Destabilität, Durchleuchtung und politische Ästhetik

Mona Hatoum und Rémy Markowitsch im KINDL

Dunkelgraue Metallstreben, zusammengesetzt zu einer riesigen Struktur, abweisend im ersten Moment. Dann fängt diese Struktur an zusammenzubrechen, und es entsteht plötzlich etwas sehr Fragiles. Dann stabilisiert sie sich wieder, es folgt der nächste Zusammenbruch.

Fragil existent.     Foto: Jens Ziehe

Das fast neun Meter hohe gerasterte Objekt erinnert an ein im Bau oder Rückbau befindliches Gebäude. Die Installation »All of a quiver« (Alles ein Zittern) von Mona Hatoum im 20 Meter hohen Kesselhaus des »KINDL-Zentrum für zeitgenössische Kunst« »verweist auf die Umwälzungen der Gegenwart und unsere prekäre und fragile Existenz«. Balance und Zusammenbruch sind wichtige Inhalte ihrer Werke.
Hatoum wurde 1952 in Beirut geboren, floh während des Bürgerkrieges nach London, sie lebt und arbeitet dort. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit Migration, Exil und Politik.
»No Simple Way Out« ist der Titel der Ausstellung von Rémy Markowitsch im Maschinenhaus M2, dieser Titel ist Programm. Fast labyrinthähnlich wird der Betrachter durch die Objekte, Skulpturen, Fotografien sowie Audio-, Text- und Videoinstallationen geführt. Thematische Überschneidungen und wiederkehrende Methoden der künstlerischen Darstellung spinnen ein Netz, das die einzelnen Werkgruppen miteinander verbindet, sei es in Form von Büchern, die hinter einer Arbeit stehen, der politisch-geschichtliche Aspekt oder die Art und Weise, wie Markowitsch recherchiert und umsetzt. Migration und Flucht, Tier und Natur, Kolonialismus, Umwelt und Sucht sind Themen seiner Arbeiten.
Eine ausgestopfte Gans mit verdrehtem Hals auf einer goldenen Kugel ist das erste Ausstellungsstück, dem der Betrachter gegenübersteht. Gegenüber überlagerte Zeichnungen von Motorenentwürfen und eine Luftaufnahme einer großen Rinderherde, im entwaldetem Amazonas mit einem VW-Käfer, darauf montiert eine Überlagerung des Porträts Henry Fords mit den Bohrtürmen eins Ölfeldes. »Nudnik. Forgetting Josef Ganz« lautet der Titel dieser komplexen Arbeit, die sich mit dem Leben des jüdischen Ingenieurs, Journalisten und Erfinders beschäftigt. Josef Ganz arbeitete auch für VW und wurde durch die Gestapo verhaftet.
In Markowitschs Arbeit spielen Bücher eine tragende Rolle: So lesen 130 Inselbewohnende Daniel Defoes »Robinson Crusoe« in einer elfstündigen Videoinstallation vor, oder Flauberts »Madame Bovary« wird in der Skulptur »Emma‘s Gift« zur bildlichen Darstellung des Gebens und Nehmens.
Tiere und Natur finden in Rémy Markowitschs Werken nicht nur als Motiv einen Raum, sondern gehen immer einher mit der menschlichen Vereinnahmung.

Hirsch und Hirsch. Foto:    Jens Ziehe

»…hast du meine Alpen gesehen« geht zurück auf den Ausspruch von Samson Raphael Hirsch, Begründer der jüdischen Neo-Orthodoxie. Viele jüdische Familien suchten Exil in der Schweiz. Markowitsch schafft einen Hirsch, überzogen mit Trachtenhosen und floralen Stickereien. Ein zuerst harmlos-klischeehaftes Bild entsteht, was allerdings einhergeht mit einem Männlichkeitswahn und auch Nationalismus. Dies ist nur ein kleiner Abriss der Ausstellung.
Die Ausstellung »Forming Communities: Berliner Wege« im Maschinenhaus 1 zeigt exemplarisch einen Ausschnitt der Verwobenheiten von Künstlern aus China, die im Maschinenhaus 1 Videospace von Gernot Wieland uraufgeführte Videoarbeit »Turtleneck Phantasies« stellt in der Erinnerung verdrängte, überhörte und vergessene Stimmen und eine Erweiterung seines bisherigen Werks dar.
Auf Markowitsch muss sich der Besucher einlassen und sich dafür Zeit lassen, Hatoum nimmt den Betrachter eher von selbst ein. Beides lohnt sich sehr.

jr
KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst
Am Sudhaus 3