Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllner Tageblatt, Donnerstag, 3.5.1923
Die Nachtigallen
sind in diesen Tagen aus dem Süden zu uns zurückgekehrt und zwar um eine Woche später als in den letzten Jahren. Die kalte, unfreundliche Witterung, die auch in den Menschen die richtige Freude an der jungen Natur nicht aufkommen läßt, hat jedenfalls auch die »Königin der Sänger« zurückgehalten.

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend, 5.5.1923
Zur Aufteilung des Tempelhofer Feldes.
Das Städtebauamt der Stadt Berlin teilt mit: Nach langen Verhandlungen ist es gelungen, die bisher dem Reichswehrministerium gehörige Fläche des Tempelhofer Feldes für die Stadt zu erwerben. Der Magistrat hat in seiner Sitzung am 2. Mai dem Ankauf bereits zugestimmt, so daß nur noch die Genehmigung der Stadtverordnetenversammlung und des Ministers ansteht. An der Genehmigung ist nicht zu zweifeln. Damit ist der erste Schritt getan zu einer großzügigen Ausgestaltung des Tempelhofer Feldes, wie sie vom Städte­bauamt geplant wird. Nach diesem Plan soll der Hauptteil des Geländes als freie Fläche für die Benutzung der Bevölkerung erhalten bleiben. Ein Teil soll als Flughafen für den Personenverkehr ohne Industrieanlagen und ein weiterer Teil als Ausstellungsgelände ausgewiesen werden.

Neuköllner Tageblatt, Dienstag, 8.5.1923
Der deutsche Muttertag.
Die im Gange befindliche Bewegung zur Einführung eines deutschen Muttertages zieht erfreulicherweise auch in Groß=Berlin immer weitere Kreise. Es wird in aller Stille fleißig gearbeitet. Verschiedene Wohlfahrtsverbände bringen der Sache rege Teilnahme entgegen. Auch die Behörden, insbesondere die kirchlichen Behörden, haben die Einbürgerung der schönen Sitte durch Genehmigung einer Werbung im größeren Stile gefördert. Auch von Seiten der Schriftsteller und Gelehrten sind zum Teil begeisterte Zustimmungen erfolgt. In diesem Jahre soll der erste deutsche Muttertag am Sonntag, den 18. Mai stattfinden.

Neuköllner Tageblatt, Donnerstag, 10.5.1923
Von seinem Vater in einem Schanklokal in der Hermannstraße ausgesetzt
wurde am 23. Januar ein 3 bis 4 jähriger Knabe. Alle behördlichen Nachforschungen über die Herkunft des Knaben waren bisher ergebnislos. Der Vater soll ein gewisser Wilhelm Loeser oder Loefer sein und sich zeitweilig in Neukölln aufgehalten haben, während die Mutter etwa November 1921 verstorben sein soll.

Neuköllnische Zeitung, Freitag, 18.5.1923
Was ein Kamel verdient.
Das Kamel Rosa aus dem Zoologischen Garten in Halle ist von seinem Direktor Dr. Kniesche zu Filmzwecken nach Berlin verliehen worden. Das Kamel verdient hier ein Tageshonorar von 100 000 Mk., außerdem freie Beköstigung und Reisediäten. Allerdings fließen die schönen Einnahmen nicht dem Tiere selber zu, das die Arbeit leisten muß, – es ist eben ein Kamel. Aber für den Zoologischen Garten in Halle bedeutet diese Gastspielreise eines seiner Mitglieder einen ganz erwünschten Zuschuß.

Neuköllner Tageblatt, Freitag, 18.5.1923
In schamloser Weise
verrichtete der 21 Jahre alte Buchdruckereihilfsarbeiter Edwin Mielke, Kottbuser Damm 75 wohnhaft, am hellichten Tage am Kottbuser Damm auf offener Straße seine Notdurft. Vorübergehende Passanten nahmen an diesem Treiben Anstoß und einer derselben, der Schneidermeister Paul W. machte ihm Vorhaltungen. M. fiel daraufhin über W. her und versetzte ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht. Ein hinzukommender Polizeibeamte nahm den M. fest. Hoffentlich wird das Gericht dem jungen Mann durch eine empfindliche Strafe etwas Anstand beibringen.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1923 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Berlin ist die Hauptstadt der Nachtigallen

Die Königin der Nacht liebt struppiges Grün

In Berlin gibt es mehr Nachtigallen als in ganz Bayern. Der unscheinbare Vogel mit dem virtuosen Gesang liebt Brachen mit reichlich Gestrüpp, Unterholz und Hecken, wie es sich entlang von Kanälen und an Bahndämmen, aber auch in vielen naturbelassenen Berliner Parks oder alten Friedhöfen findet. Aufgeräumtes mag die Nachtigall nicht, der deutsche Ordnungssinn ist ihr natürlicher Feind.

Kleiner großer Sänger.    Foto: NaBu


Sänger sind ausschließlich die Männchen, Zweck der Nachtgesänge ist natürlich die Partnerwerbung. Während das Weibchen irgendwo im Gebüsch lauscht, flötet Herr Nachtigall, was das Zeug hält. Bis zu 260 unterschiedliche Strophentypen hat er drauf. Manchmal mehr als 21 Stunden am Stück.
Wenn sie ihn erhört hat, kümmert sich das Paar um den Nestbau. Die nächtlichen Liebeslieder verwandeln sich dann in aggressiveren Reviergesang. Hinzu kommt später im Jahr der Gesangsunterricht der männlichen Nachkommen: Deren Gesang entsteht aus Vaters Vorbild, Mitgehörtem aus der Nachbarschaft und eigenen Kompositionen.
Berlin hat mit 1.300 bis 1.700 Brutpaaren eine vergleichsweise hohe Nachtigallpopulation. Und sie wächst laut der Berliner Naturschutzbehörde um etwa sechs Prozent jährlich. Unter Ornithologen gilt Berlin als die »Hauptstadt der Nachtigallen«.
Doch der Lebensraum der Nachtigallen Berlins verändert sich: Durch das umfangreiche Baugeschehen nimmt die Anzahl von Flächen, die mit dichter Spontanvegetation bewachsen sind, deutlich ab. Auch Parkanlagen, die der Nachtigall neben Friedhöfen wertvolle Lebensräume bieten, unterliegen einem zunehmenden Nutzungs- und Pflegedruck. Dichtes Unterholz mit schützender Laubschicht und üppiger Krautvegetation, in denen die Nachtigall ihr Nest aus altem Laub und Gräsern baut, werden häufig weggepflegt. Störungen durch Besucher und Hunde in den Gehölzstrukturen tun ihr Übriges.
Notwendig für den Erhalt der Lebensräume ist eine naturnahe Pflege von Grünanlagen, die Laub und Spontanvegetation ertragen und als Bereicherung erkennen kann. Notwendig ist auch die Ausweisung neuer Grünanlagen, damit die menschlichen und tierischen Einwohner in der stetig wachsenden Metropole Grün erleben.

mr