Neuköllner Alltägliches

NK_Tagblatt-KopfNachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Nr. 1 – Freitag,  01. Januar 1915
Wenn wir Weißbrot und Kuchen, so wie wir es bisher gewohnt waren, weiter essen, wird unser Vorrat an Weizen höchstens noch bis zum April reichen. Früher wurde unser deutscher Weizenvorrat durch eine Zufuhr von etwa vierzig Millionen Zentnern aus dem Auslande ergänzt, von dieser Zufuhr sind wir jetzt abgeschnitten. Es heißt also, sich beizeiten daran zu gewöhnen, nur Roggenbrot zu essen. Dies ist für gesunde und kräftige Menschen nicht schwer, für schwache und kranke aber um so schwerer. Darum ist es die Pflicht jedes gesunden Menschen, schon jetzt auf Weißbrot und Kuchen zu verzichten, damit das Weizenmehl für die, die es nur sehr schwer entbehren können, länger reicht. Es geziemt sich auch nicht, daß wir uns hier in Festkuchen, Stollen, Pfannkuchen, feinen Backwaren usw. gütlich tun, während die Blüte unserer Nation draußen im blutigen Ringen steht und den größten Entbehrungen ausgesetzt ist. Wir müßten uns schämen, wenn wir nicht einmal ein so kleines und unbedeutendes Opfer zu bringen vermöchten. Weihnachten ist vorüber, und es sind gewaltige Mengen von Weizenmehl zu Kuchen verwendet worden. Damit ist es aber genug. Von jetzt ab gehört kein Kuchen mehr in ein deutsches Haus. Betä­tigt diese Gesinnung auch schon zu Neujahr!

Nr. 6 – Freitag,  08. Januar 1915
Ausfuhrverbot für elektrische Taschenlampen. Die Handelskammer zu Berlin weist besonders darauf hin, daß das Ausfuhrverbot für elektrische Taschenlampen auch auf deren Bestandteile ausgedehnt ist, so daß auch verboten ist die Ausfuhr zum Beispiel von Trockenbatterien, Glühlämpchen, Messingsockeln, Glühdrähten und Glasballons für die Fabrikation von Glühlämpchen, kurz alle zur Verwendung bei der Fabrikation von Taschenlampen hergerichteten Waren. Ferner ist die Ausfuhr von Taschenfeuerzeugen mit Zerreißzündern verboten.

Nr. 12 – Freitag,  15. Januar 1915
Kaisers Geburtstag in Neukölln. Von einem Festessen im Rathauses aus Anlaß des Geburtstags unseres Kaisers wird in diesem Jahre Abstand genommen. Dagegen werden die städtischen Körperschaften an dem Festgottesdienst in der Magdalenen=Kirche teilnehmen. In den einzelnen Schulen finden die üblichen Feiern statt. Am Vorabend von Kaisers Geburtstag, den 26. Januar ist ein Fackelzug mit Zapfenstreich der Jugendkompagnien durch die Stadt in Aussicht genommen.

Nr. 15 – Dienstag, 19. Januar 1915
Strickt Strümpfe! Es ist bekannt geworden, daß erfreulicher Weise unsere Truppen im allgemeinen jetzt mehr als je mit warmen Unterkleidern versehen sind. Nur einzelne haben aus irgendeinem Grunde von dem großen Zustrom nichts erhalten und müssen auch jetzt noch nach Kräften mit dem Nötigen versehen werden. Aber die augenblicklich günstige Lage soll uns nicht vergessen lassen, daß die Wollsachen, die jetzt in den Händen unserer Krieger sind, bald aufgebraucht sein werden, und daß also nichts verkehrter wäre, als mit dem Stricken aufzuhören. Man halte sich also nach wie vor an die Beibringung von wollenen Socken, Pulswärmern, Handschuhen, Ohrenschützern, Halstüchern und »Sturmhauben«.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1914 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Fackelzüge, Feiern und schulfrei

Kaisers Geburtstag als nationales Großereignis

Kaiserbild
Das Geburtstagsambiente für Kaiser Wilhelm II.                                       Historisches Foto

Kaiser-Geburtstag, das war für die meisten seiner Untertanen ganz selbstverständlich der höchste Feiertag im Jahr, der, obwohl nicht arbeitsfrei, trotzdem mit großem Aufwand begangen wurde.
Der 27. Januar war aber nicht nur ein gewöhnlicher Feiertag, sondern ein perfekt ins­zeniertes Großereignis, dass die nationale Gesinnung stärken und die Persönlichkeit des Kaisers glorifizieren sollte. Außerdem lenkten die Feiern die Aufmerksamkeit der Nachbarstaaten auf das Kaiserreich und demonstrierten dessen Einheit und Geschlossenheit.
Meist befand sich die gesamte Bevölkerung auf den Beinen, um den besonderen Ehrentag zu begehen. Die Straßen wurden geschmückt, es gab Parademärsche und Fackelzüge, Festansprachen und Feiern. Geschichtsvorträge berichteten von des Kaisers vorbildlichem Leben und seinen Heldentaten. Vielfach gab es Gottesdienste, in denen für das Wohl des Kaisers gebetet wurde. Im Anschluss daran wurde dann meist im Kaffee- oder Wirtshaus mit der Familie, Freunden und Bekannten gefeiert.
Auch in den Schulen gab es Festakte und anschließend schulfrei für die Kinder. Die Klassenräume wurden mit Tannengrün, Efeu und Stechpalmen geschmückt. Es wurden Ansprachen und Lobreden gehalten. Die Schüler trugen Gedichte vor und sangen Lieder mit patriotischem oder kaiserverherrlichendem Inhalt, wie »Der Kaiser ist ein lieber Mann, er wohnet in Berlin, und wär das nicht so weit von hier, so ging ich heut‘ noch hin.« 

mr