Hausgemachte Zündstoffe und Rauschessenzen

»Mondhügel« berauscht in einstiger Reuterkiez-«Oase«

Dichte Schwaden, verwurzelte Nachbarschaft, reife Bedienungen, Bediente und Glücksspielende, Schnaps und gepflegte Biere – die »Oase« war und ist Nordneuköllner Legende, Krankheit und Alter machten ihr ein Ende. Schnaps gibt es hier jetzt wieder. Doch keinen Asbach oder Pfeffi, sondern puren Naturgeschmack, als Longdrink, Cocktail oder pur.

SCHNAPSIDEEN.        Foto: hlb

Das Team vom »Mondhügel« hat die Eckkneipe gründlich, aber nicht bis zur Unkenntlichkeit entkernt und zu flexiblen Räumen umgestaltet. »Naked Drinking« heißt es nun hier. Doch auch Bekleidete bekommen die hausgemachten Flüssigkeiten serviert, insbesondere Spirituosen und Sirupe, aus echten Botanicals ohne zusätzliche Aromen, die daher durchaus anders und puristischer als der gewohnte Fließbandsprit schmecken und aussehen.
Wilden infundierten Wacholder-Gin mit Kubebenpfeffer, Lorbeer und Kaffee, roggigen Neuner Vodka oder Moonshine (aus in Apfelholz beräucherten Pflaumen) als Whiskyalternative, dazu die hausgemachten, zum Mixen oder so Trinken sprudelig aufgießbaren Sirupe wie Tonic, Ing­wer und Mate – das kennt die Kundschaft des »Mondhügels« in der Kreuzberger Markthalle IX bereits. Gin Tonic, Moscow Mule (hier als Kreuzberg Mule für 6 Euro), Whisky Ginger sowie selbst hergestellter Aperol und Limoncello – als Spritz für 5 Euro –, werden jetzt auch in der Bürknerstraße gemixt. Parfums mit Bergamotte, Holz-Langpfeffer oder Himbeer-Schokolade stehen zum weiteren Verfeinern der Geschmacksbömbchen am Tresen zur Verfügung.
Kaltinfusion bei der Herstellung und wiederverwendbare Verpackung (die gute alte Flasche halt) entsprechen dem Nachhaltigkeitsziel der Mondhügler, wie auch Diversität hier selbstverständlich ist, so dass alle kommen können und sollen. Zudem gilt hier »Pay what you want« – der erste Drink wird regulär bezahlt, für weitere löhnt der Weitertrinker, was er für angemessen hält. Das ist so mutig wie fair. Fairtrade ist übrigens auch alles, will sagen, die lokalen Grundstofflieferanten werden ordentlich bezahlt.
Eine Rebellion im Glas und in der Trinkszene streben die »Mondhügel«-Gründer Philipp und Benito an. Philipp Schmitz ist als »Head of Taste« der Sommelier und Getränkemacher mit Fine-Dining-Hintergrund, der weiß, wie man Fruchtsäfte fermentiert oder aus Blattläusen den roten Aperol-Farbstoff gewinnt; der leidenschaftliche Werbespezi Benito Opitz kümmert sich ums Business, die Markenpflege und -entwicklung und auch um den Tresen.
Alten Oaslern wird das Bier oder ein Weinchen fehlen. Das wollen die Mondhügler aber konsequenterweise erst ausschenken, wenn sie es auch kompromisslos und ohne Vertriebsmittler selbst herstellen können. Bis dahin delektieren und berauschen wir uns hier an den außerordentlichen handgemachten Gebräuen und Mixturen vom Hügel.

hlb
Mondhügel, Bürknerstr. 6, Do – So 18 – 1 Uhr, www.mondhuegel.com, Instagram: mondhuegel