Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung, Dienstag, 3. 7. 1923
Keine Verwendung von Kartoffeln zu Branntwein. Der Verwertungsverband deutscher Spiritusfabrikanten hat sich mit dem dringenden Ersuchen an seine Mitglieder gewandt, ihre verfügbaren Vorräte an Kartoffeln, die noch irgendwie zur menschlichen Nahrung verwertbar sind, zur Ablieferung zu bringen und die Verarbeitung von Kartoffeln in den Brennereien, sofern es noch nicht geschehen ist, sofort einzustellen. Es sei Ehrenpflicht der Brennereibesitzer, die unter der Not der Zeit schwer leidenden Volksgenossen in der Stadt und in den Industriebezirken mit dem unentbehrlichen Nahrungsmittel, den Speisekartoffeln, zu versorgen, soweit es von dieser Seite möglich ist.

Neuköllner Tageblatt, Samstag, 7. 7. 1923
Der Millionenschein fertiggestellt. Die bereits seit einiger Zeit erwartete Reichsbanknote über eine Million Mark ist nunmehr fertiggestellt, so daß sie binnen kurzem zur Ausgabe gelangen wird. Der Schein ist etwas größer als der Fünfhunderttausender und dunkel in der Farbe. Er trägt auf der linken Seite einen Dürerschen Frauenkopf.

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend, 7. 7. 1923
41 Selbstmorde in einer Woche. Die Zahl der Selbstmorde in Berlin hat in der letzten Zeit in erschreckendem Maße zugenommen. Vom Donnerstag dem 28. Juni bis zum 5. Juli, also in einer Woche, meldet der Polizeibericht allein 41 Selbstmorde. Dazu kommen nun noch die zahlreichen Selbstmordversuche, deren Ausführung im letzten Augenblick verhindert werden konnte. Unter den Toten sind 12 Frauen und 29 Männer, darunter 12 Gasvergiftungen, 5 Fälle durch Erhängen, 11 durch Ertränken, 10 durch Erschießen, 2 Stürze aus dem Fenster und ein Sturz vor einen fahrenden Zug. Motiv meistens Nahrungssorgen, dann aber auch Liebeskummer, Krankheit, geistige Umnachtung und Trunkenheit.

Neuköllnische Zeitung, Montag, 9. 7. 1923
Flugzeuglandung unter den Linden. Nach einer polizeilichen Meldung ist Sonntag früh 5 Uhr 30 Minuten, ein Rießler=Flugzeug, Führer Antonius Raab, auf dem Kaiser=Franz=Joseph=Platz gegenüber der neuen Wache, gelandet. Es wurde bei dem Kommando der Schutzpolizei in der Oberwallstraße untergestellt. Die Luftüberwachungsstelle Staaken stellte fest, daß ein Motordefekt vorlag. Die Vermutung war aufgetaucht, daß es sich um eine Kinoaufnahme handelte, da mehrere Filmoperateure trotz der frühen Stunde zur Stelle waren.

Neuköllner Tageblatt, Dienstag, 10. 7. 1923
Werft keine Obstkerne weg! Die Unsitte vieler Fußgänger, auf der Straße Obst zu essen und die Obstreste sowie Obstkerne achtlos auf die Straße zu werfen, hat wieder einen schweren Unfall zur Folge ge­habt. Ein Familienvater glitt auf einem solchen Obstrest aus und zog sich einen Beinbruch zu. Der Polizeipräsident nimmt im Anschluß an diesen Fall erneut Veranlassung, die ernste Mahnung an das Publikum zu richten, mehr Rücksicht an den Mitmenschen zu üben.

Neuköllner Tageblatt, Mittwoch, 11. 7. 1923
Der erste Luftpostbriefkasten in Berlin. An einer Hausfassade Unter den Linden ist ein eigenartiger Briefkasten angebracht worden. Er hängt neben dem Portal des Hotel Bristol als Pendant zu einem gewöhnlichen blauen Briefkasten. Das neue Objekt der Reichspost leuchtet mit knallroter Farbe. An der Stirn trägt er die goldene Aufschrift: Luftpostkasten. Er hat seine blaue Vergangenheit hinter sich gelassen und nimmt nur Briefe in sich auf, die den moderneren Weg durch die Luft gehen sollen. Der rote Briefkasten bedeutet eine wesentliche Erleichterung für das Publikum; es braucht nun nicht mehr mit jedem Luftpostbrief auf das Postamt zu gehen. Zu diesem ersten Luftpostkasten werden sich bald einige weitere gesellen.

Neuköllner Tageblatt, Donnerstag, 12. 7. 1923
In der Großmarkthalle kostete am Mittwoch ein Ei 4400 R. Es wurde aber nur abgegeben, wenn gleichzeitig fünf Pfund Butter mit in Kauf genommen wurden. Ohne Butter kein Ei.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1923 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Erste Luftpostbriefkästen in Berlin

Flugzeuge sorgen für schnellere Briefzustellung

Die Geschichte der zivilen Luftpost in Deutschland begann am 6. Februar 1919. Von diesem Tag an starteten zweimal täglich Flugzeuge der Deutschen Luft-Reederei in Berlin-Johannisthal, um Postsendungen aus der Hauptstadt nach Weimar zu transportieren, wo die Nationalversammlung tagte. Anfangs konnte diese Flugpostverbindung ausschließlich von den Abgeordneten der Nationalversammlung in Anspruch genommen werden. Wenige Monate später wurde sie auch für die Öffentlichkeit freigegeben.

LuftpostBriefkasten.    Foto: Bundessarchiv

Im März 1919 richteten die Junkers-Flugzeugwerke in Dessau den regelmäßigen Flugdienst nach Weimar ein.
In den folgenden Jahren fand ein rascher Ausbau der Flugpostverbindungen in Deutschland wie auch in ganz Westeuropa und den USA statt. Am 11. August 1920 wurden die ersten Luftpostflüge von Deutschland ins Ausland durchgeführt. Das angeflogene Ziel war die schwedische Hafenstadt Malmö. Im Jahre 1922 bestanden bereits 13 verschiedene Luftpostlinien. Ab 1923 gab es sogar spezielle Briefkästen für Luftpost, die eine schnellere Bearbeitung und Weiterleitung der Luftpostsendungen ermöglichten.
Für die Beförderung dieser Post mussten zusätzliche Kosten einkalkuliert werden. Weil das Porto nach Gewicht berechnet wurde, zählte jedes Gramm, so dass sogar spezielles Luftpost-Briefpapier entwickelt wurde, das im Vergleich zu herkömmlichem Schreibpapier deutlich dünner und leichter ist.
Eine auffällige blau-rote Markierung am Rand des Kuverts unterschied Luftpostbriefe von anderen Sendungen; außerdem wurden sie durch spezielle Aufkleber mit der Aufschrift »Luftpost« beziehungsweise »Par Avion« gekennzeichnet.

mr