Rekonstruktion als Illusion

Der Hermannplatz zwischen Weltstadtambition und Moderne

Kulturdenkmale sollen Orientierung im Verlauf der Zeit geben. Schlossrekonstruktionen sind gut für ein Selfie, aber zur Auseinandersetzung mit dem Selbstbild einer Gesellschaft taugen sie nicht – sie sind nicht echt.
Denkmale stehen als Zeitzeugen oft für Umbrüche in unserer Geschichte. An ihnen lässt sich der Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse ablesen. Sie sind manchmal hässlich und in der Wirkung schmerzhaft. Ihr Wert beruht auf ihrer Wahrhaftigkeit als Original.
Am Hermannplatz sind der U-Bahnhof sowie Geschäfts- und Vergnügungsbauten geschützt.

Auf dem Prüfstand.   Foto: Marlis Fuhrmann

Sie zeugen von Weltstadtambitionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Ernüchterung nach dem 2. Weltkrieg.
Da gibt es ein Geschäftshaus der steckengebliebenen Platzentwicklung um 1900 an der Südseite sowie die »Neue Welt«. Der U-Bahnhof aus den 20er Jahren ist der erste mit sich kreuzenden Linien zuzüglich eines Gleichrichterwerks mit Wohnungen im Stil des Neuen Bauens.
Das damals technisch fortschrittliche Karstadthaus weist Relikte aus der Entstehungszeit auf. Insbesondere ist es die gestalterische Antwort der Moderne auf die Bauaufgabe Kaufhaus.
Rekonstruktionen werden meist von Privatpersonen angestoßen. Sie beschränken sich auf das äußere Bild des zerstörten Objektes. Im Karstadtkontext heißt das »Indienstnahme einer historisch nobilitierten Szenografie« (Bauwelt 22.2020). Gemeint ist ein sich der Geschichte bedienen zwecks Standortaufwertung im Retro-Chic.
Tatsächlich war Karstadt durch Fehlinvestitionen, Wirtschaftskrise und Krieg bankrott und bestand durch Kollaboration mit den Nationalsozialisten weiter. Das Flagschiff am Hermannplatz existierte nur sechzehn Jahre. 1945 hat das Überlassen mehrerer Etagen an das Militär wohl zu seiner Sprengung geführt.
Die konzerneigene Bauabteilung und das Land Berlin haben sich den Neubeginn nicht leicht gemacht: Wiederholt konkurrierende Entwürfe verglichen, einen Wiederaufbau nach dem alten Modell abgelehnt und in Auseinandersetzung mit dem Relikt eine städtebaulich verträgliche Lösung gefunden.
Das Ergebnis steht zu Recht unter Denkmalschutz. Das Land hat es mitfinanziert.
Der aktuelle Karstadt-Investor dealt um eine Abrissgenehmigung. Dieses Mal scheint der Bausenator zu versagen. Aber die Zeichen der Zeit stehen nicht auf neue Monumentalbauten.
Deshalb gehört der Nachkriegsbau von Karstadt am Hermannplatz auf die offizielle Liste bedrohter Berliner Kulturgüter. Wie unbequem und wie peinlich.

Marlis Fuhrmann