Rolle rückwärts in die 60er

BVV protestiert gegen die Radwegeplanung des Senats

Die neue Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hat die Bezirke aufgefordert, sämtliche Radwegprojekte zu stoppen, die den Wegfall eines Fahrstreifens oder von Parkplätzen zur Folge haben. Die Regelung gelte für alle Maßnahmen, für die noch keine Bauarbeiten vergeben wurden. Damit droht der Verlust und sogar die Rückzahlung von Bundesfördermitteln in Millionenhöhe.

Radweg ins Nichts in der Hermannstraße.    Foto: mr

Welche Auswirkung die Entscheidung der Senatorin auf bereits beschlossene oder begonnene Projekte in Neukölln hat und welche finanziellen Folgen der Stopp für den Bezirk hat, wollten Marko Preuß (SPD) und Jan Stiermann (Grüne) in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 28. Juni in zwei Großen Anfragen wissen.
Da mit dem Bau noch nicht begonnen wurde, geht Baustadtrat Jochen Biedermann davon aus, dass die geplante Radspur in der südlichen Sonnen­allee sowie der geplante zweite Bauabschnitt der Hermannstraße betroffen sind. Werden die Projekte nicht sehr zügig wieder freigegeben, könne der Bezirk nicht in die Ausschreibung der Baumaßnahme gehen, eine Umsetzung in diesem Jahr sei dann wahrscheinlich nicht mehr zu realisieren. Das bedeute auch, dass für die Sonnenallee Bundes-Fördermittel in Höhe von 573.000 Euro, für die Hermannstraße 295.000 Euro aus Landesmitteln verfallen.
»Der Zustand in der Hermannstraße nördlich der Thomasstraße ist unhaltbar, da braucht nichts geprüft werden«, sagte Marko Preuß und lud die Senatorin zu ei­ner gemeinsamen Radtour ein, um die Situation selbst in Augenschein zu nehmen.
Markus Oegel (CDU) meinte, es müssten alle Interessen gleichwertig gewürdigt werden. Der Verfall von Fördermitteln sei spekulativ, und man solle doch in Ruhe abwarten, wie die Senatorin entscheidet. Unterstützung erhielt er von Julian Potthast (AfD), der behauptete, die Mehrheit in der Stadt wolle mit dem Auto fah­ren. Schließlich sei das Auto eine Erfindung, die großen Komfort für die Menschen biete.
Bernd Szczepanski (Grüne) wies darauf hin, dass diese Projekte umfangreiche Bürgerbeteiligungsverfahren durchlaufen haben. »Es wäre wirklich frustrierend, wenn all diese Bemühungen nun umsonst wären. Darüber hinaus droht der Verfall bereits bewilligter Fördergel­der, was eine absolute Verschwendung wäre. So etwas dürfen wir auf keinen Fall zulassen.« Er rief dazu auf, sich gemeinsam dafür einzusetzen, dass diese Projekte weiter vorangebracht werden. »Es geht um unsere Mobilität, unsere Sicherheit und um eine lebenswerte Zukunft für uns alle«, sagte er.
»Wir brauchen in unserer Stadt keine ideologiegeleitete Verkehrspolitik aus den 1960er-Jahren. Was wir brauchen ist eine echte Mobilitätswende. Dafür brauchen wir Radwege, Kiezblocks und eine geänderte Aufteilung des Straßenraums. Die bereits geplante und zum Teil längst finanzierte Radinfrastruktur infrage zu stellen, wirft uns, auch im europäischen Vergleich, um Jahre beim Klimaschutz und in der Verkehrswende zurück«, sagte Jan Stiermann.
In einer von der Grünen Fraktion und der SPD gemeinsam eingebrachten Entschließung spricht sich die Mehrheit der Bezirksverordnetenversammlung entschieden gegen die Radwege-Stopp-Ankündigung aus. »Es kann und darf nicht sein, dass sämtliche bezirkliche Radverkehrsprojekte, um die seit Jahren politisch gerungen wurde, mit einem Federstrich gestrichen werden. Wir werden es nicht hinnehmen, dass Bürgerbeteiligungsverfahren ad absurdum geführt werden und bereits bewilligte Fördergelder verfallen.« CDU und AfD sprachen sich dagegen aus.
Zusätzlich zur Entschließung brachte die Grüne Fraktion einen Antrag in die BVV ein, in dem das Bezirksamt aufgefordert wird, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass alle in Neukölln geplanten Radprojekte wie vorgesehen umgesetzt werden. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken wurde der Antrag angenommen, CDU und AfD stimmten dagegen. mr