Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung, Mittwoch, 01.11.1922
Kartoffeln für Pferdedung. Heute hat alles seinen hohen Wert. Deshalb wird alles aufgesammelt, was herrenlos auf der Straße liegt und noch irgendwie verwertbar ist. Selbst der Pferdemist hat seine Anziehungskraft. Arme Männer und Frauen, auch Kinder, ziehen mit einem Wägelchen, mit Schippe und Besen umher und sammeln den Pferdedung auf, um ihn an Laubenkolonisten und Gärtner zu verkaufen, oder Kartoffeln und Gemüse einzutauschen.Da der Dung hoch im Preise steht, soll das Geschäft, wenn es auch nicht gerade sauber ist, ebenso einträglich wie das Papieraufsammeln sein. Die Straßenreinigung ist aber schon futterneidisch auf diese neue Art von Straßensammlern, weil sie in den letzten Jahren den Straßenkehrricht als Dung für Gemeindezwecke verbrauchte.

Neuköllnische Zeitung, Montag, 6.11.1922
Ein neuer Sieg der Frauenbewegung. In der ostpreußischen Gemeinde Kuppen im Kreise Mohrungen ist die Witwe Olschewski als Nachtwächter gewählt und bestätigt worden. Sie ist, wie man versichert, der erste weibliche Nachtwächter in Deutschland. Hoffentlich steht die Witwe Olschewski im Kampf mit etwaigen Einbrechern »ihren Mann«!

Neuköllnische Zeitung, Montag, 6.11.1922
Der Fußballspieler als Nobelpreisanwärter. Der dänische Professor Niels Bohr, der vor Jahren einer der besten Fußballspieler Dänemarks war und an vielen internationalen Kämpfen erfolgreich teilgenommen hat, hat, wie man aus Kopenhagen berichtet, große Aussicht, den diesjährigen Nobelpreis für Physik zu bekommen.

Neuköllnische Zeitung, Freitag, 10.11.1922
Die Weltstadt Berlin. Nach einer neueren Feststellung ist Berlin räumlich die zweitgrößte Stadt der Welt. Es bedeckt 878 Quadratkilometer, während Newyork nur 840 und Paris 470 Quadratkilometer bedeckt. London, die größte Stadt auf der Erde, bedeckt 1790 Quadratkilometer. Der Einwohnerzahl nach steht Berlin mit etwas mehr als vier Millionen Einwohnern an vierter Stelle.

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend, 25.11.1922
Bebel= und Erzbergerstraße in Neukölln? Am kommenden Montag tritt der Stadtverordnetenausschuß zusammen, dem die im Berliner Stadtparlament eingebrachten Anträge auf Umbenennung von Straßen überwiesen worden sind. Inzwischen hat, wie verlautet, die städtische Tiefbaudeputation beschlossen, dem Polizeipräsidenten vorzuschlagen, in Neukölln die Berliner Str. (akt. Karl-Marx-Str. Anm. d. Red.) in Bebelstraße und die Kaiser=Friedrichstraße (akt. Sonnenallee. Anm. d. Red.) in Erzbergerstraße umzubenennen. Daneben laufen die Verhandlungen des Magistrats mit den Bezirken, die Straßen mit mehrfach vorkommenden Bezeichnungen zu ändern. So soll die Dorfstraße in Tempelhof (akt. Alt-Tempelhof. Anm. d. Red.) jetzt »Tempelhofer Aue« heißen.

Neuköllner Tageblatt, Sonnabend, 25.11 1922
Bis aufs Hemd ausgezogen. Passanten meldeten auf der Wache der Schutzpolizei in der Kürassierkaserne, daß auf dem Tempelhofer Felde ein junger Mensch nackt umherlaufe. Ein Beamter führte den jungen Mann zur Wache, wo er als der Kellner Hermann W. festgestellt wurde. Er war nur mit Hemd, Strümpfen und Schuhen bekleidet. Nach seiner Angabe ist er in der Nähe der Paradepappel von zwei Männern überfallen und unter Bedrohungen beraubt worden. Die Täter konnten bisher nicht ermittelt werden.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1922 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Ein Meilenstein der Wissenschaft

Niels Bohr erhält den Physiknobelpreis für sein Atommodell

Niels Bohr wurde am 7. Oktober 1885 in Kopenhagen geboren und wuchs in einem Haus auf, in dem wissenschaftliche Diskussionen alltäglich waren. Während seiner Studienzeit war er für den Verein »Akademisk Boldklub« als Torhüter aktiv. Es war allerdings sein Bruder Harald, der später Professor für Mathematik wurde, der sogar den Sprung in die dänische Nationalmannschaft schaffte.

Bohr und sein Atommodell.       Foto: historisch

Nach dem Studium wechselte er nach Manchester in das Labor von Ernest Rutherford. der 1908 den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte und einer der innovativsten Forscher seiner Zeit war. Basierend auf dessen Erkenntnissen entwickelte er das nach ihm benannte »Bohrsche Atommodell« und schuf damit die Grundlagen der modernen Atomwissenschaft.
Im Frühjahr 1916 übernahm er den neuen Lehrstuhl für theoretische Physik an der Universität Kopenhagen, wo er sein Atommodell erweiterte und eine Erklärung für den Aufbau des Periodensystems der chemischen Elemente lieferte. Im Jahr 1922 erhielt er den Nobelpreis für Physik »für seine Verdienste um die Erforschung der Struktur der Atome und der von ihnen ausgehenden Strahlung«.
Seit 1933 gab der Physiker jüdischen Kollegen aus Deutschland in seinem Institut Arbeit, bis sie anderswo unterkamen. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs blieb Bohr zunächst in Dänemark. Bohr lehnte es strikt ab mit den Nazis zu arbeiten. Erst als er 1943 erfuhr, dass er verhaftet werden sollte, floh er mit seiner Familie in die USA, wo er an der Entwicklung der Atombombe beteiligt war. Bohr sprach sich gegen den Abwurf der Bombe aus und versuchte noch während des Krieges, Roosevelt und Churchill dazu zu bewegen, der Sowjetunion alle Informationen über die Atombombenentwicklung mitzuteilen, um einen atomaren Wettlauf zu verhindern. Churchill lehnte diesen Vorschlag jedoch rundweg ab.
Nach dem Krieg kehrte Bohr nach Dänemark zurück. Er engagierte sich gegen Atomwaffen, schrieb 1950 einen »offenen Brief« an die Vereinten Nationen und erhielt 1957 den »Atoms for Peace Award«. Er setzte sich aktiv für die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit ein und war an der Gründung des europäischen Atomforschungszentrum (CERN) in Genf beteiligt.

mr