit am meisten ausgegrenzte Gruppe.
In vielen Fällen kann rechtlich gegen Obdachlosigkeit vorgegangen werden, doch das ist sogar in den Bezirksämtern oft noch unbekannt. Der in der Nähe des Hermannplatzes ansässige Rechtsanwalt Benjamin Düsberg hat schon mehrere Klagen auf Unterbringung ausgefochten. Die Bezirksämter seien für die Unterbringung akut Obdachloser nicht nur zuständig, sondern dazu verpflichtet, erklärt er, so dass eine Abweisung des Hilfesuchenden rechtswidrig und sogar eine Beschlagnahme gerechtfertigt wäre. Eine solche Maßnahme scheint drastisch. Aber vielleicht brauche es mittlerweile auch drastische Maßnahmen, sagt Schwaiger. Auch Düsberg plädiert für ein Umdenken, denn gegen jede Art der Diskriminierung könne man rechtlich vorgehen, nur nicht gegen Armutsdiskriminierung. Die sei unserem Wirtschaftssystem immanent.

jt