Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. RempeNK_Tagblatt-Kopf

Nr. 53 – Donnerstag, 04. März 1915
Pappelabholzung auf dem Tempelhofer Felde. Mehr als ein Dutzend alter Pappeln, die den Ringbahndamm in der Nähe des Bahnhofs Papestraße gegen die Westseite des Tempelhofer Feldes begrenzten, sind nunmehr der Axt zum Opfer gefallen. Das Gelände am Ringbahndamm, das der Eisenbahnverwaltung gehört, wird gegenwärtig für Laubenkolonisten hergerichtet und parzellenweise an Beamte und Arbeiter der Staatsbahn vergeben, um mit der Bestellung von Frühkartoffeln und Gemüse zu beginnen. Da die alten Bäume sehr viel Platz beanspruchten und auch infolge ihres Schattens dem Gemüseanbau hinderlich sind, mußten sie leider das Feld räumen.

Nr. 55 – Sonnabend , 06. März 1915
Der Stärkemangel. Der Krieg rüttelt auch an Dingen, die man früher kaum geachtet hat. Er nimmt uns Annehmlichkeiten, auf die wir erst aufmerksam werden, wenn wir sie nicht mehr haben. So steht fest, daß die Stärke, das für die Wäscheindustrie sehr wichtige Erzeugnis, äußerst knapp zu werden beginnt. Die großen Wäschefabriken haben im Frieden Weizenmehlstärke verwandt, von der hundert Kilo etwa 50 Mark kosteten. Das Weizenmehl ist aber jetzt beschlagnahmt, und die geringen noch vorhandenen Vorräte werden mit 136 Mark für hundert Kilo gehandelt. Einstweilen sind die Fabriken noch mit gewissen Vorräten versehen, sind diese aber erschöpft, dann müßten Ersatzmittel gefunden werden. Ob dies gelingt, ist noch die Frage. Die Wäschereien Großberlins haben hauptsächlich Reisstärke verbraucht; ihr Preis ist jetzt von 60 Mark auf 120 Mark heraufgeschnellt, denn die Reisvorräte in Deutschland sind gering und werden in erster Linie für Ernährungszwecke beansprucht. Da wir den Reis nur vom Ausland beziehen, so ist vorläufig die Anfertigung der Reisstärke so gut wie völlig unterbunden. Heute schon besteht ein großer Mangel in den größeren Wäschereien, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle Vorräte erschöpft sind.

Nr. 71 – Donnerstag, 25. März 1915
Ostereier in Feldgrau. Die Hasen rüsten sich, um allen an sie herantretenden Ansprüchen zum Osterfest genügen zu können. Sie haben bereits den Geschäften für Zuckerwerk erkleckliche Mengen geliefert, und die fabulösen Erzeugnisse ihrer Legeversuche locken schon lange vor der ungewöhnliche Kräfte verleihenden Osternacht in den Schaufenstern zum Kauf. Mit Staunen beobachtet man, wie tüchtig sich die Osterhasen den Zeitverhältnissen angepaßt und richtige Kriegsostereier mit oder ohne Eiserne Kreuze gelegt haben. Der Anblick der vielen durch die Fluren ziehenden feldgrauen Soldaten scheint auch auf die Farbe der diesjährigen Ostereier gewirkt zu haben, denn man sieht jetzt – kaum glaubt man seinen Augen zu trauen – Ostereier aus Marzipan oder Schokolade sogar in feldgrauer Farbe. Mehr kann man wahrhaftig von den Hasen nicht verlangen, und fast scheint dies des Guten schon zu viel zu sein. Auch Ostereier sind zur Welt gekommen, die schon in der Stunde ihrer Erzeugung den goldenen Reichsadler oder den österreichischen Doppeladler auf ihre Schale erhielten. Nicht minder aktuell sind die Formen der Ostereier. Sogar mit 42=Zentimeter=Mörser­geschossen haben sich die Hasen abgequält und sie, wenn auch nicht in den Originalmaßen, so doch in respektabler Größe aus Schokolade zur Welt gebracht. Fast alle Waffengattungen können so dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen der Hasen die ihnen zukommenden Ostereier ins Feld gesendet bekommen.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1915 übernommen. Das Original befindet- sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Gestärkte Wäsche wird zum Luxus

Nahrungsmittelknappheit wirkt sich auf Großwäschereien aus

Die Mode vergangener Jahrhunderte verlangte, dass Wäsche und Kleider gestärkt wurden. Nur so kamen die Rüschen, Volants und Spitzen der Damenkleider voll zur Geltung. Die Herren waren sehr darauf bedacht, dass die Kragen und Manschetten der Hemden ordentlich gestärkt wurden. Aber auch Bettwäsche, Tischdecken und Servietten wurden gestärkt.

hoffmanns_staerke_mit_der_katze_w0376976
Vor dem Krieg ein Alltagsprodukt.           Foto: historisch

Die Stärke verlieh der Wäsche und den Kleidungsstücken nach dem Bügeln zudem einen besonderen Glanz.Gestärkte Wäsche blieb auch länger sauber, da der Schmutz durch die Appretur nicht so schnell in das Gewebe eindringen konnte.
Die Stärkemittel wurden hauptsächlich aus Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Reis, Weizen oder Mais gewonnen.
Aber was vor dem Krieg zum Alltag gehörte, wurde mit Kriegsbeginn schnell rar und bald zu einem unerschwinglichen Luxus. Bereits im ersten Kriegsjahr führten der Wegfall von Importen infolge der Unterbrechung traditioneller Handelsbeziehungen – unter anderem durch die britische Seeblockade – in Deutschland zu beträchtlichen Störungen bei der Lebensmittelversorgung. Im weiteren Verlauf des Krieges wurden immer mehr Nahrungsmittel rationiert. Jetzt ging es ums bloße Überleben. Schön gestärkte Wäsche war da eher zweitrangig.

mr