Endstation Sehnsucht

Von der Oper zur Parkbank

Früher war ich wer. Nach dem Musikstudium habe ich auf den Brettern der Welt Opernarien gesungen. Die Menge jubelte mir zu, und ich war berauscht vom Applaus des Erfolges.
Herrliche Jahre waren das! Wenn auch die Weltenbummelei und der Prunk anstrengend waren, hätte ich sie nicht eine Sekunde lang gegen ein anderes Leben tauschen wollen.
Jetzt seht mich an. Verlottert und oll, ganz unten angekommen. Tagtäglich liege ich an der Bushaltestelle und bin darauf angewiesen, dass mich barmherzige Nachbarn mit Essen versorgen. Ich schaffe es nicht mal mehr aufzustehen.
Die Füsse schmerzen und verfärben sich schwarz. Die Kleidung schmutzig und zerrissen. Der Geruch den sie verströmt hält meine Mitmenschen auf Abstand. Gut auf der einen Seite als Schutz vor Verletzung und Ablehnung, schlecht auf der anderen, weil es doch sehr einsam macht.
Und selbst wenn es die Möglichkeit gäbe sich zu waschen, wäre dies zu meinem Innern nicht kongruent. Es fühlt sich nicht stimmig an, sauber zu sein, wenn das Innere so marodiert ist. Der warme und stickige Zustand von Zersetzung und Finsternis würde mit der Erfrischung und Reinheit eines sauberen Körpers kollidieren. Ein Gefühl, es nicht verdient zu haben, sauber sein zu dürfen. Schwer zu beschreiben. Egal.
Aber wie nur war es so weit gekommen?
Behütetes Elternhaus, gute Schulbildung und einen akademischen Abschluss…hat alles nichts genützt. Der Wahnsinn macht davor nicht halt. Ich merke, wie sich mein Mund zu einem bitteren kleinen Grinsen verzieht.
Unzählige Aufenthalte in der Psychiatrie, zum Schutz vor mir selbst, laut richterlichem Gutachten, prägten meine letzten zwanzig Jahre. Bipolare affektive Störung, wie es im Fachjargon heisst…pah.
Die Wohnung ist seit Jahren weg. Sowohl in guten als auch schlechten Zeiten habe ich es nicht mehr vermocht, sie in Schuss zu halten. Das Geld für die Miete wurde für andere Dinge ausgegeben, der Schuldenberg wuchs ins Unermessliche, und irgendwann brach alles über mir zusammen. Wie ein Kartenhaus.
In der Klapse können die mir auch nicht mehr helfen. Unvermittelbar und austherapiert.
Aktuell habe ich eine schlechte Zeit. Ich vermisse mein altes Leben, meine Familie, meine Freunde…alle haben sie sich durch die Belastung unter meinen »guten« Zeiten abgewendet.
Mit dieser frostigen Nacht jedoch, stehen die Chancen gut, dass es bald überhaupt gar keine Zeiten mehr gibt. Kein auf und ab, keine Bürde, keine Belastung mehr, nur noch Stille und Frieden. Wie ein sanftes Hinübergleiten. Ich habe keine Angst.

mg