Verschüttete Erinnerung an einen Völkermord

Die Suche nach dem Umgang mit der kolonialen Vergangenheit

Weiße Masken, halb versunken im rötlichen Sand – sie muten an wie ein Massengrab, das die Gebeine der Toten wieder freigegeben hat. Die Kunstinstallation »They Tried to Bury Us« der namibischen Künstlerin Isabel Tueumuna Katjavivi ist das Kernstück der am 4. Oktober im Museum Neukölln eröffneten Ausstellung »Buried Memories«. Die Masken aus ungebranntem Ton stellen alle dasselbe Gesicht dar, nämlich Katjavivis.

Masken für die Erinnerung.    Foto: mr

Der Untertitel der Ausstellung »Vom Umgang mit dem Erinnern« formuliert zugleich den Auftrag an die Stadtgesellschaft: Wie wollen wir künftig mit der Verantwortung für das koloniale Erbe Deutschlands umgehen?
Die Masken sollen den rund 70.000 Menschen ein Gesicht geben, die Opfer des Völkermordes an den Ovaherero und Nama wurden, begangen zwischen 1904 und 1908 von deutschen Soldaten in Namibia. Gleichzeitig thematisieren sie das Verdrängen, das Nicht-Sehen-Wollen, das Vergessen – und auch den Kampf um das Gesehen-Werden.
Um die Ausstellung zu betreten, müssen die Besucher eine Kälteschutzfolie durchschreiten, auf die Bilder projiziert werden – Fotos des sogenannten »Hererosteins« auf dem Garnisonfriedhof am Columbiadamm. Er erinnert an sieben deutsche Soldaten, die im damaligen Deutsch-Südwestafrika gestorben sind. Dieser Stein ist seit Jahren ein Streitpunkt in Neukölln. Die Bezirkspolitik einigte sich 2009 nach langer Diskussion auf eine Gedenkplatte, die neben dem Stein angebracht wurde. »Zum Gedenken an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia 1884–1915 insbesondere des Kolonialkrieges von 1904–07«, heißt es darauf. Kein Wort von Völkermord, keine Opferzahlen, keine Erwähnung der Herero und Nama.
Einen »Stein des Anstoßes« nannte ihn der Leiter des Museums Neukölln, Matthias Henkel, in seiner Begrüßungsansprache und fragte: »Wie gehen wir mit dieser Geschichte um? Was machen wir mit den Spuren des Kolonialismus im Stadtbild?«
»Es ist sehr wichtig, dass wir uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen«, erklärte Bezirksbürgermeister Martin Hikel und nannte den Stein »eine unvorstellbare Fehldeutung der Geschichte«.
Israel Kaunatjike, ein in Namibia geborener Ovaherero, der seit 1970 in Berlin lebt, wies im Gespräch mit Matthias Henkel darauf hin, das sich nach wie vor sterbliche Überreste von Afrikanern, die in Kolonialkriegen getötet wurden, in deutschen Museen und Forschungseinrichtungen befinden. Die heute vor dem Stein liegende Platte ist aus seiner Sicht absolut inakzeptabel. Er sei aber »glücklich, dass jetzt offensichtlich die Bereitschaft im Bezirk Neukölln besteht, in einen Dialog miteinander einzutreten, wie wir einangemessenes Erinnern künftig gemeinsam gestalten wollen.«
Eigens für diesen Diskussionsprozess wurde eine Jurte im Garten des Museums aufgestellt, die Platz für Diskussionen, Workshops und mehr bieten soll, um einen zeitgemäßen Umgang mit dem kolonialen Erbe zu entwickeln. Am Ende soll eine Handlungsempfehlung für den Bezirk Neukölln stehen, wie mit dem »Hererostein« umgegangen werden soll.

mr
Die Ausstellung ist noch bis zum 21. Juli 2024 im Museum Neukölln zu sehen.